Der politische Journalismus als Fortsetzung des Kalten Krieges mit anderen Mitteln
· 1. September 2011 -
Friedrich Schorlemmer
„Aus dem 2012 im Aufbau-Verlag erscheinenden Buch „Klar sehen und doch hoffen. Erinnerungen und Perspektiven“
1992 war ich beim ORB zu einer Fernsehdiskussion mit Gerhard Löwenthal über Karl-Eduard von Schnitzler eingeladen.
Ich meinte damals, daß Schnitzler kein Gegner sei der es lohnt. Und fuhr fort:
„Einer meiner großen Lehrer, Karl Barth, ein Sozialdemokrat und Theologe hat gesagt: Gott, gib mir gute Feinde. Das ist kein “guter Feind.” Das ist ein ganz gefährlicher Vereinfacher für eine kleine Minderheit, die uns beherrscht hat. Diese Minderheit hat ihm auch geglaubt mit seinen furchtbaren Vereinfachungen, die er rhetorisch geschickt aufgemacht hat. Das zweite: Ich sehe ihn als eine pervertierte Persönlichkeit, wirklich eine verdrehte Persönlichkeit, die ihre eigenen Lügen auch noch heute glaubt. Man könnte also sagen: Der hat das geglaubt, er glaubt das immer noch. Ich sehe bei ihm ein Gemisch aus Überzeugung, Verblendung und Zynismus. Ich möchte Ihnen folgende absurde Vorstellung vortragen: Ich halte es für denkbar, daß Karl‑Eduard von Schnitzler einer der Topagenten des CIA ist, eingeschleust im Kalten Krieg zur publizistischen Zerrüttung des sozialistischen Systems, zur intellektuellen und moralischen Zersetzung eines Menschheitstraums. Er ist dabei erfolgreicher gewesen als Sie, Herr Löwenthal. Er hat so abstoßend für den Sozialismus argumentiert, daß, er einer der glänzensten Antikommunisten ist. Mein Problem ist heute, daß im Kalten Krieg Formen von Gehässigkeiten aufkamen, wobei sich manche Medien in Ost und West durchaus glichen. Die Tonart, die ich bisweilen erlebt habe, (Ich vergleiche jetzt nicht die Position, sondern die Tonart!) auch im ZDF‑Magazin erlebt habe, hatte ‑ was die Gehässigkeit gegeneinander anlangte ‑ durchaus etwas Vergleichbares. Journalismus hat aber die Pflicht zu differenzieren, auch in Zeiten äußerster Konfrontation. Von solcher Differenzierung hat Herr von Schnitzler keinen Deut gehabt. Ich will Sie nicht vollständig mit Schnitzler vergleichen, meine nur, daß die Gehässigkeit Teil eines furchtbaren Medienkrieges war, seinerseits ein Teil des Kalten Krieges.
Gerhard Löwenthal antwortete, ohne irgendwie beleidigt oder empört zu sein: „Also zunächst mal, Herr Schorlemmer, ich bin ein Journalist gewesen, der alles, was er getan hat, aus Überzeugung und aus eigener Einsicht und geleitet von einem einzigen Grundgedanken, nämlich dem Gedanken der Freiheit für a 11 e Deutschen. Im Grunde muß ich sagen, verbitte mir im Grunde jede Art von Vergleich, weil wir von zwei völlig verschiedenen Positionen dabei gewesen sind. Ich habe das vorhin schon gesagt: Er war der bezahlte Agentator eines kriminellen Regimes, und ich war ein freier Journalist in einem freien Lande und habe das gesagt, was ich wollte und was ich für richtig hielt. Der Kalte Krieg ist ja nun nicht von uns ausgegangen, sondern ist uns ja von den Herren drüben aufgezwungen worden. Darum gebe ich gerne zu, habe ich kräftig mitgemischt, gar keine Frage, weil ich den Sturz dieses Systems wollte ‑ im Interesse der Menschen ‑ auch von Ihnen. Zweitens: Ob der Schnitzler wirklich ein Überzeugter war, (Ich meine, ich habe Sie bewundert. Ich habe nicht geglaubt, daß ein Pfarrer zu einer so fabelhaften Satire fähig ist, wie Sie dies hier mit dem CIA-Agenten vorgetragen haben. Das ist schon Spitze.) Nur, ob er wirklich ein Überzeugter war oder nur ein Zyniker oder was auch immer. Wissen Sie, ein überzeugter Kommunist, der dann in den Westen fährt, sich unentwegt auf dem Kurfürstendamm mit den Delikatessen versorgt, einen Porsche fährt und eine Westberliner Absteige besessen hat u. s. w., ist das eigentlich ein überzeugter Kommunist, in einer Zeit, in der er auf dem Bildschirm versucht hat, dieses Bild des überzeugten Kommunisten‑Sozialisten den Menschen vorzuspielen? Ich weiß es nicht. Also ich finde, wir sollten uns auch nicht mehr länger mit diesem Fossil beschäftigen. Ich meine, wissen Sie, der ist ja nun da, wo er hingehört. Er ist im Mülleimer der Geschichte gelandet. Da sollten wir ihn auch wirklich lassen.