von Alfred » 20. August 2012, 19:04
AZ,
dass ist doch immer wieder ein alter Hut.
Als Beleg für den so genannten „Schießbefehl“ an der Staatsgrenze wird immer wieder die 45. Sitzung des Nationalen Verteidigungsrates der DDR am 3.Mai 1974 angeführt.
Auch der Spiegel 26/1991 Seite 79 bezieht sich unter der Schlagzeile „Einwandfreies Schußfelld“ auf diese Sitzung mit dem Hinweis: „In der Aussprache legte Genosse Erich Honecker folgende Punkte dar „Nach wie vor muss bei Grenzdurchbrüchen rücksichtslos von der Schusswaffe gebrauch gemacht werden und es sind die Genossen , die die Schusswaffe erfolgreich angewandt haben, zu belobigen“
Als „kleine Überschrift“ im genannten Spiegel ist mit zu lesen „ Das Protokoll der Strausberger Schießbefehl – Konferenz“
Was war mit der Sitzung des NVR ?
Wie kommt der Spiegel zu einem Protokoll ? Was möchte man dem Leser aufzeigen?
Es gibt, eine „Niederschrift“ über die am 03.05.1974 durchgeführte Sitzung des Nationalen Verteidigungsrates“ mit der Nummer GKdos ( Geheime Kommandosache ) – Nr. 19 / 74 , in zwei Ausfertigungen, mit jeweils 15 Blatt.
Was hatte es mit Niederschrift und Protokoll auf sich ?
Von 1971 bis 1985 wurde keine Sitzung des NVR durchgeführt, wenn nicht der Minister für Nationale Verteidigung Armeegeneral Heinz Hoffmann anwesend war.
1974 war Armeegeneral Hoffmann jedoch länger erkrankt.
In Vorbereitung der Sitzung wurden Minister Hoffmann vom Sekretär des NVR General Streletz - , alle Tagungsunterlagen vorgelegt und Minister Hoffmann erklärte sich einverstanden, diese Sitzung ohne ihn durchzuführen.
Gleichzeitig wurde von Minister Hoffmann dem Sekretär des NVR befohlen,
für ihn eine Aktennotiz mit dem wichtigsten Inhalt der Diskussionen zu den einzelnen Tagesordnungspunkten zu fertigen und diese ihm anschließend vorzulegen. In einem persönlichen Gespräch sollten noch offene Punkte geklärt werden.
Am 03.Mai 1974 begann um 10.00 Uhr die Sitzung des NVR. 8 Mitglieder waren anwesend, 6 Mitglieder fehlten entschuldigt, weitere 6 Personen wurden zur Sitzung hinzugezogen.
Es gab sechs Tagesordnungspunkte, TOP vier beschäftigte sich mit dem „Bericht über die Lage an der Staatsgrenze der DDR zur BRD, zu Westberlin und an der Seegrenze“.
Zu Beginn gab Generaloberst Keßler einen Bericht von 15 Minuten.
Anschließend folgte eine Aussprache, in der der Vorsitzende des NVR Honecker nach den Aufzeichnungen u.a. darlegte “überall muss ein einwandfreies Schussfeld gewährleistet werden“. Dies wird vom Spiegel als Äußerung von Gen. Honecker dargestellt. Aber war dies auch so ?
Diese Erklärung beruhte auf den Erfahrungen, dass der tatsächliche Verlauf der Staatsgrenze HÄUFIG KEIN EINWANDFREIES Sicht – und Schussfeld darstellte mit der Folge, dass ein verantwortungsvoller Schusswaffeneinsatz nicht immer gewährleistet war.
Nach den geltenden gesetzlichen Bestimmungen durfte die Schusswaffe
nur zum Zwecke der Festnahme oder zur Abwendung eines Angriffes als letztes Mittel eingesetzt werden.
