Bahndamm 68 hat geschrieben:Na denne kläre mich mal auf, wenn ich schlecht informiert bin. Aber bitte mit deinen eigenen Worten und nicht mit plumpen Zeitungsartikeln.
Stimmt dein Verhältnis mit den Zahlen auch noch, wenn du jeweils drei Nullen entfernst?
![Schockiert [shocked]](./images/smilies/shocked.gif)
Du meinst, meine Worte zählen mehr als die recherchierte Dokumentation einer offiziellen Umfrage?
Da ich mir nicht vorstellen kann, dass du meinen Worten mehr Glauben schenkst als mehreren Artikeln, lass ich es sein.
Du darfst weiter glauben, was du möchtest. Tue ich auch.
Hier eine Zusammenfassung, die ich exakt so betrachte:
Die Regierung macht und tut, aber sie inspiriert nicht. Sie spricht, aber undeutlich. Ihr Leitmotiv ist für die Mehrzahl der Bürger nicht zu verstehen. Ganz viel "wie" und "wann". Aber weit und breit kein "warum".
Kalorien werden verbraucht, Hunderttausende Flugmeilen werden geflogen: Washington, New York, Paris, London, Brüssel und wieder von vorn. Man könnte meinen, die Beteiligten haben das Zappelphilipp-Syndrom.
"Wir sind gegen rechts und also dafür da, die AfD zu verhindern", sagen die Würdenträger der SPD. Das ist ehrenwert, aber ineffektiv. Gerade so, als würde Mercedes seine Autos mit dem Argument bewerben, nur so könne man BMW mal richtig eins auswischen.
Merz wiederum definiert die Regierung als eine "Arbeitskoalition" und erklärt damit die Lustlosigkeit zum Programm. Der neue Kanzler bei der Vorstellung des Koalitionsvertrages auf dem kleinen Parteitag der CDU am 28. April:
"Da ist keine Euphorie und dieser Vertrag, diese Koalition ist auch kein gesellschaftspolitisches Projekt, wie wir das von anderen Parteien zu anderen Zeiten vielleicht einmal gehört haben. Union und SPD haben sich als Partner auch nicht gesucht, mehr noch, wir haben beide dafür gekämpft, gerade nicht mit dem jeweils anderen zusammen eine Regierung bilden zu müssen. Woher soll da also Euphorie kommen?"
Bei Schwarz-Rot erinnert viel an eine Zwangsheirat
Grau ist also das neue bunt, gibt der CDU-Vorsitzende uns zu verstehen. Es gibt Menschen, die drohen an ihrer eigenen Ernsthaftigkeit zu ersticken.
Bei früheren Koalitionen sprach man noch vom "Vorrat an Gemeinsamkeiten". In diesem Fall gibt es die eine große Notwendigkeit: Keine andere Regierung ohne AfD-Beteiligung verfügt im Parlament über eine Mehrheit.
Aber die Einsicht in die Notwendigkeit begründet noch keinen Vorrat der Gemeinsamkeiten. Vieles erinnert an eine Zwangsheirat, bei der sich beide Partner redlich Mühe geben, das Beste daraus zu machen. Man schläft im selben Bett, aber träumt einen unterschiedlichen Traum. Man ist einander nützlich. Die Psychologen sprechen von "Adaptation durch Affektkontrolle".
In Wahrheit sind CDU und SPD bei keinem Thema dicht beieinander
Auch in Deutschland stehen sich beide Regierungsparteien in großer Fremdheit gegenüber. Die SPD: sozialstaatlich erzogen und gewerkschaftsnah aufgewachsen. Ihr Gegner ist unverändert der Kapitalist oder zumindest doch sein kleiner Bruder, der Besserverdiener, wie die aktuelle Steuerdebatte erneut beweist.
Die Union hat nicht nur andere Wähler, sondern auch andere Werte. Man fühlt und denkt wirtschaftsfreundlich, hasst die ewige Umverteilung und mag die Familie, wie sie früher einmal war, also am liebsten ohne den Zusatz "Patchwork".
Im Grunde ist man bei keinem einzigen Thema wirklich dicht beieinander. Die SPD will kürzere, die CDU längere Arbeitszeiten. Die SPD verlangt nach höheren Steuern, während die CDU sich niedrigere wünscht. Die CDU will die Bürokratie beschneiden, die SPD sie mit neuen Dokumentationspflichten mästen.
Drei Beispiele zeigen die unterschiedlichen Motive
Der Unterschied ist genetisch bedingt: Für die Unternehmerpartei CDU ist der Staat ein Angstgegner, für die SPD Fleisch von ihrem Fleisch. Ihr Marsch durch die Institutionen führte eben nicht zur Revolution, sondern nur zur nächstgelegenen Behörde. So wurde der Öffentliche Dienst zum natürlichen Habitat der Sozialdemokratie. Wenn die CDU freudig erregt "Bürokratieabbau!" ruft, gefriert den SPD-Funktionären das Blut in den Adern.
Selbst wenn SPD und CDU dasselbe tun, tun sie es aus höchst unterschiedlichen Motiven:
Beispiel Schulden: Die SPD nascht an den Krediten – oft und immer lustvoll. Die CDU nascht auch, aber immer nur mit schlechtem Gewissen. Die SPD trägt seit ihrer Gründung die Spendierhosen. Der CDU hat Ludwig Erhard die Taschen zugenäht.
Beispiel Bürgergeld: Die CDU hält den Rotstift wie eine Fackel in der Hand. "Arbeit soll sich lohnen", ruft sie, was im Umkehrschluss bedeutet, man will dem Faulpelz an den Kragen. Die SPD stöhnt: "Auweia." Sie zwickt schon das Gewissen, wenn sie an Sozialkürzungen nur denkt. Der Bürgergeldempfänger weckt nicht ihren Argwohn, sondern ihren Beschützerinstinkt. Für sie ist er kein Faulpelz, sondern ein Opfer.
Beispiel Rente: Die CDU will, dass wir länger leben und dafür auch länger arbeiten. Die SPD sucht die Abkürzung: Sie will, dass wir länger leben, ohne mehr zu arbeiten. Sie weiß: Das ist nicht logisch. Sie hofft: Das ist populär.
Ein gemeinsames Leid, aber keine gemeinsame Idee
So gibt es zwar ein gemeinsames Leiden an der Gegenwart, sprich: der AfD, aber keine gemeinsame Idee von der Zukunft. Die Minister und Ministerinnen der neuen Regierung stehen vor uns wie die Handwerker auf dem Bau. Frisch gekämmt und geduscht: Jeder hält sein Werkzeug in der Hand.
Nur weiß keiner so genau, was hier eigentlich gebaut werden soll. Irgendwas mit Deutschland wahrscheinlich. Immerhin: Ein Baufinanzierer – der brave Bürger – wurde schon gefunden. Jetzt fehlt nur noch der Architekt. Irgendwo muss er doch stecken.
AZ