AfD in Baden-Württemberg auf strammem RechtskursDer Landesverband der „Alternative für Deutschland“ im Südwesten galt einmal als „bürgerlich“. Geblieben ist davon nicht mehr viel.Sie sind Staatsanwälte, Rechtsanwälte oder Unternehmer mit beruflichen Erfahrungen in großen Industrieunternehmen oder Geldinstituten. Man könnte vermuten, eine gewisse Zivilität und Solidität würde auch ihr politisches Leben leiten. Doch in der AfD reüssiert eher ein Wutbürgertum, dem das Bürgerliche gänzlich abhanden gekommen ist. Zum Beispiel in ihrem baden-württembergischen Landesverband. Vier Mitglieder machten dort in den letzten Wochen Schlagzeilen.
Aktuellster Fall ist der des Bundestagsabgeordneten Thomas Seitz (50). Vor seinem Wechsel nach Berlin arbeitete er als Staatsanwalt in Freiburg. Immer wieder fiel er mit wüsten Statements auf, die er via Facebook verbreitete. Flüchtlinge nannte er „Invasoren“ und „Migrassoren“. Ein Bild zeigte den Koran in einer Kloschüssel. Die Justiz? Bei Seitz wurde sie zur „Gesinnungsjustiz“.
Ex-Staatsanwalt soll Beamtenstatus verlieren
In dieser Woche stand Seitz vor dem Richterdienstgericht in Stuttgart. Seine Dienstvorgesetzten im baden-württembergischen Justizministerium wollen ihm den Beamtenstatus aberkennen lassen. Wiederholt habe sich Seitz rassistisch geäußert, sein Amt als Staatsanwalt mit seinen politischen Äußerungen verquickt, attestieren sie ihm. Insgesamt 17 Fälle haben sie aufgelistet. „Ihre Aussagen lassen ein Menschenbild erkennen, das dem Grundgesetz diametral entgegen steht“, sagte ein Vertreter des Landes in der mündlichen Verhandlung.
Eine Entscheidung will das Gericht erst in den kommenden Wochen verkünden. Als sicher kann gelten: Egal wie das Urteil ausfällt, dürfte der Fall Seitz noch weitere Gerichte beschäftigen. Nichts ändern dürfte sich zudem am Weltbild des Ex-Staatsanwalts. In einem Satz zusammengefasst: „Das Deutschland der korrupten Altparteien ist ein einziger Augias-Stall, die AfD ist der Herkules, der ihn ausmistet.“
„Vogelschiss“-VerteidigungEmil Sänze (68) hat für große Autokonzerne gearbeitet, zwischendurch für ein Geldinstitut. Bis zum Geschäftsführenden Gesellschafter und Geschäftsführer zweier Unternehmen brachte er es schließlich. Mittlerweile ist er stellvertretender Vorsitzender der AfD-Fraktion im Stuttgarter Landtag. In dieser Funktion fiel er kürzlich auf, weil er gegen Landtagspräsidentin Muhterem Aras von den Grünen vom Leder zog. Aras hatte zuvor auf einer „Gedenkstättenreise“ fünf Orte besucht, die an die Zeit des Nationalsozialismus und an die Verfolgung von Juden erinnern. Ein Satz aus einer Pressemitteilung des Landtags hatte Sänze besonders auf die Palme gebracht. Aras hatte gesagt: „Gerade ein so brutaler und tiefer Einschnitt wie der Holocaust ist eben kein Vogelschiss, den man vom glänzenden Lack ‚made in Germany‘ abwischen kann.“
„Im Grunde erleben wir hier nur wieder eine Migrantin aus einer anderen Kultur und Geschichte, die auf dem Ticket eines angeblich ewigen deutschen Rassismus in eine privilegierte Stellung reiten will“, schimpfte Sänze los. „Menschen wie Frau Aras“ würden „uns Deutschen die gesellschaftliche Wirklichkeit diktieren wollen“. Peinlich wirke es, „mit welcher geschmacklosen Verve unsere Landtagspräsidentin den deutschen NS-Schuldkomplex wieder für ihre politische Migrantengesellschaft-Agenda instrumentalisiert“. Im Gespräch mit der FAZ legte er gegen die Landtagspräsidentin, die seit fast zweieinhalb Jahrzehnten Deutsche ist, noch nach: Aras werde in Deutschland „nie voll integriert sein qua ihrer Herkunft“. Nicht Aras, sondern „wir Deutsche“ seien für Gefühle in der Gedenkkultur zuständig.
