Der Erfolg, den es nicht gibtIch glaube, so manche Leser*in von uns verwechselte bei zwei unserer Artikel in den letzten Tagen zu Thüringen Pragmatismus mit naiver Hoffnung. Als unser Autor in seiner Post-Wahl-Analyse darauf hinwies, dass die AfD ihren Zenit überschritten habe (Mehr dazu), oder als ein anderer Autor aufzeigte, wie Gaulands Aussage, Faschist Höcke gehöre zur “Mitte der Partei” logisch gesehen zur Überwachung durch den Verfassungsschutz führen müsse wurde uns Naivität vorgeworfen.
Versteht uns nicht falsch. Dass eine offen rechtsextreme Partei wie die AfD mit einem Faschisten an der Spitze fast 24% bei einer Landtagswahl bekommen kann ist erschreckend und für unsere Demokratie höchst gefährlich. Wir brauchen mehr klare Kanten in Politik und Medien, wir brauchen den Verfassungsschutz und eine frische Politik, die die Scheinargumente der AfD entzaubern kann.Aber ich halte es für kontraproduktiv, jetzt mit in das große Jammern anzustimmen. Überall las ich gestern Klagen, Mahnungen, Warnungen, Verzweiflung. Die AfD wurde als unaufhaltsam dargestellt, als immer weiter wachsende Kraft, der wir hilflos zusehen müssen. Und ja, sie ist eine Gefahr und wir müssen dringend etwas tun. Aber wenn wir andauernd von einem Erfolg sprechen, der gar nicht wirklich existiert, dann spielen wir den Faschisten in die Hände.
Die AfD in Thüringen hat Stimmen verlorenAuf Volksverpetzer habe ich es schon öfter erklärt, aber auch in Thüringen gilt wieder: Die AfD stagniert seit zwei Jahren. In absoluten Zahlen hat die AfD in Thüringen bei der Bundestagswahl 2017 294.069 Zweitstimmen erhalten. Bei der Landtagswahl 2019 waren es sogar weniger mit 259.359 (Quelle: Landeswahlleiter). Es ist natürlich verfahrenstechnisch nicht ganz korrekt, diese Zahlen direkt gegenüber zu stellen. Aber sie sollten ein kleiner Indikator dafür sein, dass es keinen enormen Zuwachs in den letzten zwei Jahren gab.
Die AfD hat eigentlich über ein Zehntel an Zweitstimmen in den letzten zwei Jahren verloren. Die Grünen beispielsweise haben sich im gleichen Zeitraum in diesem Vergleich eigentlich sogar 53.340 auf 57.485 gesteigert. Natürlich hat das keiner gemerkt und erwähnt auch kaum jemand. Nach den Wahlen in Brandenburg und Sachsen hatte ich die gleiche Feststellung bereits gemacht und auch erklärtJa, die AfD in Thüringen hat im Vergleich zu 2014 natürlich enorm hinzugewonnen. Aber das ist lange her. Und noch wichtiger: Vor ihrem eigentlichen großen Stimmenzuwachs, der bereits zwei Jahre her ist. Es täuscht darüber hinweg, dass die AfD seit etwa 2017 ihr Wähler*innenpotential ausgeschöpft hat. Es gibt einfach nicht mehr Menschen, die guten Gewissens die rechtsextreme Partei wählen wollen. Die Medien vertuschen unabsichtlich ebenfalls diesen Trend, weil gleichzeitig die (ehemaligen?) Volkparteien CDU und SPD Stimmen verlieren und im Vergleich zur AfD schrumpfen.
Wir brauchen PragmatismusDie AfD feiert unsere Panik, unsere Angst vor ihr. Vor ihren Anhänger*innen und vor der Presse spielt die AfD gerne das Opfer, aber sie möchte gleichzeitig stark und mächtig wirken. Das braucht sie für den Zusammenhalt nach innen. Und wenn wir alle kollektiv ihren Erfolg beschwören, dann machen wir kostenlose PR für sie. Denn wenn alle darüber reden, wie viele Menschen die AfD wählen und dass es angeblich immer mehr werden, überlegen sich auch immer mehr Menschen, sie zu wählen. Das funktioniert psychologisch leider so.
Wir müssen die AfD in die Ecke drängen. Denn solange sie mit vermeintlichen Wahlerfolgen wie in Thüringen, die eigentlich nur eine Zustimmung in den Parlamenten realisiert, die schon seit langem da ist, einen Siegeszug feiern kann, solange kann sie ihre internen Spannungen überdecken. Die AfD steht lange vor dem Zerreißen. Die Rechtspopulisten und Wirtschaftsliberalen nutzen die Stimmen der Rechtsextremen und diese nutzen sie als demokratisches Feigenblatt. Dabei sind sie tief zerstritten. Schon oft haben sich AfD-Fraktionen aufgelöst und selbst zerfleischtWenn die AfD – genauer: die Nicht-Faschisten in der AfD – realisiert, dass sie mit Höcke und Co keinen Antrieb, sondern Ballast haben – weil sie einen Deckel auf die Wählerstimmen setzen und den Verfassungsschutz auf den Plan rufen – kann der interne Konflikt die AfD besser besiegen als es jemand von außen könnte. Wenn sich die Faschisten abspalten – oder die Partei vollends übernehmen – dann können wir die demokratiefeindlichen PolitikerInnen entweder entmachten oder isolieren.
https://www.volksverpetzer.de/schwer-ve ... d-jammern/