von Transitfahrer » 14. Februar 2019, 12:54
Weiter mit Teil 2
Der Leiter des Jugendwerkhofes Burg wird als »Pascha« bezeichnet. Er lehnt jede Kritik an seiner Person ab und droht dem Erziehungspersonal bei kritischen Bemerkungen mit Entlassung. In der Außenstelle Niederdodeleben des Jugendwerkhofes Burg ist der Leiter ein ehemaliger selbstständiger Friseurmeister, dessen Ehefrau wegen Wirtschaftsverbrechen mit Zuchthaus bestraft wurde. Ähnliche kaderpolitische Verhältnisse wurden u. a. an den Jugendwerkhöfen Gorgast, [Kreis] Seelow, Rühn und Bützow festgestellt.2
In welchem Maße sich mangelnde politisch-ideologische und menschliche Reife sowie fehlende pädagogische und psychologische Kenntnisse der Erzieher und Ausbilder im negativen Sinne auf die Erziehungsarbeit an den Jugendwerkhöfen auswirken, zeigten Untersuchungen in den Jugendwerkhöfen Eckartsberga, [Kreis] Naumburg, Reinstorf, [Bezirk] Rostock, Gorgast, [Kreis] Seelow und Neuoberhaus, [Kreis] Schwarzenberg.
In Eckartsberga, [Kreis] Naumburg, wurde z. B. unter dem Begriff »Selbsterziehung der Zöglinge« die Prügelstrafe als Erziehungsmethode unter den Jugendlichen eingeführt. In Abwesenheit, aber mit Wissen der Erzieher, wurden z. B. Übertretungen einzelner Jugendlicher in den Nachtstunden durch Prügelstrafen geahndet. Im Jugendwerkhof Neuoberhaus, [Kreis] Schwarzenberg, führte die unzureichende politisch-ideologische Erziehungsarbeit Anfang Oktober 1963 zu einer negativen Gruppenbildung faschistischen Charakters. Die Jugendlichen verherrlichten den Faschismus, sprachen sich mit SS-Dienstgraden an, sangen faschistische Lieder und terrorisierten schwächere Jugendliche mit Gummiknüppeln. Weiterhin hörten sie Westsender ab und planten einen bewaffneten Grenzdurchbruch. Um in den Besitz von Waffen zu kommen, wollten sie einen ABV der VP entwaffnen. Zu einer Gruppenbildung mit derartigem Charakter kam es auch am Jugendwerkhof Reinstorf, [Bezirk] Rostock.
Unter den Zöglingen des Jugendwerkhofes Gorgast waren Prügelstrafen ebenfalls an der Tagesordnung und neben einer schlechten inneren Ordnung u. a. auch mit der Grund für die zahlreichen Entweichungen. Das Erzieherkollektiv hatte Kenntnis von diesen Vorkommnissen, leitete aber keine Maßnahmen zur Veränderung ein. Die vorgesetzten Dienststellen und die Sicherheitsorgane wurden auch nicht davon unterrichtet, dass die Jugendlichen sich Schlagringe und andere Hiebwaffen anfertigten und Diebstähle begingen. Bei einem Teil der Erzieher resultiert diese Haltung aus ihrer rückständigen bürgerlichen Denkweise, die sich z. B. in folgenden Auffassungen widerspiegelt: »Den Jugendlichen sei der Hang zum Vergehen angeboren; die Jugendlichen würden eine Besserung von vornherein ablehnen, deshalb seien alle Versuche nutzlos.« Im Zusammenhang damit wird wiederholt für die Einführung einer sogenannten Jugendhaft plädiert, weil angeblich die zur Verfügung stehenden Mittel und Methoden der Erziehung, besonders bei wiederholt straffällig gewordenen Jugendlichen, nicht ausreichend seien. Derartige Auffassungen werden besonders dort vertreten, wo es die Erzieher und Ausbilder aufgrund fehlender pädagogischer und psychologischer Kenntnisse nicht verstehen, eine richtige Einheit zwischen der gesellschaftlichen Erziehung und den Elementen des Zwanges herbeizuführen.
