Prager Schreivon Annemarie Lemster 04.11.2009
1989 war die Unzufriedenheit der Menschen in der damaligen DDR sehr groß. Aus der Ferne, am Fernsehapparat, verfolgte ich jeden Tag die Nachrichten, die über die Montagsdemonstrationen berichteten. Dann war ich erschüttert, als ich sah, wie sich ostdeutsche Bürger in ihrem Urlaub in die Botschaft der Bundesrepublik in der CSSR flüchteten. Von Tag zu Tag wurden es mehr. Ich war so erschüttert, dass ich keine Nachrichtensendung verpassen wollte. Da wurde der Botschaftsgarten gezeigt, der voll von Menschen war, die dort schon Tage auf eine Lösung ihres Problems warteten.
Sie wollten doch nur in die Bundesrepublik, in unser aller Deutschland, ausreisen. Ich, die immer in einem geordneten Staat gelebt habe, konnte nicht begreifen, was ich dort sah. Da hielten Menschen ihre Kinder vor dem Zaun hoch, damit die Menschen, die schon hinter dem Zaun waren, sie entgegennahmen, um dann selbst den hohen Zaun zu überwinden. Wie viele Menschen schon hinter diesem Zaun der Botschaft waren, wussten sie nicht und alle glaubten, der Botschafter könne ihnen helfen. Immer habe ich im Leben versucht, in den Gesichtern der Menschen zu lesen,
in diesen Gesichtern stand alles: Angst, Hoffnung, Glück und auch eine große Leere. Es waren schon zu viele Menschen in der Botschaft, ein normales Leben konnte es hinter dem Zaun nicht mehr geben. In den Nachrichten habe ich zwar gehört, Herr Genscher, unser damaliger Außenminister, steht in Verhandlungen. Mit welchen Regierungen und wie eine Lösung aussehen sollte, konnte ich mir nicht vorstellen.
Am 30. September 1989, es war ein Abend und schon dunkel, alle Fernsehkameras waren auf den Balkon des Botschaftshauses gerichtet, da trat Herr Genscher auf den Balkon. Nur schemenhaft konnte man ihn sehen. Die Menschen redeten alle durcheinander, jemand rief „Ruhe“. Es wurde ein wenig ruhiger. Herr Genscher sprach zu den Menschen im Garten: „Liebe Landsleute, wir sind zu Ihnen gekommen, um Ihnen mitzuteilen, dass heute Ihre Ausreise...“ weiter verstand man ihn nicht mehr.
Aus Tausenden Kehlen kam ein jubelnder Aufschrei, den ich in meinem Leben nie mehr vergessen werde.Sie hatten es geschafft. In den folgenden Tagen sah ich, wieder im Fernsehen, die Züge mit winkenden Menschen an den Fenstern. Sie fuhren endlich in das Deutschland, das sie in all den Jahren nicht besuchen durften.
http://www.zeitzeugen.bplaced.net/erleb ... fe011d5c0bAuch wenn ich es nur am TV erlebt habe, aber diesen Moment und diesen Aufschrei der Menschen werde auch ich nie vergessen und selbst nach fast 3 Jahrzehnten, treibt das damalige Geschehen mir immer noch die Tränen in die Augen..