Der Berliner Appell - Versuch einer historischen Einordnung Vorgeschichte
Am 25. Januar 1982 veröffentlichten der kommunistische Dissident Robert Havemann und der evangelische Pfarrer Rainer Eppelmann gemeinsam den Berliner Appell »Frieden schaffen ohne Waffen«. Das Erscheinen eines solchen Appells an sich war in der entstehenden unabhängigen Friedensbewegung in der DDR keine Sensation mehr, wenn auch die regionalen Akteure oft zu wenig von einander wussten.1 Beispielhaft sei der Offene Brief der Evangelischen Studentengemeinde Naumburg vom 4. Mai 1978 gegen die Einführung des Wehrunterrichtes genannt.2 Er wurde über den Deutschlandfunk verbreitet und löste eine Welle von Äußerungen zur Friedensfrage aus, die versuchten, die Öffentlichkeit zu erreichen. Die Zahl von Briefen und Appellen steigerte sich, je näher die Stationierung der Pershing II Raketen in Sichtweite kam.
Adressiert waren diese Briefe in einer seltsamen Mischung aus Illusion und Anerkenntnis der Realitäten meist an die politischen Führer der Welt oder der europäischen Mächte. Mir sind nur wenige Briefe in der DDR bekannt, in dem sich die Verfasser an die Parlamente – gar an die Volkskammer – gewandt hätten, die doch eigentlich über Krieg und Frieden zu entscheiden hatten. Weniger mutige Briefschreiber, oftmals durch besorgte kirchliche Mitarbeiter geleitet, wandten sich an die Synoden und Kirchenleitungen mit der Bitte, ihre Besorgnisse doch staatlichen Stellen vorzutragen. Eine dritte Gruppe von Briefschreibern hatte keinen besonderen Adressaten. Sie wandte sich einfach »an alle«. Zur letzten Gruppe der Briefe gehört der Berliner Appell.
Die Wahl der Adressaten verrät einiges darüber, wie die Autoren die innenpolitische Situation in der DDR einschätzten. Ob sie sich im Sinne der Fürstenaufklärung, der Eingaben an die Obrigkeit wandten, ob sie sich der Botendienste der Kirche bedienten, oder ob sie sich an die Menschheit im Allgemeinen wandten, immer setzten die Autoren das Fehlen einer relevanten politischen Kraft voraus, die ihre Friedenspläne oder –sehnsüchte hätte umsetzen können. Sicherlich lag einem der letzten Offenen Briefe Robert Havemanns vom 25. März 1982, in dem er eine unabhängige Friedensbewegung in der DDR forderte, diese Einsicht zugrunde.
Aus der Perspektive des Winters 1981/82 war noch nicht unbedingt erkennbar, dass eine DDR-weite Friedensbewegung bereits im Entstehen begriffen war. Es bildeten sich gerade Kristallisationskerne für Netzwerke. Der Soziale Friedensdienst und Frieden ‘833 bildeten 1981 Netzwerke. Frieden konkret4, Frauen für den Frieden entstanden im Jahr 1982. Protagonisten wie Georg Meusel mit seinem bereits 1973 gegründeten Friedensforum oder Pfarrer Rudolf Albrecht5 mit seinem Meißener Friedensseminar und der Friedenskreis der Evangelischen Studentengemeinde von Ost-Berlin wurden nun zu breit nachgeahmten Vorbildern. Das Dresdener Friedensforum im Februar 1982 und die Berliner Friedenswerkstatt im Juli 1982 führten Gruppen und einzelne zu den ersten Massenveranstaltungen zusammen und ermöglichten dadurch die horizontale Kommunikation. Trotz seiner gegen Mitte der achtziger Jahre etwas entpolitisierenden Tendenzen wurde die Friedensdekade seit 1980 ein Mittel, das Engagement über die engen Grenzen der Friedensgruppen hinaus zu tragen. Jochen Garstecki vom Referat Friedensfragen in der Studienabteilung beim Bund der evangelischen Kirchen in der DDR entfaltete eine rege Vortragstätigkeit und sorgte für erste Vernetzungen.6
Die evangelischen Kirchenleitungen und Synoden in der DDR gaben seit Herbst 1978 eine fast unübersehbare Flut von Äußerungen zur Friedensfrage heraus, deren Spektrum von gradualistischen Konzepten der Abrüstung über rein theologische Erwägungen bis hin zum christlichen Radikalpazifismus (Absage an das nukleare Abschreckungssystem/ Wehrdienstverweigerer) reichte. Das Referat Friedensfragen der Studienabteilung beim Bund der evangelischen Kirchen verbreitete 1980 sein Konzept »Erziehung zum Frieden«, dessen innenpolitische Ausrichtung unübersehbar war. Die Friedensfrage hatte längst die internationalen Gremien der Kirchen, wie der Konferenz der Europäischen Kirchen (KEK) und den Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK) erreicht.
Am Symbol der ersten Friedensdekade »Schwerter zu Pflugscharen« lässt sich am deutlichsten nachvollziehen, welcher Art die Bewegung war, die hier im Entstehen war. Die Kirchen bestritten dies zwar in öffentlichen Verlautbarungen oder den Gesprächen zwischen Kirche und Staat, auch die Friedensgruppen distanzierten sich mitunter. Doch das Symbol »Schwerter zu Pflugscharen« geriet unter der Hand zu einem Zeichen des allgemeinen Unbehagens mit den politischen Zuständen in der DDR. Wer es trug, gab sich als »Andersdenkender« öffentlich zu erkennen. Bisher war dieses Verhalten nur über die Kleidung und die Jugendmusikkultur erkennbar gewesen.
Hier gab es über die vielen regionalen fast konspirativen Zeichen (sichtbares Tragen einer Zahnbürste zur Bereitschaft ins Gefängnis zu gehen, eines elektronischen Bauteils mit dem Namen »Widerstand« – wahlweise rot oder grün) zum ersten Mal ein Symbol, das die gesamte DDR erfasste. Jugendliche, die weder vom radikalen christlichen Pazifismus oder gradualistischer Abrüstung respektive Sicherheitspolitik etwas wussten, auch nicht von der damals grassierenden Kriegshysterie angesteckt waren, nähten es auf ihre Kutten und Jacken. Damit drohten sie in ihren Reaktionen unkontrollierbar zu werden.
Der Staat schlug mit Härte zu.Inhaltlicher Kontext
In dieser Situation erschien der »Berliner Appell«, verfasst von Robert Havemann und Rainer Eppelmann. Es ist zunächst interessant, dass der Appell in den Grundlinien kaum von den jeweils separaten Offenen Briefen von Havemann an Breschnew (20.9.1981) und Eppelmann an Honecker (24.9.1981) unterschied.7 Auch enthielten Eppelmanns Vorschläge »... sollten wir nicht?« zur inneren Entmilitarisierung der DDR seit der Einführung des Wehrkundeunterrichtes1978 keine neuen Elemente gegenüber früheren Briefen und Appellen anderer Gruppen und Einzelpersonen.8 Havemanns Vorschläge in freiem Rückgriff auf die Abkommen der Alliierten des 2. Weltkrieges, nämlich mit beiden (!) deutschen Staaten Friedensverträge abzuschließen, die Besatzungstruppen abzuziehen und Garantien über die inneren (!) Angelegenheiten der beiden deutschen Staaten abzugeben, wirkten zu diesem Zeitpunkt eher unrealistisch als visionär.Weiter mit dem längeren, interessanten Bericht geht es hier:
http://www.horch-und-guck.info/hug/arch ... 16-sachse/Auf jeden Fall erreichten Eppelmann und Havemann damit grosse Aufmerksamkeit.