Aus den vorliegenden Hinweisen ist weiter ersichtlich, dass es in einer Reihe von Jugendwerkhöfen zu unmoralischen Vergehen von Erziehern und Ausbildern gekommen ist, wodurch auch gleichzeitig ihre Autorität untergraben wurde. Derartige Vergehen, zum Teil unter Mitwirkung von Jugendlichen bzw. unter Ausnutzung des Abhängigkeitsverhältnisses, gab es nach vorliegenden Hinweisen u. a. an den Jugendwerkhöfen Freital, Wolfersdorf, Bad Köstritz sowie in der Außenstelle Stroga des Jugendwerkhofes Röderhof3.
Im Jugendwerkhof Bad Köstritz z. B. bestanden intime Verhältnisse unter den Erziehern sowie zwischen Erziehern und Jugendlichen des Werkhofes. Diese Vorgänge waren unter den Jugendlichen allgemein bekannt. Im Jugendwerkhof Freital kam es wiederholt zu Trinkgelagen des Heimpersonals im Beisein von Jugendlichen. Außerdem unterhielt die Ehefrau des Leiters des Jugendwerkhofes intime Beziehungen zu mehreren Jugendlichen. Besonders häufig sind derartige Handlungen auch in Außenstellen der Jugendwerkhöfe anzutreffen, wo sich die Jugendlichen vielfach selbst überlassen sind und durch außenstehende Personen negativ beeinflusst werden. (Entsprechende Beispiele über weitere derartige Vorkommnisse liegen vor.)
Neben diesen moralischen Vergehen trugen auch Manipulationen mit Verwaltungs-, Lohn- und Prämiengeldern sowie Veruntreuung und Unterschlagung finanzieller Mittel durch Angehörige des Heimpersonals oder der Heimleitungen zur Untergrabung der Autorität bei. Begünstigt wurden diese Vergehen vor allem durch Unordnung in den Haushalten der Jugendwerkhöfe sowie durch die Vernachlässigung der Finanzkontrolle seitens der Räte der Kreise. In einer Reihe von Jugendwerkhöfen wurden größere Summen festgestellt, die über »illegale Kassen« liefen. Durch Untersuchungen an einigen Jugendwerkhöfen wurde z. B. bekannt, dass Erzieher sogenannte Strafkassen anlegten und sich mit Geldern aus diesen Kassen Genussmittel u. a. kauften. Über die Verwendung von Prämiengeldern, die sich die Jugendlichen durch Arbeits- und NAW-Einsätze verdient hatten, wurden keine Belege geführt. Typisch dafür sind folgende Beispiele: Im Jugendwerkhof Freital wurden insgesamt 17 Kassen geführt, u. a. für NAW-Prämien und für »Schadenersatzleistungen« der Jugendlichen. Außerdem bestanden zwei offizielle Konten. Über den Verbrauch der Gelder in Höhe von ca. 10 000 DM ist kein Nachweis vorhanden. Der Leiter versuchte mittels einer handschriftlichen Aufstellung 5 000 DM nachzuweisen. Eine Prämie von 850 DM, die den Jugendlichen vom Edelstahlwerk Freital verliehen wurde, konnte ebenfalls auf keinem Konto und durch keine Quittung belegt werden. Durch Manipulationen beim Verkauf von Waren an die Jugendlichen erzielte die Leitung dieses Werkhofes außerdem einen Gewinn von 1 120 DM. Als »Erziehungsmaßnahmen« wurden ungerechtfertigt hohe »Strafgelder« eingezogen. Zum Beispiel wegen Rauchens im Schlafsaal 25,00 DM, im Wiederholungsfall 75,00 DM, wegen Nichtabschaltens eines Bügeleisens 50,00 DM. Seit Bestehen des Jugendwerkhofes Anfang 1961 bis zum Juli 1963 wurden auf diese Art und Weise nachweislich 90 Jugendliche mit Strafen zwischen 5,00 bis 200 DM abgestraft und dabei 5 979,57 DM eingenommen.
