Beelitz, DDR, NVA-Kaserne, Jahreswechsel 1989/90
Der Anlaß war eher nichtig: Einige Soldaten hatten ihre Offiziere gebeten, zu Silvester ausnahmsweise in der Kaserne mit einem Glas Sekt anstoßen zu dürfen. Die Antwort war ein harsches Nein.
Die Soldaten, Unteroffiziere auf Zeit und Wehrpflichtige, zogen verärgert auf ihre Stuben, die Stimmung schlug in Wut um. Keiner der Beteiligten weiß heute mehr, wer eigentlich die Idee zur Soldatenrevolte hatte.
In Windeseile vervielfältigten die Beelitzer Volksarmisten einen Forderungskatalog, der eigentlich nur für ihre Vorgesetzten bestimmt war; sie schrieben "Streikaufruf" darüber und "An alle, an alle!"
Sie bastelten aus Pappe und Tüchern Transparente und zogen vor die Kaserne: "Nur wenn die preußisch- militaristischen Überbleibsel in unserer Armee beseitigt werden, verdient sie den Namen ,Nationale Volksarmee'." Die Demokratie dürfe nicht vor den Kasernentoren haltmachen.
Der Funke sprang über, Beelitz war plötzlich überall: in Rostock und Brandenburg, in Schwerin und Erfurt, in Cottbus, Basepohl, Neuseddin, Saßnitz und Warin. Soldaten verweigerten Befehle, ließen Offiziere strammstehen und Flaschen kreisen, wählten Soldatenräte und rannten scharenweise auf die Straße: eine "Meuterei", die nach Paragraph 259 der Militärgerichtsordnung der NVA mit "Freiheitsstrafen bis zu acht Jahren" geahndet wird.
Ein hartes Durchgreifen, wie etliche Generale der Armeeführung empfahlen, war nicht mehr möglich. Theodor Hoffmann, 55, Admiral, von Regierungschef Hans Modrow gerade zum Verteidigungsminister bestellt, mußte am 2. Januar nach Beelitz fahren und sich den meuternden Soldaten stellen. Schon einen Tag später erließ Hoffmann eine "Weisung", die bei Offizieren und Berufsunteroffizieren einen Schock auslöste:
Nicht mehr 85, sondern nur noch 50 Prozent der Soldaten müssen ständig einsatzbereit in den Kasernen hocken; Personalausweis und Reisepaß, bis dahin von den Vorgesetzten eingezogen und verwahrt, bleiben "am Mann", für die Soldaten heißt das: freies Reisen gen Westen; Ausgang in Zivil und auch außerhalb des Standortes; in den Kasernen darf - bisher streng verboten - das West-Fernsehen eingeschaltet, zum Essen muß nicht mehr - "Drei, vier - ein Lied" - im Gleichschritt marschiert werden; Frühsport fällt aus, es heißt nicht mehr "Genosse Soldat" und "Genosse Hauptmann", sondern "Herr Soldat" und "Herr Hauptmann".
(aus dem Spiegel)
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