Zur Art der Patienteninformation dieses:
Frau Elfriede Schneider aus Plauen im sächsischen Vogtland muss im April 1989 stationär ins Krankenhaus. Diagnose: starke Depressionen. In der neurologischen Klinik ist kein Bett frei. Daran erinnert sich
Karin Forner, sie ist die Tochter der Patientin. Und sie wird sich auf ein Angebot der Klinik einlassen, dessen Folgen sie nicht abschätzen kann. Die Ärzte schlagen ihr vor, ihre Mutter an einer Studie teilnehmen zu lassen: „Da habe ich halt zugesagt in meiner Not, ohne zu hinterfragen, was sich hinter dem Wort ‚Studie’ verbirgt“, sagt Karin Forner heute.
Schweizer Präparat für DDR-Bürger„Brofaromin“ ist ein Antidepressivum – und wird im Auftrag des damaligen Schweizer Pharmakonzerns Sandoz in der DDR getestet. Akten, die im Jahr 2012 vorliegen, belegen die amtliche Zulassung der Tests an mehreren DDR-Kliniken. Das Präparat aus dem Test an
Karin Forners Mutter wird nie als Medikament zugelassen. Hätten die Ärzte sie über den Zweck der klinischen Studie aufgeklärt, sie hätte dieser Art der Behandlung ihrer Mutter nie zugestimmt, sagt Karin Forner. Die DDR hat in den 1980ern eigentlich ein recht restriktives Arzneimittelrecht. Darin ist auch die schriftliche Zustimmung des Probanden für die Teilnahme an einer klinischen Studie vorgeschrieben. Die eigenhändige Unterschrift gilt dabei als Beleg für die bewusste Entscheidung und die freiwillige Teilnahme.
Fragwürdige PatientenaufklärungGesetzliche Vorschriften auf der einen, die Realität in den Krankenhäusern auf der anderen Seite: „Wir wissen aus einzelnen Beobachtungen oder Krankenakten, dass gesagt wurde: Wir führen hier einen Arzneimittelversuch durch. Und dann steht in der Krankenakte: ,Patient ist einverstanden‘“, sagt Medizinhistoriker Prof. Volker Hess von der Charité in Berlin.
Die Feststellung von Prof. Hess widerlegen auch die Beteiligten selbst bis heute nicht.
Weder bei den Auftrag gebenden Pharma-Konzernen noch in den Archiven der Krankenhäuser finden sich schriftliche Einwilligungserklärungen von Patienten. Warum? Eine Antwort darauf findet sich im Kommentar zum DDR-Arzneimittelrecht. Dort besagt eine Sonderklausel: In der groß angelegten dritten Phase einer Studie könne auf die eigenhändige Unterschrift des Patienten verzichtet werden. Es reiche, seine Zustimmung durch einen Aktenvermerk unter Zeugen zu dokumentieren. Die Firmen testeten, Patienten wie Karin Forners Mutter blieb das unter Umständen vorenthalten.
Staat haftet & organisiert – Firmen hofiertEin weiteres fragwürdiges Detail:
Die Haftung für mögliche Schäden der Probanden übernimmt die Staatliche Versicherung der DDR. Das geht aus Verträgen zu Medikamentenstudien der Firma Hoechst mit der DDR vor – ein weiteres Plus für das Westunternehmen. Statt teure Versicherungen abschließen zu müssen, garantiert das Testland selbst also dafür, für Schadensansprüche aufzukommen. Aber das ist noch nicht alles:
Die DDR organisiert die Tests sogar. Zentralisierte Strukturen ermöglichen es, schnell geeignete Probanden und verfügbare Ärzte zusammenzubringen. Der einzelne Krankenhausarzt hat kaum eine Chance, sich der Teilnehme an einer Studie zu entziehen. Wer an welcher Klinik wie viele Patienten mit den Testmedikamenten zu behandeln hat, wird von staatlichen Institutionen geplant und entschieden. Das erlebt auch der Kardiologe Prof. Johannes Schweizer im Jahr 1989. Damals ist er ein junger Oberarzt am Bezirkskrankenhaus Dresden-Friedrichstadt.
System mit vielen FehlernDas Gesundheitssystem der DDR hat in den 1980ern international einen guten Ruf.
Dagegen ist die pharmazeutische Industrie der DDR bereits in den siebziger Jahren von der Spitze der internationalen Forschung abgehängt. Veraltete Technik verhindert die Produktion innovativer Medikamente in erforderlichen Mengen. Ärzte können ihren Patienten nicht immer die benötigten Mittel verordnen. Perfektes Testgebiet – Klamme DDRNoch dazu arbeiten die Mediziner in der DDR oft am Rande des Möglichen. Es fehlt am Nötigsten: Verbandmaterialien, OP-Handschuhe, Skalpelle. Schon in den 1960ern gibt es modernes medizinisches Gerät häufig nur gegen Devisen im Westen zu kaufen. Es steht nur den großen Kliniken zur Verfügung. Ende der siebziger Jahre werden die Klagen der Ärzte unüberhörbar laut.Test-Patienten gegen WestgeldDas Perfide dabei: Das Geld sollte sich das Gesundheitsministerium quasi selbst verdienen. Auch mit sogenannten Auftragsstudien. Mit dabei ist auch das Institut für Arzneimittel und ein zentraler Gutachterausschuss. Dieser wird 1953 ursprünglich dafür gegründet, das Arzneimittelsortiment der DDR auf das unbedingt notwendige Maß zu reduzieren. Doch der Gutachter-ausschuss bekommt weitere Befugnisse: Er überwacht den Verlauf und die Ergebnisse von Medikamentenstudien. Kommerzielle Auftrags-Tests werden hier nur sehr selten abgelehnt. Es geht um Devisen. Die Verträge mit den West-Konzernen schließen spezielle Außenhandelsfirmen der DDR ab. In Verhandlungen wird um Fallpauschalen für jeden erfolgreich durchgeführten Test gerungen. Übliche Kopfprämien liegen damals je nach Aufwand bei bis zu 3800 D-Mark.Die Ware sind Menschen – kranke Probanden.
http://www.arte.tv/de/pharmalabor-ost/6 ... 74622.html