Es war daher im Ausnahmefall als letztes Mittel immer nur ein gezielter Schuss zulässig durch den die Flucht oder die Angriffsfähigkeit des Grenzverletzers verhindert werden sollte. Ein „erschießen“ war nie das gesetzte Ziel.
Zweck war es offentsichtlich, den Verteidigungsminister auf diesen Umstand nochmals hinzuweisen.
Zum Punkt „nach wie vor muss bei Grenzdurchbruchsversuchen von der Schusswaffe rücksichtslos Gebrauch gemacht werden, und es sind die Genossen, die die Schusswaffe erfolgreich angewandt haben zu belobigen“.
Hier fehlt im schriftlichen Text die Voraussetzung unter der diese „Aussage“ stand.
Bei der Niederschrift handelte es sich eben nicht um ein Wortprotokoll der über 2 Stunden dauernden Sitzung, sondern nur um eine inhaltliche Zusammenfassung der einzelnen Diskussionsbeiträge.
Sonst hätte die Niederschrift – dann besser Protokoll oder Wortprotokoll- mindestens 30 bis 40 Seiten umfassen müssen.
Rücksichtslos sollte von der Schusswaffe nur dann Gebrauch gemacht werden, im Falle eines bewaffneten Angriffes auf den Grenzposten bzw. eines Angriffes auf die Staatsgrenze mit schwerer, speziell vorbereiteter Technik, wie LKW oder Traktoren, die für solche Grenzdurchbrüche vorbereitet waren. ( Was in den in den Jahren zuvor eingetreten war )
Die Belobigung sollte dann vorgenommen werden, wenn der Grenzposten unter Einsatz seines Lebens, die ihm übertragene Aufgabe zum Schutz der Staatsgrenze erfüllt hat.
Aus den Ausführungen von E. Honecker war klar ersichtlich, dass sich an den bestehenden gesetzlichen Bestimmungen über den Schusswaffengebrauch nichts ändern sollte.
Denn im nachfolgenden Satz der Niederschrift ist zu lesen „an den jetzigen Bestimmungen wird sich diesbezüglich weder heute noch in Zukunft etwas ändern.“Von Seiten der Justiz und in den Medien wurde - und wird noch heute-, immer wieder hervorgehoben, dass diese Sitzung Ausgangspunkt für eine neue Aufgabenstellung für den Schusswaffengebrauch gewesen sein soll.
Dann wäre es zwingend notwendig gewesen, einen neuen Beschluss des NVR vorzubereiten und diesen dem Vorsitzenden des NVR nach Rücksprache mit dem Minister für Nationale Verteidigung zur Unterzeichnung vorzulegen. Es können alle Unterlagen zu dieser Sitzung eingesehen werden, es wurde kein „Schießbefehl“ erörtert , geschweige denn verabschiedet.
Nochmals zur Niederschrift.
Bei der Niederschrift handelt es sich weder um einen Beschluss des NVR, noch um eine Anordnung oder einen Befehl des NVR.
Die Ausführungen von E. Honecker die in der Niederschrift festgehalten sind, waren sein persönlicher „Diskussionsbeitrag“, kein Befehl, keine Weisung o.ä..
Aus dem amtlichen, bestätigten Protokoll über die 45. Sitzung ist klar ersichtlich, dass kein Beschluss über einen verstärkten Schusswaffeneinsatz an der Staatsgrenze gefasst wurde.
Die Niederschrift selbst war, niemals Bestandteil des bestätigten Protokolls.
Die Niederschrift hatte eine eigene GKdos Nr. und wurde so auch auf der VS – Stelle des NVR gesondert gelagert.
Auch wenn einige – besseren Wissens ? – anderes behaupten :
Auf Grund des Beschlusses des NVR auf seiner 45. Sitzung am 3.Mai 1974 ist keine Weisung, kein Befehl und keine Anordnung weder mündlich, noch schriftlich ergangen, die einen verschärften Einsatz der Schusswaffe an der Staatsgrenze zur folge gehabt hätten.
All dies geschriebene, ist in den Dokumenten nachzulesen.