In der Wende sinkt Hoffnung politischer Gefangener in der DDR auf Freiheit

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In der Wende sinkt Hoffnung politischer Gefangener in der DDR auf Freiheit

Beitragvon Hans-Peter » 9. Juli 2010, 14:39

Mehr als 33 000 politische Gefangene sind in der DDR vorzeitig aus der Haft freigekommen und bis zum Herbst der Wende 1989 von der Bundesrepublik für mehr als drei Milliarden DM an die DDR freigekauft worden. Obwohl die Menschen draußen auf den Straßen schon mit der Forderung "Wir sind das Volk" bei den Montagsdemonstrationen das Ende des SED-Regimes einleiteten, saßen in den DDR-Gefängnissen immer noch politische Gefangene, deren Zukunft und eine Freilassung weiter ungewiss waren. Ostberlin und Bonn hatten in diesem Herbst der Wende ihre Verhandlungen für weitere Freikaufsaktionen abgebrochen, nachdem die immer schwächer werdende Führung der DDR für Dezember eine Amnesty plante. Doch wie die aussehen sollte, war noch nicht klar. Treffend wird diese Situation der Ungewissheit und der plötzlich sinkenden Hoffnung auf Freiheit für politisch Inhaftierte Anfang Dezember 1989 in einem Spiegel-Artikel beschrieben:

Kung-Fu und Roter Terror

Nach der Amnestie soll der staatliche Menschenhandel mit politischen Gefangenen eingestellt werden.

Der Fahrersitz ist herausgerissen, auf dem Armaturenbrett liegt eine dicke Staubschicht, die Nummernschilder sind abmontiert. Der blau-weiße Reisebus der Marke Magirus-Deutz steht auf einem schlammigen Parkplatz am Ufer der hessischen Nidda im Wetteraukreis nordöstlich von Frankfurt. Für "modernes Reisen" mit "WC" an Bord wirbt noch ein weißer Schriftzug auf der Rückscheibe des Bus-Veteranen.

Der unscheinbare Omnibus gehörte einst zu den Requisiten eines der geheimnisvollsten Kapitel in der deutschen Nachkriegsgeschichte: Der Bus transportierte jahrelang von Bonn freigekaufte politische Gefangene aus DDR-Haftanstalten nach Westdeutschland.

Seit Mitte der sechziger Jahre hatte der hessische Reiseunternehmer Arthur Reichert dieses Gefährt, wie auch ein paar andere, im Auftrag des Innerdeutschen Ministeriums eingesetzt. Ein Vierteljahrhundert lang verkehrte der Bus in der Grauzone des staatlich sanktionierten Menschenhandels.

Seit vergangener Woche scheint es, daß die Dienste des Busunternehmers nicht mehr gebraucht werden. Nachdem DDR-Häftlinge Anfang dieses Monats * Am 1. Dezember im Zuchthaus Brandenburg. mit Streiks und Resolutionen gegen ihre Haftbedingungen protestiert hatten, verkündete die Regierung am Nikolaustag eine Amnestie für alle, die wegen eines Verbrechens nicht mehr als drei Jahre Haft verbüßen müssen. Weiterhin in Haft bleiben unter anderem wegen "Rowdytums" verurteilte und damit möglicherweise auch politisch motivierte Häftlinge, an deren Freikauf Bonn stets interessiert war.

Jene Häftlinge, die nicht unter die Amnestie fallen, können auf eine Generallösung hoffen. In geheimer Mission pendelt zur Zeit der Staatssekretär im Innerdeutschen Ministerium, Walter Priesnitz, 57, zwischen West und Ost, um eine Vereinbarung über eine umfassende Haftaufhebung zu erreichen.

Andeutungen über seine Reisediplomatie machte Priesnitz Anfang des Monats auf der Jahrestagung des Vereins "Hilferufe von drüben" im westfälischen Lippstadt. In 14 DDR-Gefängnissen befinden sich nach neuesten Erkenntnissen Bonns nach wie vor über 250 politische Gefangene, einige sind wegen Fluchthilfe-Aktionen, "ungesetzlichem Grenzübertritt" oder "staatsfeindlicher Hetze" zu hohen Haftstrafen verurteilt.

