von Rei » 4. März 2015, 22:35
Vor gut einem Jahr brach die "Ukraine-Krise" aus und bis heute wirkt es bisweilen absurd, unter welchen Vorzeichen wir Deutschen über den Krieg sprechen, der sich daraus entwickelt hat. Die meisten Bundesbürger, die im vergangenen Jahr in der Ukraine waren, finden sich in der Debatte daheim nicht mehr zurecht - bisweilen scheint es so, als ob von zwei verschiedenen Konflikten die Rede sei.
Das ist auch ein Erfolg der russischen Propaganda. In den vergangenen zwölf Monaten ist es in vielen Situationen schwierig gewesen, Wahrheiten zwischen lauter Halbwahrheiten zu erkennen.
Die Huffington Post nennt Ihnen die fünf schlimmsten Irrtümer derer, die Putins Propaganda erlegen sind.
1. Putin führt Krieg in der Ukraine. Kapiert es endlich.
Natürlich: Die Fallschirmjäger, die im Spätsommer 2014 im Osten der Ukraine aufgegriffen wurden, hatten sich bei einer Übung verlaufen. Und klar: Die vielen Hundert gefallenen russischen Soldaten, von denen auch die Mütterverbände reden, waren auf Urlaub in der Ukraine und haben sich in ihrer Freizeit am Töten beteiligt.
Wie die „Aufständischen“ in der Ostukraine so schnell an schweres Kriegsgerät kommen sind? Nicht von Interesse. Und wie sie an die monatelange Ausbildung gekommen sind, um Panzer, Raketenwerfer und Radarstationen zu bedienen? Nachrangig.
Deutsche Friedensbewegte zimmern sich seit mehr als einem Jahr ein skurriles Weltbild zusammen. Auf der einen Seite der böse „Westen“, wo Nato-Strategen in Zusammenarbeit mit den Rüstungskonzernen an einem neuen Krieg basteln und die Bevölkerung hinter die Fichte führen wollen. Auf der anderen Seite ein gedemütigter russischer Präsident, der deshalb natürlich das Recht habe, die Krim und andere Teile der Ukraine zu beanspruchen.
Das ist lächerlich. Weil es so unfassbar wirklichkeitsfremd ist.
Erst kürzlich veröffentlichte die russische Zeitung „Nowaja Gaseta“ ein Interview mit einem russischen Panzerartilleristen, der bei einem Gefecht nahe Donzek schwer verwundet wurde. Der Mann gab detailliert Auskunft darüber, wie er seinen Panzer tarnen musste, unter welchen Umständen er in die Ukraine gekommen war und dass er Teil einer regulären Armeeeinheit war.
Um es mit den Lieblingsworten vieler Foren-Trolle zu formulieren: „Wacht auf!“ Wladimir Putin führt Krieg in der Ukraine. Unter Bruch des Völkerrechts hat er seine Soldaten in einen souveränen Staat einmarschieren lassen. Wenn jemand in Europa derzeit herum zündelt, dann ist er es.
2. Ihr seid Teil des Kriegs – und merkt es noch nicht einmal.
Ein ebenfalls von der „Nowaja Gaseta“ veröffentlichtes Papier enthüllte vor einer Woche, dass der Kreml eine großangelegte PR-Kampagne inszenierte, um das „Abdriften“ von Teilen der Ukraine in Richtung der Russischen Föderation zu ermöglichen. Das zumindest legen die Anfang 2014 niedergeschrieben Planungen nahe.
Experten gehen mittlerweile davon aus, dass mediale Kampagnen ganz entscheidend für den Erfolg von modernen Kriegen geworden sind. Ganz besonders dann, wenn sie gegen Demokratien geführt werden, wo sich die Regierungen gegenüber dem Volk verantworten müssen. Mit den Mitteln des Internets ist es viel leichter als noch vor 20 Jahren, auf Öffentlichkeiten Einfluss zu nehmen.
Wie die russische Propaganda in westlichen Ländern wirkt, hat im November der amerikanische Historiker Timothy Snyder erklärt. Das Prinzip sei dem von „Fox News“ ähnlich: Bei der Verschleierung von russischen Kriegshandlungen gehe es nicht mehr darum, eine dezidierte Gegenposition auf den Markt zu bringen, sondern Dutzende Halbwahrheiten, hinter denen die Realität schließlich nicht mehr zu erkennen ist.
Die so gestreuten Zweifel fallen auf fruchtbaren Boden – denn in der Tat haben einige westliche Regierungen seit September 2001 gute Gründe für eine gehörige Portion Misstrauen geliefert. Und kritische Fragen gehören in einer Demokratie dazu.
Und doch sind derzeit Millionen von Deutschen von ihrer eigenen Aufgeklärtheit besoffen – und merken nicht, dass sie Instrumente in einem Krieg neuer Art geworden sind.
3. Die Ukraine ist euch scheißegal.
Der Tonfall, mit dem in Deutschland über die Ukraine gesprochen wird, ist erschreckend. Ob es nun der berüchtigte Aufruf „Wieder Krieg in Europa? Nicht in unserem Namen!“ ist, in dem kaum von der „Ukraine“ die Rede ist. Oder die Tiraden der Linksfraktion im Bundestag, wo das ukrainische Staatswappen gern mal als „Nazi-Symbol“ tituliert wird. Allzu häufig ist die Ukraine „Vorgarten“ oder „Hinterhof“ von irgendwelchen Großmächten. Ein Land mit mehr als 40 Millionen Einwohnern, dessen heutiges Territorium im Zweiten Weltkrieg zu den am schlimmsten vom deutschen Terror betroffenen Gebieten gehörte.
