Die Flucht des Dr. 213
Herbst 1984.
Im Anschluss nach der abgeschlossenen Lehre als Maschinist habe ich einen Hilfsjob
auf der Warnowert in Warnemünde zugewiesen bekommen. Für einem Arbeitsunfall,
zu dem ich gar nichts konnte, wurde ich bestraft. Und das nur, damit der eigentliche
Übeltäter, ein "Kandidat der SED" der Arsch sauber gehalten wurde.
Es gehört mit in die Fluchtgeschichte weil es der finale Auslöser dafür war,
Widerstand zu zeigen und meine Flucht aus diesem schönen Land vorzubereiten.
Ich bin mal wieder mal bei meinem "Traumjob" und hänge wie meistens irgendwelche Sachen an den Kran.
Geistig nicht besonders anspruchsvoll. Es regnet und stürmt wie so oft zu dieser Jahreszeit an der Küste.
Kein Problem denn ich habe ja eine gelbe Regenjacke die ich nur aus dem Spind holen muß.
Die Umkleide ist gut 500 Meter weit weg und so mache ich mich auf den Weg.
Endweder aus Mangel an Umkleideräumen in Arbeitplatznähe, oder aus reiner Schikane hatte man mir eine
so weit entfernten Umkleide zugeteilt. Dort angekommen gibt es erst einmal einen selbst gekochten Tee.
Grusinische Mischung im Teebeutel natürlich. Mit extra viel Zucker.
Omas alter 1- Tassen Tauchsieder macht`s möglich.
Und genau das richtige bei diesem stürmisch- nasskalten Mistwetter.
Als ich wieder zurück zum Kran komme, wird gerade eine Palette an Bord eines der bereits fast fertigen
Schiffe am Ausrüstungskai gehoben. Ich sehe noch wie der große Kran ungewöhnlich nervös
herum manövriert. Als gelernter Kranführer habe ich natürlich selbst einen besonders guten Blick dafür.
Irgend etwas stimmte hier nicht. Aber ich denke mir zunächst nichts dabei.
Der Kranführer da oben wird schon wissen was er tut. Einige Minuten später kommt die Palette wieder
herunter und ich sehe darin geborstene Blei- Akkus.
Der dicke Meister kommt kurz darauf mit seinem Dienst- Fahrrad angeradelt.
Die Szene erinnert mich an einen frühkindliches Zirkuserlebnis bei dem
ein echter Elefant auf einem kleinen Dreirad aus Stahlrohr im Kreis fährt.
Nur dieses mal ist es eben der Meister auf seinem Dienstfahrrad.
Er japst wie immer heftig nach Luft und verkündet mit quiekender Stimme etwas von Ärger und das
es noch ein böses Nachspiel für uns geben würde. Dabei rollen seine Schweinsäuglein im Kreis herum.
Ich erfahre nun endlich was überhaupt geschehen war.
Beim Absetzen der Kranladung oben auf dem Schiff war eine Palette mit Notromakkus zu Bruch gegangen.
Ich messe dem zunächst keine weitere Bedeutung bei. Schließlich hatte ich
die besagte Palette nicht angebunden, ja ich war noch nicht einmal dabei gewesen.
Und darum ich mir auch überhaupt keinerlei Schuld bewußt.
Tage später kommt der Hammer:
Ich werde zusammen mit meinem Kollegen vom Bodenpersonal plus dem Kranführer zu einer Verhandlung
der Konfliktkommision vorgeladen.
So nannte man in der DDR diese Art Laiengericht. Eine DDR- Spezialität.
Der Vorsitzende war der Sprache nach unverkennbar Ostpreuße.
Er fügte jedem seiner gesprochenen Sätze stets noch ein unbewußtes und in dieser Situation
für mich besonders höhnisch empfundenes "Nich wahr ?" hinten an.
Die Sache wird so dargestellt, dass ich natürlich auch mit schuldig wäre.
Denn als eingeteilter Anschläger bin ich für das korrekte Befestigen der Ladungen mit verantwortlich.
Mein Einwand, ich sei erst wieder am Kran gewesen als die Last schon lange oben war,
wurde natürlich abgewürgt. Der Vorsitzende begründete mit offenbar sehr weit geholten Argumenten
meine Mitschuld. Ich bekam eine Strafe von etwa 180 Mark.