Im Bundeshaushalt 1991 sind als "Allgemeine Bewilligungen" (Kapitel 2702) weiterhin Gelder für "Hilfsmaßnahmen gesamtdeutschen Charakters" ausgewiesen. So stehen im "Schattenbereich deutsch-deutscher Geheimabsprachen" (Bundestags-Grüne) noch immer Summen in unbekannter Höhe zur Verfügung, um die Vergessenen der DDR-Revolution im Fall der Fälle aus dem Knast zu holen.

Auch künftig soll der DDR-Anwalt und Honecker-Vertraute Wolfgang Vogel, 64, mit dabeisein. Zwar hatte er in der vergangenen Woche aus Verärgerung über seine "irrtümliche" Verhaftung (SED-Erklärung) zunächst sein Vermittlungsamt hingeworfen. Aber Vogels Ost-Berliner Kanzlei bleibt weiterhin für humanitäre Sonderaufgaben geöffnet.

Vogel war durchweg beteiligt gewesen, wenn sich, zunächst gegen Zahlung von Devisen oder Gold, später gegen Waren und Konsumgüter, für Regimegegner die Gefängnistore öffneten. Über verschlungene Wege wie über die Stuttgarter Caritas oder Schweizer Nummernkonten wurden die vertraulichen Zahlungen von zuletzt rund 300 Millionen Mark abgewickelt. Bei größeren Häftlingstransporten von Karl-Marx-Stadt nach Herleshausen fuhr Anwalt Vogel in seinem schwarzen Mercedes 280 voraus. An der Grenze verabschiedete er sich im Bus von den Ex-Häftlingen und ermahnte sie zum Stillschweigen.

Zur Tarnung der verschwiegenen Transporte hatte sich Busunternehmer Reichert von James Bond inspirieren lassen: Zwei Busse verfügten seit 1976 über Nummernschilder, die um 180 Grad drehbar waren. Nach Entsicherung mit einem Schlüssel "aus meinem Tresor" konnte Reichert einen Spezialknopf im Armaturenbrett betätigen. Bei "rot" drehte sich das Nummernschild auf das ostdeutsche Kennzeichen IA-48-32, bei "grün" auf das westdeutsche Nummernschild HU-X 3. Der Kennzeichentausch wurde jeweils während der Fahrt im Niemandsland zwischen den Grenzpfählen vollzogen.

Die Doppel-Nummer für den "Wunderbus", so der ehemalige Unterhändler der Bundesregierung, Rechtsanwalt Jürgen Stange, war eigens vom Verkehrsministerium genehmigt worden. Nicht einmal der Technische Überwachungsverein, der bei TÜV-Untersuchungen jeweils nur das West-Schild zu sehen bekam, wußte davon.

Für seine diskrete Mithilfe bei den humanitären Aktionen wurde Reichert vergangenes Jahr vom Innerdeutschen Ministerium für das Bundesverdienstkreuz vorgeschlagen. Der Unternehmer lehnte ab: "Das brauche ich nicht."

In einem Brief an Kanzleramtsminister Rudolf Seiters und Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher fordern jetzt ehemalige DDR-Häftlinge nicht nur eine weitgehende "materielle Entschädigung für die zu Unrecht erlittene Haft". Sie verlangen auch eine "Bestrafung der Verantwortlichen für physische und psychische Menschenrechtsverletzungen".

Der westdeutsche Verein "Hilferufe von drüben" hat in einer 52-Seiten-Schrift den "ausgeklügelten Psychoterror" in den DDR-Anstalten dokumentiert. Mit Namen, Decknamen, Dienstgrad und Einsatzort listen die "Hilferufe"-Autoren die "schlimmsten Schinder" in den Zuchthäusern der Ost-Republik auf, so zwei Obermeister mit den Spitznamen "Roter Terror" und "Arafat" aus Cottbus und einen "Kung-Fu" aus Karl-Marx-Stadt.

