LEITARTIKEL
Dirk Neubauer – der Gescheiterte
Von Grit Baldauf
grit.baldauf@freiepresse.deVor zwei Jahren, im Juli 2022, war Dirk Neubauer sprachlos: Er hatte zwei Mitbewerber zur Landratswahl klar deklassiert. Dass es nicht leicht werden würde als einziger parteiloser Landrat in Sachsen ohne CDU-Ticket oder -Parteibuch, das war dem Politik-Quereinsteiger und Bürgermeister klar: Obwohl Neubauer im Wahlkampf von Linken, Grünen und SPD unterstützt wurde, hatte er im Kreistag keine Hausmacht. Dennoch betonte er: „Ich glaube, dass es um Themen geht und dass es parteiübergreifend gelingen kann, dass sich etwas bewegt.“ Mittelsachsen – der Riesen-Landkreis mit den Riesen-Problemen: fehlende Arbeitskräfte, ausufernde Sozialkosten, Finanzlöcher, Nachholebedarf bei Mobilität, Digitalisierung, Infrastruktur.
Neubauer packte an: Bürokratieabbau, Energiewende, Digitalisierung, Transparenz, Bürgerbeteiligung machte er zu Themen. Dem Gleichmachen und Vereinheitlichen des Kunstgebildes Mittelsachsen setzte er Regionalkonferenzen entgegen, um Politik zu diskutieren.
Er glaubte, dass viele Leute, die in den Protest und das Nicht-aktiv-Sein gewechselt sind, trotzdem ein Angebot suchen. „Die Leute haben verstanden, dass Protest allein nichts bringt“, war seine Ankündigung. Er wollte es besser machen, wollte Politik erklären, nicht Lösungen vorsetzen, sprach Unbequemes an. Neubauers Versuch, parteiübergreifend Menschen hinter Ideen und Bewegungen zu versammeln, war mühevoll und ist nur in Ansätzen gelungen: Der Verein Denkwerk Ost ist Bürger-Mitmach-Plattform geblieben; eine Breitenbewegung als Alternativangebot zu fehlender Parteienakzeptanz hat er nicht ausgelöst.
In zwei Jahren Amtszeit hat er Entwicklungen angestoßen, etwa gegen seine Personalpolitik im Landratsamt. Die Bezahlkarte für Geflüchtete hat er angeschoben, auch ein Rufbus-Konzept. Er setzte sich mit Windkraftgegnern zusammen und entwarf das Projekt für ein gigantisches Bürgersolarkraftwerk.
Doch Neubauer schaffte es nicht, die notwendigen Mehrheiten für seine Agenda zu organisieren: Am Ende fehlten Kraft und langer Atem, um sich gegen mangelnde Handlungsfähigkeit als Landkreis und die immer stärkere konservative Mehrheit im Kreistag durchzusetzen. In der direkten Auseinandersetzung im Gremium selbst führte der Medienprofi hingegen nicht das große Wort, das er in den sozialen Medien beherrscht wie kaum ein anderer mitteldeutscher Kommunalpolitiker. Leidenschaftlich kämpft er gegen Hass und Hetze, setzt seine Sprachgewalt ein gegen antidemokratische Tendenzen. Dirk Neubauer sucht offen den Konflikt mit Feinden der Demokratie und wechselte den Wohnsitz, weil ihn Rechtsextreme bis in seinen Wohnort verfolgten. Während er Gegner mit Posts anprangerte, reflektierte Neubauer allenfalls im Stillen. Kritische Presseanfragen oder Hinweise parierte er mitunter mit gesperrten Kontakten und ignorierte Gesprächsangebote.
Nach einem Urlaub, in dem er laut über die Situation der Gesellschaft und seine Zukunft nachdachte, hat er die Reißleine gezogen. Er gehe nicht vor Krakeelern in die Knie. Am Ende ein Appell, die Demokratie zu erhalten. Er gebe auf, „weil zu viele da draußen den Mund halten“. Für die Mittelsachsen, die ihm 2022 mehrheitlich das Vertrauen ausgesprochen haben, ein bitterer Moment: Das Mitmach-Demokratie-Projekt „Wir machen das zusammen“ mit Landrat Dirk Neubauer ist vorbei. |grit
Er schaffte es nicht, die notwendigen Mehrheitenfür seine Agendazu organisieren.
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