Prager-Frühling-Protest in der Lausitz - „Und die Hände schön unters Gesäß“Hans-Joachim Schiemenz und Volker Rennert protestierten 1968 in Lübbenau gegen den Einmarsch in Prag. Dafür gingen sie ins Gefängnis.Jetzt ist Schiemenz 50 Jahre älter, auch stämmiger, Schläfen und Bart sind ergraut. Äußerlich ist ihm nicht anzumerken, dass er von Stasi und Polizei durchgewalkt wurde wie ein Stück Haut. Die Verhörer wollten von Schiemenz wissen, wen er eingeweiht hat, dass sie protestieren würden, drei Tage nach dem Einmarsch der Sowjets und ihrer Satelliten in die Tschechoslowakei. Dass Schiemenz einer der „Anstifter“ war, wussten sie schon. Und dann gab es die Stöße von hinten, dass die Stirn immer wieder auf die Tischplatte knallte.„Und die Hände immer schön unters Gesäß, stimmt’s Achim?“ Volker Rennert schaltet sich ein. Rennert gehört das Haus mit dem schattigen Hof. Zum Rauchen aber tritt er beiseite. Rennert, ein hagerer Typ, war einer der anderen beiden Organisatoren. Er wollte ein Sit-in veranstalten, so wie es die Studenten in Westberlin und in Kalifornien vorgemacht hatten.
Der Bürgermeister sollte kommen und erklären, warum die „sozialistischen Bruderländer“ ihre Panzer nach Prag schickten. Der Bürgermeister lehnte ab, stattdessen informierte er die „Organe“.
Hunger nach Freiheit gespürtDoch Polizei und Stasi glaubten nicht an großen Protest. Sollte in Lübbenau mit seinen 20.000 Einwohnern gelingen, was in Ostberlin nicht gelang? Keine Intellektuellen, keine Studenten, keine Gefahr. Aber eine Beatszene gab es. Hans-Joachim Schiemenz lacht. Er spielte Gitarre bei den „Blue Stars“, die coverten Songs von den Beatles, den Stones, der Spencer Davis Group. Da hat man schon zwischen Bühne und Saal oft diesen Hunger nach Freiheit gespürt, sagt Schiemenz.
Nein, kein Sit-in, die anderen sind für eine Demo, Treffpunkt Markt, am Abend um halb acht. Und so ziehen sie los, 40 bis 50 Jugendliche. Am Bahnhof stoßen Lehrlinge vom nahen Kohlekraftwerk dazu. Da schwillt der Zug auf 120 Demonstranten an. „Sieben, acht, neun, zehn: Dubček!“, rufen sie, und „Sowjets raus aus Prag!“ Aber auch „Amis raus aus Vietnam!“ und „Ho Chi Minh!“ Man will sich nicht vorhalten lassen, vom Westen „verführt“ zu sein. Der Vorwurf kommt trotzdem.„Sozialismus mit menschlichem Antlitz, das war für uns eine Hoffnung“, sagt Rennert, „Musik, Klamotten, Freiheit.“ Und mit einem Sound, so aufreizend wie bei den Stones, mit Haaren, so lang wie bei John Lennon, mit Bluejeans, und dann rauf aufs Motorrad und los. Am besten auf einer 350er Jawa – einer Zweizylinder aus der ČSSR. „Die Jawa, das war unsere Harley“, sagt Schiemenz. In Lübbenau gab es so viele, dass die Fahrer einen Club gründeten.
Als sie wieder den Markt erreichen, warten dort Bereitschaftspolizei und spezielle Stasi-Schläger mit stählernen Ruten. 60 bis 80 Jugendliche, schätzt Schiemenz, werden festgesetzt und verhört. Mindestens einem werden die Haare geschoren. Schiemenz und Rennert tauchen ab, doch in den nächsten beiden Tagen kommen sie in U-Haft – Verhöre, Schläge und „Hände unters Gesäß!“ Schiemenz wird für zwei Wochen in eine Einzelzelle gesteckt. Da sieht er sich plötzlich auf einer Bühne, Gitarre um und Publikum vor sich. „Das waren richtige Halluzinationen.“
Am 16. Oktober 1968 werden die beiden und der inzwischen verstorbene Klaus-Dieter Wanske wegen „gemeinschaftlich organisierter Zusammenrottung und Staatsverleumdung“ zu Haftstrafen verurteilt. Schiemenz erhält 18 Monate, Rennert 14, Wanske 16 Monate. Kurz vor Weihnachten werden die Strafen in drei Jahre Bewährung umgewandelt. Die nächsten Proteste gibt es in Lübbenau im Herbst 1989. In der DDR wird es in den nächsten Jahren wieder sehr ruhig, auch akustisch. Der Import von Jawa-Motorrädern wird beendet.Der vollständige Beitrag hier:
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