„Kaputtgesoffene Politiker“Dubravko Mandic (38) arbeitet als Rechtsanwalt in Freiburg. Beim AfD-Parteitag Anfang Juli fiel er bei der Wahl des Bundesschiedsgerichts durch. Er zählt zum äußersten rechten Flügel der Partei. Damit ist der Ex-Präsident des baden-württembergischen Landesschiedsgerichts zwar nicht mehrheitsfähig in der AfD, aber er ist ihr integraler Bestandteil.
Kurz vor dem Augsburger Parteitag kündigte er auf Facebook an, in Deutschland werde „aufgeräumt“. Und er verriet auch, wer neben der Kanzlerin verschwinden müsse: „Mit Merkel zusammen müssen auch etwa 870.000 Kollaborateure aus den Ministerien, Fernsehstudios, Lehrkörpern, Sozialämtern und Gewerkschaften entsorgt werden.“ Der Beitrag wurde später gelöscht – das Denken in den Kategorien der Abfallwirtschaft und des Krieges aber bleibt.
Einer, der offenbar ganz ähnlich denkt, ist der Landtagsabgeordnete Stefan Räpple (37). Seine berufliche Vita liest sich nicht ganz so glänzend wie die von Seitz oder Sänze. 2015 ließ er sich nach eigenen Angaben zum Hypnoanalytiker und Heilpraktiker für Psychotherapie ausbilden. Als Beruf gibt er „Mentaltrainer und Psychologischer Berater“ an. Mitte Juli veröffentlichte er den Text einer Rede, die er im Landtag nicht halten konnte, weil die AfD ihr Zeitkontingent bereits ausgeschöpft hatte. Räpples Beitrag hatte es in sich. Bei den Christdemokraten handele es sich „nicht nur um fettgefressene, sondern offenkundig auch noch um kaputtgesoffene Politiker“, ließ er wissen. Vertreter der SPD nannte er „Koksnasen“, Politiker der Grünen „Antifa-Kiffer“. Sie allesamt würden ihm im Landtag als „ein Bild von gelinde gesagt einem ziemlich faulen Haufen floskelschwingender Parlamentsfüllmasse“ erscheinen. Die Politiker der „Altparteien“ hätten „die Bezeichnung Volksverräter nun wirklich verdient“. Auch das Landesverfassungsgericht bedachte Räpple: Das sei „komplett korrumpiert“.
Distanz mit EinschränkungVertreter von Grünen, CDU, SPD und FDP forderten die AfD-Fraktion auf, Räpple aus ihren Reihen auszuschließen. Die AfD veröffentlichte daraufhin eine Erklärung, in der sie es schaffte, sich einerseits von Räpple abzusetzen, um andererseits festzustellen, dass er zumindest ein wenig doch recht habe. „In aller gebotenen Schärfe“ distanziere man sich von Räpples Aussagen, die „ausschließlich seine Privatmeinung widerspiegeln und nicht im Namen der Fraktion geäußert“ worden seien. „Weder im Inhalt noch in der Wortwahl“ stünden sie im Einklang mit den Zielen und Werten der AfD-Fraktion, die Räpples „Eigenmächtigkeit“ nach der parlamentarischen Sommerpause eingehend debattieren werde. Aber: „Mit ihrer Anmaßung, sich unter Vorspiegelung ,demokratischer Prinzipien' zum wiederholten Male in die inneren Angelegenheiten der AfD-Fraktion einmischen zu wollen“, seien es die anderen Parteien, „die den von der AfD ausdrücklich nicht mitgetragenen Aussagen Stefan Räpples letztlich sogar recht geben“.
Die AfD steht vor einem Dilemma: Ließe sie Räpple fallen, würde früher oder später die Frage auftauchen, warum sich Leute wie Mandic, Seitz und Sänze so munter in den Reihen der Partei tummeln dürfen.https://www.bnr.de/artikel/hintergrund/ ... rechtskurs