Viel Geld damals, bei einem Monatslohn von nur 600 Ost- Mark.
Auf diese Summe kam man auch nur mit vielen Überstunden.
Der junge Kranführer wurde - als Kandidat der SED- natürlich nur verwarnt.
Ich könnte kotzen ! Ich hasste fortan das System dafür und wollte nur noch abhauen.
Das war dann zugleich auch das Ende der Freundschaft zur Werft.
Kurz darauf kündigte ich meinen Job was in der damaligen DDR eigentlich überhaupt nicht üblich war.
Der Abteilungsleiter wollte meiner Kündigung zuerst nicht zustimmen.
Verhindern konnte er sie jedoch nicht. Der Rest war reine Formsache. Am letzten Tag erhielt ich den Laufzettel.
Das herumlaufen um all die vielen Stellen abzuklappern beschäftigte mich einen ganzen Tag lang.
Werkzeugmarken abgeben. Arbeitsklamotten abgeben und noch jede Menge Schriftkram.
Letzter Punkt auf meinem Zettel ist die Personalabteilung. Es ist nun schon später Nachmittag.
Der Mann von der Personalabteilung wollte mir noch einen Arbeitsplatz im Hafen andrehen.
Aber da wußte ich gleich, daß es eine unbeliebte, weil harte und zudem schlecht bezahlte Hilfstätigkeit
im 3- Schichtsystem war. Darum wurden dafür auch immer Leute gesucht. Ich lehnte dankend ab.
Meine Geld- Strafe von diesem Amateurgericht bezahlte ich aber selbstverständlich noch.
Was blieb mir auch anderes übrig.
1985 Arbeitslos in der DDR
Jeder der behauptet, es gab in der DDR keine Arbeitslosigkeit, der lügt.
Was sollte ich nun anfangen ? Irgend eine neuer Job mußte her.
Mit LKW- Führerschein und Kranführerschein gab es genug offene Stellen.
Soweit ich es aber auch versuchte, immer nur Absagen sobald zur Sprache kam,
daß ich meinen alten Job auf der Werft selbst gekündigt hatte.
Wahrscheinlich hatte sie auch meine Kaderakte angefordert oder bereits sogar
Anweisung von oben erhalten, mich extra nicht einzustellen.
Und den Wehrdienst hatte ich ja auch noch nicht abgeleistet.
Glücklicherweise war ich finanziell in der Lage, eine gewisse Zeit ohne Arbeit zu überstehen.
Zeit, in der ich beschloß mein Leben zu ändern.
Ich hatte nur noch ein Ziel. Dorthin zu gehen, wo das besser Leben war.
Endlich einen Beruf zu haben der mir Spaß macht und der zu meinen Fähigkeiten paßt.
In der DDR sah ich da wirklich keine Zukunft mehr.
Zum Glück war ich nicht der Typ der seinen Kummer im Alkohol ertränkt.
Ich hatte ja genug Phantasie und sogar schon einen Plan B im Hinterkopf.
Nun wurde er wieder aktuell. Jedoch wollte ich nichts überstürzen.
So eine Flucht würde nicht leicht werden und brauchte viel Vorbereitung.
Ich lies mir also Zeit und sondierte viele unterschiedliche Fluchtwege.
Frühjahr 1985
Außer Vorstellungsgespräche haben meine Bewerbungen keinen Erfolg.
Egal, für mich beginnt nun die Suche nach einem Fluchtweg aus der DDR.
Ideen hatte ich inzwischen einige. Darunter waren auch ganz ausgefallene.
So wie etwa mit einem Gleitdrachen von einem Ostberliner Hochhaus über die
Mauer nach Westberlin hinüber fliegen. Aus Erfahrung wußte ich wie leicht
man in Ost- Berliner Hochhäuser gelangt. Ja, Berlin wäre gar nicht so schlecht,
da kenne ich mich gut aus.
Und das kam nämlich so:
In den Sommerferien war ich gerne für einige Tage bei meiner Tante in
Ost- Berlin zu Besuch. Es waren stets die schönsten Ferien für mich.