Am Jugendwerkhof Bad Köstritz, [Kreis] Gera[-Land], wurden der Ehefrau des Heimleiters, die gleichzeitig als Gruppenerzieherin tätig war, Unterschlagungen in Höhe von ca. 5 000 DM und der Wirtschaftsleiterin Unterschlagungen in Höhe von 6 400 DM nachgewiesen. An den Unterschlagungen der Wirtschaftsleiterin waren auch der ehemalige Heimleiter und der Erziehungsleiter mitbeteiligt. Ungeklärt ist an diesen Jugendwerkhöfen auch der Verbleib von ca. 10 000 DM, die aus Arbeitseinsätzen der Jugendlichen stammen.
Diese Vorkommnisse tragen nicht nur dazu bei, die Autorität der Erzieher und des Heimpersonals zu untergraben, sondern gefährdeten auch das erstrebte Erziehungsziel, förderten Entweichungen von Jugendlichen und inspirierten z. T. die Jugendlichen zur Begehung erneuter strafbarer Handlungen.
Im Verlaufe der Untersuchungen wurden noch weitere Probleme bekannt, die sich negativ auf den Erziehungsprozess und die gesamte Arbeit an den Jugendwerkhöfen auswirken.
Von besonderer Bedeutung ist dabei, dass gegenwärtig an den meisten Jugendwerkhöfen nur für einen geringen Prozentsatz der Jugendlichen eine qualifizierte berufliche Ausbildung gewährleistet ist. Im Ergebnis dessen werden z. B. in Gebieten mit überwiegend landwirtschaftlicher Struktur die Jugendlichen aus den Werkhöfen als ungelernte Hilfskräfte mit einem Durchschnittslohn von 200 bis 240 DM im landwirtschaftlichen Arbeitsprozess eingesetzt. Andererseits zeigen sich in diesen Gebieten Tendenzen, die abgeschlossenen Lehrverträge über eine landwirtschaftliche Ausbildung nicht einzuhalten. Die Jugendlichen erhalten nur 55,00 DM Lehrgeld, werden aber weiter mit der Durchführung von Hilfsarbeiten beschäftigt, für die sie als ungelernte Kräfte höher bezahlt würden. Dadurch entstandene Unstimmigkeiten unter den Jugendlichen waren u. a. auch mit Anlass für Entweichungen aus den Jugendwerkhöfen der Kreise Nauen, Wismar und Strausberg.
Der Erziehungsprozess an den Jugendwerkhöfen wird weiter durch die unbefriedigende Einweisungspraxis behindert. Nach vorliegenden Hinweisen werden in die Jugendwerkhöfe immer noch relativ häufig Jugendliche eingewiesen, obwohl die Notwendigkeit einer Erziehung im Jugendwerkhof ungenügend überprüft wurde. Derartige Feststellungen wurden insbesondere bei Jugendlichen getroffen, die guten familiären Verhältnissen entstammen und deren Elternteile gesellschaftliche und staatliche Funktionen bekleiden. Da die Konflikte dieser Jugendlichen im Wesentlichen daraus resultieren, dass die Eltern infolge Arbeitsüberlastung wenig Zeit für die Erziehung ihrer Kinder fanden, wäre in den meisten Fällen bei Berücksichtigung dieses Umstandes durch die Eltern eine positivere Erziehung gegeben gewesen als durch die Einweisung dieser Jugendlichen in einen Jugendwerkhof. Bei der gegenwärtig noch vorherrschenden Einweisungspraxis kommen aber auch diese Jugendlichen erst näher mit straffällig gewordenen Jugendlichen in Berührung und geraten dadurch begünstigt auf »die schiefe Bahn«. Im Jugendwerkhof Reinstorf, [Kreis] Wismar, z. B. hätten bei Berücksichtigung dieser Umstände ca. 25 % der Zöglinge nicht in den Jugendwerkhof eingewiesen werden brauchen.
Zur Überwindung dieser Mängel und Missstände an den Jugendwerkhöfen werden – gestützt auf uns bekannt gewordene Ansichten von Mitarbeitern und Zöglingen der Jugendwerkhöfe – folgende Vorschläge und Empfehlungen unterbreitet:
Die Information ist wegen Quellengefährdung nur zur persönlichen Kenntnisnahme bestimmt.