von pentium » 19. Oktober 2025, 15:41
Was KI über Chemnitz schreibt,,,,
Die Kulturhauptstadt hat Interesse von Autoren geweckt, die es nicht gibt. Stattdessen dichten Computer alles zusammen, was das Internet hergibt. Reiseführer, die auf Amazon angeboten werden, führen in der klassischen Buchbranche zu Problemen.
Von Christian Mathea
Chemnitz - Schön wär’s, denkt man sich, wenn man den ausgeschmückten Formulierungen von Alfred Wiles in seinem aktuellen Reiseführer „Chemnitz 2025“ folgt. Er schreibt von alten Fabrikhallen, die zu Künstlerkollektiven wurden, von abstrakten Würfeln und skurrilen Bänken, die zum Innehalten einladen. Der Autor empfiehlt, Chemnitz zu Fuß zu erkunden, von der glänzenden Architektur der Stadthalle bis zu den friedlichen Gärten hinter der Villa Esche, oder sich an den vielen Stationen in der Stadt ein Fahrrad zu nehmen.
Richtig ausgeschmückt hat er die Kapitel zur Gastronomie. Alfred Wiles empfiehlt die „Moccabar“ an der Reitbahnstraße, selbst langjährige Anwohner haben diese bisher übersehen. Wiles will dort allerdings tagein, tagaus am Fenster gesessen und typische Chemnitzer Straßenszenen beobachtet haben: Radfahrer, die Schlaglöchern ausweichen und Kunststudenten, die ihre Piercings vergleichen. Die Chemnitzer Cafészene kommt generell gut weg im Reiseführer. Im „Kombinat Kaffee“ würden Hipster die Wassertemperatur mit Laserthermometern messen, schreibt Wiles. „Laptops klicken wie Heuschrecken.“ Übernachtet hat der Autor für seine wochenlange Recherchereise gleich in mehreren Pensionen und Hotels. Darunter sei auch das Gästehaus „Stadtoase“ gewesen, wo ihn Frau Bergmann jeden Morgen mit selbst gemachter Marmelade, knusprigen Brötchen und Geschichten aus ihrer Jugendzeit begrüßte. Ein echter Geheimtipp, denn die „Stadtoase“ in Chemnitz ist weder auf Google zu finden noch der Stadtverwaltung bekannt.
Woran der Chemnitzer Leser sofort erkennt, dass das Buch eher aus der Feder einer Künstlichen Intelligenz stammen dürfte, ist das Cover des Reiseführers, den es auf Amazon für 14,97 Euro zu kaufen gibt. Die darauf abgebildete Skyline kann mit der von New York oder Dubai problemlos mithalten.
Was im ersten Moment zum Schmunzeln einlädt, findet Verleger Christian Wobst aus Limbach-Oberfrohna gar nicht lustig. „Nicht jeder weiß, wie die Häuser in Chemnitz wirklich aussehen und fällt dann auf den Schwindel rein.“ Er befürchtet, dass durch solche Fake-Bücher der Ruf von Reiseführern generell leidet.
Wobst hatte für die Kulturhauptstadt in seinem Claus Verlag den Reiseführer „Spaziergänge durch Chemnitz“ aufgelegt. Dafür hat er mit Jens Kassner einen Journalisten engagiert, mit Dirk Hanus einen Fotografen beauftragt und für die Entwicklung eines professionellen Layouts eine Leipziger Agentur zu Rate gezogen. Das KI-Buch von Alfred Wiles hat bis auf das Cover dagegen kein einziges Bild, Inhaltsverzeichnis und Seiten wirken wie ein billig zusammengeschriebenes Word-Dokument. Klaus Kowalke von der Lessing-Buchhandlung auf dem Kaßberg sieht die KI-Bücher eher als Online-Phänomen. Insbesondere Amazon & Co. würden Reiseführern von fiktiven Autoren eine Plattform bieten. Meist würden die Bücher im Eigenverlag erscheinen. „Richtige Verlage haben richtige Autoren. Werden dort KI-Passagen verwendet, sollten diese gekennzeichnet werden“, so Kowalke.
Selbst eine ISBN-Nummer sei kein Garant für Seriosität. „Sie ist nur eine Identifikationsnummer für den Buchhandel, auch viele KI-Bücher haben sie.“
Das Problem: KI-Bücher werden automatisch zum literarischen Erbe. Denn die Deutsche Nationalbibliothek in Frankfurt am Main, die seit 1913 alle Bücher sammeln muss, unterscheidet nicht nach richtigen Büchern und künstlichen Texten im Eigenverlag.
Der Reiseblogger Oliver Zwahlen hat auf seiner Seite Tipps aufgelistet, woran man KI-Reiseführer erkennt. So hätten die meisten KI-Reiseführer eine Jahreszahl im Titel, was er mit der Suchanfragen von potenziellen Nutzern erklärt. Auffällig seien auch blumig-nichtsagende Untertitel und Texte.
In den von ihm gefundenen Beispielen hätten die „Autoren“ auch eine Unmenge an Büchern im Eigenverlag geschrieben. „Wegen der großen Reichweite von Amazon scheint der Webshop die beliebteste Adresse für Fake-Bücher zu sein. Der Weltkonzern macht allerdings auch herzlich wenig, um Mindestqualitätsstandards zu garantieren.“ (cma)