Bei einem meiner vielen Stadtbummel traf ich zufällig in Berlin auf dem Schwarzmarkt
vor dem Ostbahnhof einen Schüler aus einer Parallelklasse meiner Heimatstadt.
Er war einer der Schwarzmarkthändler auf dem Platz vor dem Kaufhaus.
Ungefähr da wo es zum großen Delikat- Supermarkt ganz unten im Kaufhaus ging.
Das muß man sich mal vorstellen, man trifft 300 Kilometer weg von zu Hause
und noch dazu in einer großen Millionenstadt ein bekanntes Gesicht.
R. war schon ein richtiger Profi auf dem Schwarzmarkt am Ostbahnhof.
Ich sah ihm eine ganze Weile zu.
Dann irgendwann wollte ich es auch mal mit dem Verkauf probieren.
Er führte mich in das Geschäft ein und bald darauf war ich selbst Händler.
Der Wareneinkauf fand in den Eingängen der beiden Hochhäuser gleich in der Nähe statt.
Dicke Geldscheinbündel wurden zu den polnischen Zwischenhändlern hinüber
gereicht und gegen die Waren getauscht. Wir kauften prall gefüllte Plastik- Tüten voll
mit Spiegel- Sonnenbrillen, Modeschmuck aus falschem Silberdraht und solche Sachen.
Unglaublich, welche Mengen von dem Zeug in die kleinen Fiat's der Polen hinein paßte.
Die hatte ihre Waren einfach in große Kunststoff- Müllsäcke gestopft.
Auf dem Schwarzmarkt, keine 200 Meter weg, verkauften wir alles wieder.
Wir machten gigantische Gewinne. Spät am Nachmittag, wenn der Verkauf auf dem
Schwarzmarkt nicht mehr lohnte, tranken wir wie die Könige in der kleinen Bar
des Kaufhauses am Ostbahnhof Gin-Tonic.
Mit dicken Geldscheinbündeln in den Taschen fuhren wir Heim.
Ich machte die Tour noch ein paar mal alleine und natürlich immer mit Gewinn.
Hatte man besonders gut verkauft war es auch üblich, einen Teil des Gewinnes
gegen Westmark zu tauschen. Zum üblichen Kurs von etwa 20 zu 1.
Die polnischen Händler hatten irgendwie die Möglichkeit das Ostgeld nach Westberlin
zu schmuggeln um es dort in D- Mark umzutauschen.
Irgendwann wurde die Geschäfte aber immer flauer und die Sommerferien waren
auch fast vorbei. Das war dann auch des Ende dieser lukrativen Touren.
Eigentlich auch ganz gut so, denn sonst hätte man uns sicher irgend wann mal geschnappt.
Zurück zu den Ost- Berliner Hochhäusern:
Von so einem Dach, so überlegte ich, müßte es doch möglich sein unbehelligt nach
Westberlin zu kommen. Mit einem Gleitdrachen.
Ja, ganz einfach wie ein Vogel hinüber fliegen das wäre schon toll.
Leider war diese Idee völlig abgehoben.
Ich hatte nämlich überhaupt keine Ahnung vom Fliegen. Informationen zu beschaffen
war fast unmöglich. Damals gab es noch kein Internet in dem man hierzu einfach mal
eine Suchmaschine danach fragen konnte. So fehlten mir natürlich auch Baupläne.
Und eine Garage oder gar eine voll ausgestattete Werkstatt wären dazu auch notwendig gewesen.
Eine Transportmöglichkeit und ein abgelegenes Testfluggelände hatte ich ebenfalls nicht.
Und ich fürchtete einen Absturz schon beim Start.
Also doch alles Hirngespinste, jedenfalls war auch das nichts für mich.
Die Landgrenze kam auch nicht in Frage. Ich hatte gehört, daß auf Karten der DDR
mit Absicht falsche oder sogar keine Details vom Grenzgebiet zu sehen waren.
Ohne Orientierung den richtigen Weg zu finden wäre viel zu riskant.
Die Ostseegrenze erschien mir dagegen viel ungefährlicher für eine Flucht in den Westen.
Und die Ostsee lag ja für mich auch fast vor der Haustüre.
