Vor 80 Jahren tobte über dem Erzgebirge eine verlustreiche Luftschlacht. Der Deutschböhme Peter Frank sammelt bis heute Flugzeugtrümmer ein. Zum Jubiläum vereint er Tschechen, Deutsche und Amerikaner.
Von Oliver Hach
Kovárská/Schmiedeberg - Die Grundschule in Kovárská ist ein dreistöckiges Haus mit hohen Decken, gelber Stuckfassade und rotem Blechdach. 100 Schüler lernen hier von der 1. bis zur 9. Klasse. Die Schule trägt einen für Tschechien ungewöhnlichen Namen. Sie ist nach einem amerikanischen Soldaten benannt: Sergeant John C. Kluttz, Bordschütze eines US-Bombers im Zweiten Weltkrieg.
Das markante Gebäude im Zen-trum des böhmischen Erzgebirgsortes hat Zeitenwenden überdauert: Österreich-Ungarn, erste Tschechoslowakei, Nazideutschland, kommunistische CSSR, CSFR, Tschechische Republik. Peter Frank öffnet ein Schwarzweißfoto auf seinem Smartphone. Es zeigt Kinder in einem Klassenraum, ein geöffnetes Buch mit Hitler-Porträt und dem Schriftzug „1. Schuljahr im Großdeutschen Reich 1938/39“. Ein sechsjähriger Junge in der dritten Reihe ist sein Vater.
Die Schule in Kovárská begleitete die Familie über Generationen. Peter Frank ging hier in den Siebziger- und Achtzigerjahren zum Unterricht, nach ihm folgten seine beiden Söhne. Der 56-Jährige ist Deutschböhme. Seine Eltern gehörten zu den wenigen Deutschen, die nach dem Zweiten Weltkrieg nicht aus der Tschechoslowakei vertrieben wurden, weil man sie als Arbeitskräfte brauchte.
Zu Hause sprach man Erzgebirgisch. „Schmiedebarch“, nennt Peter Frank seinen Heimatort Schmiedeberg, den die Tschechen bei der Umbenennung einfach in Kovárská übersetzten.
Über den Krieg wurde in der Familie lange geschwiegen – bis 1982 in Peter Franks Schule neue Stromkabel verlegt wurden. Als Elektriker in einem Klassenraum ein Lüftungsgitter öffneten, fanden sie ein glänzendes Aluminiumblech und ein grünes Stoffbündel – ein Teil eines Flugzeugs und eine Fliegeruniform, in der eine Brieftasche steckte. „Unser Klassenleiter zeigte uns den Inhalt“, erzählt Peter Frank. Da waren Dollarscheine, kleine Familienfotos und Militärdokumente mit einer Adresse in Dallas, Texas, was ihn als Schüler besonders elektrisierte, weil er damals im westdeutschen Fernsehen die Serie „Dallas“ schaute.
Über den Fund wurde unter den Schülern heftig spekuliert. „1982, Kalter Krieg, Grenzen zu – und jetzt was Amerikanisches in der Schule. Da dachten wir: Das war bestimmt ein Spion.“ Als Peter Frank damals nach Hause kam, erfuhr er die Wahrheit: Die Fundstücke stammten von einem spektakulären Flugzeugabsturz in einer historisch beispiellosen Luftschlacht über dem Erzgebirge. Sein Vater hatte in der Schule alles selbst miterlebt.
Die Geschichte ließ dem Schüler Peter Frank keine Ruhe. Von nun an würde er ein gutes Stück seines Lebens der Aufarbeitung dieser Ereignisse widmen.
Ein Mittwoch im August. Die Stadtverwaltung Lauter-Bernsbach hat sich freigenommen, Bürgermeister und Angestellte sind mit einem Bus in die Partnerstadt Kovárská gefahren. Ungeduldig warten sie darauf, dass ihnen Peter Frank die Tür zu den Räumen eines ehemaligen Kindergartens aufsperrt. Zusammen mit seinem Freund Jan Zdiarský betreibt er unweit der Schule das „Museum der Luftschlacht über dem Erzgebirge“. Jan Zdiarský, der als Historiker für eine Modellbaufirma in Most (Brüx) arbeitet, ist Museumsdirektor, Peter Frank, inzwischen stellvertretender Bürgermeister von Kovárská, der sach- und sprachkundige Vernetzer.
Das Museum ist ein riesiges Sammelsurium aus Uniformen, Fotos, Karten, Dokumenten, persönlichen Gegenständen der Soldaten und vor allem einer Vielzahl von Flugzeugteilen – von der kleinsten Niete bis zum BMW-Motor einer deutschen Jagdmaschine, gefunden im Wald bei Neudorf. Seit die Ausstellung 1997 eröffnete, wurden mehrere tausend Ausstellungsstücke zusammengetragen. Und es kommen immer wieder neue hinzu.
„Irre, was ihr hier geleistet habt“, staunt Thomas Kunzmann. Der Bürgermeister von Lauter-Bernsbach will die Partnerstädte wieder enger zusammenbringen, auch der Stadtrat soll zu Besuch kommen. Das Museum wird gerade erweitert, am Samstag gibt es eine große Jubiläumsfeier. Genau 80 Jahre liegen die Ereignisse jetzt zurück.
Der 11. September 1944, so erzählten es Zeitzeugen, war ein strahlender Spätsommertag im Erzgebirge. An jenem „Schwarzen Montag“ schickte die US Airforce über 1000 Bomber aus England über den Ärmelkanal nach Mitteldeutschland und ins Protektorat Böhmen und Mähren. Sie sollten die deutsche Treibstoffindustrie zerstören. Eines der Ziele: das Hydrierwerk Schwarzheide nördlich von Dresden, wo aus Braunkohle synthetisches Benzin für Hitlers Kriegsmaschinerie produziert wurde.
Das Ziel Schwarzheide übernahm die 100. Bombergruppe, die wegen ihrer verlustreichen Kämpfe den Namen „Bloody hundredth“ („Blutige Hundertste“) bekam. Der Video-Streamingdienst Apple TV schildert in der neuen Serie „Masters of the Air“ von Steven Spielberg und Tom Hanks die abenteuerliche Geschichte dieser Einheit.
Die amerikanischen Boeing B-17 starteten von der britischen Luftwaffenbasis Thorpe Abbotts in der ostenglischen Grafschaft Norfolk. Der Flugplatz existiert heute nicht mehr, aber es gibt ein Museum mit historischem Fluggerät, ein Tower steht noch. Peter Frank hat sich das Gelände im August angeschaut, er sah dort die schweren Bomber, genannt „Flying Fortress“, „Fliegende Festung“. Für das Luftschlachtmuseum im Erzgebirge packte er Original-Ziegel vom Thorpe Abbotts Airfield in sein Auto.