Die Hilferufe von einigen DDR-Häftlingen ganz neuen Typs hingegen werden wohl weitgehend ungehört bleiben. Für die jüngst inhaftierten ehemaligen SED-Spitzengenossen will "Hilferufe von drüben" nicht tätig werden. Vorsitzender Claus Clausen: "Das ist nun wirklich nicht unser Bier." f


DER SPIEGEL 50/1989

Der Link zu dem Bericht: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13497177.html
Hans-Peter
 

Re: In der Wende sinkt Hoffnung politischer Gefangener in der DDR auf Freiheit

Beitragvon Berliner » 9. Juli 2010, 17:06

Hans-Peter hat geschrieben:Seit vergangener Woche scheint es, daß die Dienste des Busunternehmers nicht mehr gebraucht werden. Nachdem DDR-Häftlinge Anfang dieses Monats * Am 1. Dezember im Zuchthaus Brandenburg. mit Streiks und Resolutionen gegen ihre Haftbedingungen protestiert hatten, verkündete die Regierung am Nikolaustag eine Amnestie für alle, die wegen eines Verbrechens nicht mehr als drei Jahre Haft verbüßen müssen.

Hallo Hans-Peter, [knuddel]

wenn es Dir nicht zu Nahe geht, weisst Du zufaellig gegen welche Bedingungen die damaligen Haftlinge protestiert hatten ?

Danke, [hallo]
Duane
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Re: In der Wende sinkt Hoffnung politischer Gefangener in der DDR auf Freiheit

Beitragvon Hans-Peter » 9. Juli 2010, 17:27

Hallo Duane, ihre Forderungen lauteten Freilassung durch eine Amnesty und Verbesserung ihrer Haftbedingungen. Aber ich möchte Deine Frage mal an zur dieser Zeit viellleicht besser informierte User unseres Forums weiterreichen, da ich zu wenig darüber weiß. Wer kann mehr über den Streik von Gefangenen am 1. Dezember 1989 im Zuchthaus Brandenburg beitragen? hp
Hans-Peter
 

Re: In der Wende sinkt Hoffnung politischer Gefangener in der DDR auf Freiheit

Beitragvon Interessierter » 7. August 2018, 10:31

Häftlingsrevolte in der DDR "Amnestie für alle Gefangenen!"

Ende September 1990 kommt es in der ganzen DDR zu Gefängnisrevolten. Die Häftlinge drohen mit Hungerstreik und Selbstmord und fordern eine Amnestie für alle. Sie fürchten, nach der Wiedervereinigung vergessen zu werden.

Bild
Häftlinge auf dem Dach der Haftanstalt Rummelsburg.

Am 24. September 1990 um 19.30 Uhr fährt ein roter Wartburg vor dem Staatsratsgebäude in Berlin vor. Darin sitzt Pfarrer Johannes Drews, seit 1988 katholischer Anstaltspfarrer in der HVA Brandenburg. In seinem Gefängnis revoltieren die Häftlinge. Er soll vor der Volkskammer für die Interessen der Gefangenen sprechen. Seit vier Tagen droht die Situation in den Haftanstalten der DDR zu eskalieren. Es sind die letzten Tage der DDR. Seit Monaten bleiben Gnadengesuche und Bitten um Revision der Häftlinge ohne Antwort. Die 4400 Häftlinge, die noch in DDR-Gefängnissen sitzen, haben Angst, vergessen zu werden und fordern eine umfassende Amnestie.