Ich hatte mir überlegt, wie man so eine doch recht lange Strecke über die Ostsee am besten
schaffen könnte. Ich war sicher ein guter Schwimmer.
Jedoch nur alleine mit Muskelkraft würde es so gut wie unmöglich sein. Ich brauchte
irgendeinen Antrieb, etwas mit einen Motor, oder vielleicht doch mit Hilfe von Schwimmflossen ?
Ich hatte erfahren, daß es auf dem Gelände vom VEB Fischkombinat in Rostock- Marienehe
eine Werkstatt gab, in der zu Sportzwecken richtige Monoflossen gebaut wurden.
Man müsse nur am Werkstor zu dem Pförtner dort sagen: „zum Flossenbau“ und schon
würde man ohne weitere Fragen unbehelligt durchgelassen. Das wollte ich gerne mal testen.
Normalerweise sind Schwimmflossen ja zweiteilig so wie ein Paar Schuhe.
Jeder kennt diese Dinger die man zum Schnorcheln im Urlaub benutzt.
Diese Monoflossen sind jedoch etwas größer und aus einem Stück gemacht.
Und auch mit nur einem gemeinsamen Einstig für die Füße.
Mann sieht mit so einem Ding so ähnlich wie eine Meerjungfrau aus.
Benutzt werden solche Monoflossen üblicherweise zum Streckenschwimmen und Tauchen.
Für meinen Zweck also immerhin ein denkbarer Antrieb.
Auf so einer langen Strecke im Wasser der Ostsee konnte man schnell an Unterkühlung umkommen.
Und das sogar selbst mitten im Hochsommer. Das hatte ich in dem Buch „Seemannschaft“ gelesen.
Also mußte für dieses Vorhaben zuerst ein schützender Anzug besorgt werden.
Kaufen konnte man so einen in der DDR aber nicht sofort.
Ich einem Taucherbuch mit schwarzem Einband finde ich endlich eine Bastelanleitung
für einen selbst geschneiderten Neoprenanzug.
Ich nehme mir vor, genügend Gummi und Kleber dafür zu organisieren.
Der Kleber wäre nicht das Problem gewesen. Neopren dagegen war überhaupt nicht aufzutreiben.
Das Gummi von Schlauchboten hielt ich für zu steif und nicht wärmend genug und damit für diesen
Zweck ungeeignet. Es ist tatsächlich nicht geeignet.
Ohne so einen wärmenden Schutzanzug würde ich selbst im Sommer keine Flucht in der Ostsee
wagen können. Das Wasser wäre immer noch zu kalt.
Und so ließ ich auch diesen Plan erst einmal wieder fallen.
Und das war auch besser so. Ohne Übung ist das eine sehr schlechte Idee.
Ich war bestimmt kein schlechter Schwimmer. Aber nicht auf solch langen Strecken
auf dem offenen Meer. Dazu braucht man Ausdauer und viel Kraft.
Ich machte dann auch Krafttraining. Als Hantelersatz diente mir ein roter
Koffer- Plattenspieler. Ich stemmte das Ding stundenlang wie eine Hantel.
Und ich verordnete mir eine besondere Ernährung dazu. Ich verspeiste Unmengen von
Quark mit Honig. Dazu verdrückte ich eine Tubennahrung.
Diese Mischung aus Honig und Malz war außerdem noch sehr lecker.
Und ich begann regelmäßig in der Schwimmhalle mit Streckenschwimmen.
Ich trainierte etwa 2 mal die Woche am frühen Nachmittag für jeweils etwa eine Stunde.
Nach einiger Zeit war ich dann der Meinung, ich würde langsam auffallen weil ich dort
vorwiegend nur Bahnen geschwommen war.
Und das taten dort sonst nur die viel älteren Semester unter den Besuchern der Schwimmhalle.
Im Frühsommer des Jahres verlegte ich mein Training dann in's Freie.
Leider trainierte ich ab dann nicht mehr so oft wie geplant. Der Winter war hart und das
Wasser der Warnow war noch lange Zeit sehr kalt.
Dafür begann ich aber ein umso intensiveres Lauftraining.
Und genau dieses Training sollte mich dann wenig später vor den Vopos retten ...
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