Natürlich sagt das auch viel über das deutsche Geschichtsverständnis aus, wenn die Generation der Enkel und Urenkel irgendwas von einer „faschistischen Junta“ daher plappert, die angeblich in Kiew die Macht übernommen hatte.
Aber es lässt auch tief blicken, was die Sichtweise auf die Völker Osteuropas angeht. Russland mag als größte slawische Nation in den Augen vieler Deutscher noch satisfaktionsfähig sein. Den Ukrainern dagegen sprechen viele Millionen Deutsche die Staatsfähigkeit ab. Genau das ist nämlich der Fall, wenn von „Einflusssphären“ die Rede ist. Dahinter steckt bei so manchem eine subtile Form von Rassismus.
Lange Zeit haben die Deutschen übrigens auch Polen für nichts staatsfähig gehalten. Daran hat kürzlich der ehemalige polnische Botschafter Janusz Reiter erinnert. Diese Haltung war insbesondere während der Weimarer Republik in weiten Teilen des Bürgertums populär. Auch damals war von „Einflusssphären“ die Rede – die Jahre später schließlich im Hitler-Stalin-Pakt schriftlich fixiert wurden. Was danach passierte, dürfte bekannt sein.
4. Ihr begebt euch in seltsame Gesellschaft.
Keine Frage, die Linkspartei hat sich in den vergangenen zehn Jahren große Verdienste erworben. Mit ihren konsequenten Pazifismus und dem kategorischen Nein vom Afghanistankrieg war sie die einzig glaubwürdige Alternative für überzeugte Kriegsgegner. Nach 2008 hat die Partei wichtige Kapitalismuskritik geübt. Und oft genug war die Linke am lautesten, wenn gegen Diskriminierung und für Gleichstellung gestritten wurde.
Woher die eigenartige Solidarität mit Putin jedoch kommt, bleibt schleierhaft. Zur Erinnerung: Russland liegt auf der „Rangliste der Pressefreiheit“ derzeit auf Platz 152, auf dem Korruptionswahrnehmungsindex auf Rang 136. Putin hat sein Militär in den vergangenen Jahren massiv aufgerüstet und zuvor bereits in Georgien und Tschetschenien Krieg geführt.
All das ist kaum vereinbar mit linken Idealvorstellungen.
Auch in dem Buch „Russland verstehen“ von Gabriele Krone-Schmalz findet sich eine ziemlich merkwürdige Stilblüte, die wohl ebenfalls dem Eifer des Verteidigungsgefechts geschuldet sein dürfte.
Krone-Schmalz schreibt von einem „Hype um das Thema Homosexualität“, wenn es um die Diskussion über Russland geht. In Deutschland sei Homosexualität früher auch strafbar gewesen. Und überhaupt, sie habe ja selbst schon sehr früh homosexuelle Freunde gehabt. Als ob das eine Entschuldigung sei dafür, dass sie im Jahr 2015 ihre Augen vor dem tausendfachen Unrecht verschließt, das jeden Tag in Russland stattfindet.
Aber so geht es vielen Putin-Verstehern derzeit: Sie driften in ein Milieu ab, in das sie eigentlich gar nicht hinein gehören. Weil sie nicht sehen wollen, was nicht sein darf.
5. Die Kritiker „des Westens“ haben oft genug den Glauben an die Demokratie verloren.
Und auch, wenn es nur wenige so deutlich sagen: Wer „den Westen“ pauschal kritisiert, begeht damit einen verräterischen Denkfehler. Besonders, wenn es um politische Fragen geht. Natürlich haben westliche Staaten in den vergangenen Jahren verheerende außenpolitische Fehler begangen. Allen voran die USA.
Der Einmarsch in den Irak im Jahr 2003 basierte nicht nur auf Lügen, er stellte auch einen mehrfachen Bruch des Völkerrechts dar.
Warum daran aber nun der gesamte westliche Kulturraum Schuld sein sollte? Als ob Schweden und Norwegen Teil der „Coalition of the Willing“ gewesen wären. Als ob kanadische Soldaten in Abu Guraib gedient hätten. Als ob es nicht den viel beachteten Schulterschluss zwischen Gerhard Schröder und Jacques Chirac im Januar 2003 gegeben hätte, mit einem deutlichen Nein zum Irakkrieg.
Dass es westliche Länder gab, die nicht jede Dummheit der Bush-Regierung mitgemacht haben, liegt daran, dass jede einzelne dieser Regierungen ihr Handeln vor der Bevölkerung rechtfertigen muss. Völlig zu Recht haben im Februar 2003 insgesamt 500.000 Menschen in Berlin gegen den damals drohenden Krieg demonstriert.
Ähnlich verhielt es sich bei den Luftschlägen in Libyen, als Außenminister Guido Westerwelle sich im UN-Sicherheitsrat der Stimme enthielt. Und auch im Falle des Afghanistankriegs, wo mehrere Regierungen (unter anderem Spanien) aufgrund politischen Drucks ihren Abzug erklärten.
Wer alle westlichen Staaten nun in einen Topf wirft, oder am besten nur noch von einer blockweise agierenden „Nato“ spricht, der leugnet diese wichtigen Prozesse, die in jeder Demokratie stattfinden. Das ist nicht nur historisch falsch, sondern auch sehr gefährlich.
Na,was nun
Rei