Bild
Gefangene haben das Dach der HVA Brandenburg besetzt. Bildrechte:DRA

Die Revolte weitet sich aus

Von Brandenburg aus ergreift die Häftlingsrevolte die gesamte DDR. Am 23. September proben schon mehr als 400 Häftlinge in 25 Gefängnissen den Aufstand. Sie besetzen Dächer, zerstören Gefängniseinrichtungen und treten in Hungerstreik. Die Lage ist explosiv. Es fehlt Personal, um die Lage gewaltsam unter Kontrolle zu bringen. Politiker wie der damalige Innenminister Peter-Michael Diestel oder Ministerpräsidentskandidat Manfred Stolpe versuchen die Lage durch Gespräche mit den Inhaftierten zu deeskalieren.

In den Fenstern und auf Dächern hängen Laken mit den Forderungen der Inhaftierten: "Gerechtigkeit für alle", "Amnestie für den 03.10.1990", "Wir fordern Generalamnestie für alle Gefangenen." In der Öffentlichkeit hält sich das Mitgefühl für die Gefangenen in Grenzen. Denn politische Häftlinge gibt es in den Gefängnissen eigentlich nicht mehr.

Die politischen Häftlinge sind schon draußen

Schon im Dezember 1989 hatte der Umbruch in der DDR auch die Gefängnisse erreicht. In den Haftanstalten wurden Gefangenenräte gebildet, Journalisten durften einzelne Anstalten besuchen und es kamen erstmalig Informationen über die Zustände in den DDR-Gefängnissen an die Öffentlichkeit. Am 6. Dezember wurde eine Amnestie für alle Häftlinge beschlossen, die wegen eines rein politischen Delikts, wie Republikflucht einsaßen. Außerdem duften auch die Häftlinge gehen, die zu einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren verurteilt worden waren, etwa wegen „krimineller Asozialität“ oder „Arbeitsbummelei“. So war das berüchtigte Gefängnis Bautzen II, in dem vor allem politische Häftlinge saßen, zu Weihnachten 1989 leer. Bis Februar 1990 waren zwei Drittel aller Gefangenen entlassen.

Weiter geht es hier:
https://www.mdr.de/zeitreise/haeftlings ... r-110.html
Interessierter
 

Re: In der Wende sinkt Hoffnung politischer Gefangener in der DDR auf Freiheit

Beitragvon Grenzwolf62 » 7. August 2018, 10:47

Überschrift und Text triften aber leicht auseinander.
Alles wird, vielleicht, gut.
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Re: In der Wende sinkt Hoffnung politischer Gefangener in der DDR auf Freiheit

Beitragvon Interessierter » 7. August 2018, 11:10

Wenn du dir einmal Gedanken darüber machen würdest, warum ich nicht noch einen Thread über politische Gefangene und Revolte eröffnet habe, könntest du dir deinen Einzeiler sparen. Da du ja aber selber so gut wie keine Threads eröffnest, kann man das ja auch vielleicht gar nicht erwarten.

[hallo]
Interessierter
 

Re: In der Wende sinkt Hoffnung politischer Gefangener in der DDR auf Freiheit

Beitragvon Grenzwolf62 » 7. August 2018, 11:23

Interessierter hat geschrieben:Wenn du dir einmal Gedanken darüber machen würdest, warum ich nicht noch einen Thread über politische Gefangene und Revolte eröffnet habe, könntest du dir deinen Einzeiler sparen. Da du ja aber selber so gut wie keine Threads eröffnest, kann man das ja auch vielleicht gar nicht erwarten.

[hallo]


Mir war halt aufgefallen das bei dir in der Überschrift die politischen Gefangenen keine Hoffnung mehr hatten zur Wende und im Text stand dann das sie schon entlassen waren zu der Zeit wo sie keine Hoffnung mehr hatten.
Hatte ja wegen der interessanten Überschrift überhaupt den Link geöffnet und dann ging es um ganz normale Knackis.
Alles wird, vielleicht, gut.
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Re: In der Wende sinkt Hoffnung politischer Gefangener in der DDR auf Freiheit

Beitragvon augenzeuge » 7. August 2018, 12:02

Auf welcher rechtlichen Basis wurde eigentlich Strelow in 12/89 entlassen? Gab es Leute die das zu verhindern versuchten?
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