Zwischen zwei Welten
Meine deutsch-deutsche Fußballgeschichte
Rein ins Taxi. Tür zu. Und los. Die Fahrt über die Galata-Brücke in Istanbul ist am 16. November 1976 die erste spektakuläre Flucht eines DDR-Profifußballers. Es ist die Republikflucht des Junioren-Nationalspielers Norbert Nachtweih, der danach bei Eintracht Frankfurt und Bayern München einer der erfolgreichsten Bundesliga-Profis der 1980er-Jahre wurde und vier Meistertitel, drei DFB-Pokalsiege und einen Europapokal-Triumph feierte. Wäre es nach Teamchef Franz Beckenbauer gegangen, hätte 1990 sogar der Weltmeistertitel hinzukommen können. Als früherer DDR-Auswahlspieler war Nachtweih aber für die legendäre DFB-Elf nicht spielberechtigt. Den Mauerfall erlebt der gebürtige Sachsen-Anhalter in Südfrankreich. Bis dahin hat er einige Rotlichtaffären, einen von ihm verursachten Hauskrach bei Bayern München und einen Finanzskandal überstanden.
Die Schatten seiner Flucht bekam zunächst vor allem die im Osten verbliebene Familie zu spüren. Nachtweih selbst holen sie erst spät ein, als er erstmals seine umfangreiche Stasi-Akte einsieht. Er erfährt von einer verwanzten Wohnung, unliebsamen Besuchen, falschen Freunden, wilden Anschuldigungen und Plänen, ihn zurück in die DDR zu holen. Und stolpert über den Zufall, dass ausgerechnet Wolf Biermann ihm bei seiner waghalsigen Flucht geholfen hat.
Heute hat er sein Buch veröffentlicht.
Er sagt:
"Die Stasi war schlimm, aber die DDR habe ich geliebt" - so beschreibt der Ex-Fußballprofi Norbert Nachtweih sein Verhältnis zum Land seiner Geburt in seiner Autobiografie "Zwischen zwei Welten", die heute erscheint. Das Buch erzählt viel über die Zerrissenheit eines ehemaligen DDR-Bürgers, die bis heute anhält: "Ein Westdeutscher bin ich nie geworden", sagt Nachtweih, der als erster DDR-Fußballprofi 1976 in den Westen abgehauen war.
Mit Eintracht Frankfurt und Bayern München feierte er in den Achtzigern vier Meisterschaften, drei DFB-Pokalsiege und den Triumph im UEFA-Pokalfinale. Erstaunlich ist sein mildes Urteil über die DDR insofern, dass die Stasi in sein Frankfurter Reihenhaus einbrach und seine Mutter wegen der Trennung von Norbert Suizid-Gedanken hatte, wie er in dem Buch offenbart.
In der Autobiografie stehen viele bisher unbekannte Erlebnisse aus Nachtweihs Fußballerleben, etwa sein Talent, für die deutsche Fußball-Nationalmannschaft Bordellbesuche zu organisieren, ohne dass es jemand mitbekam. Dass er der Auslöser für den Streit zwischen Uli Hoeneß und Breitner war. Dass gegen ihn in Frankreich ein Haftbefehl wegen Steuerhinterziehung vorlag - den Vertrag hatte Hoeneß ausgehandelt.
AZ