Gala-Menü und Hühnersuppe
LEITARTIKEL
• Argentinien ist ein würdiger und verdienter Weltmeister
• Turnier mit kurzen Wegen ohne Alkohol und Randale
• Deutscher Fußball muss zurück zu seinen Wurzeln, zu seinen Fans
Von Thomas Scholze
thomas.scholze@freiepresse.deAm Ende bekommt jeder das, was er bestellt: die einen das Gala-Menü, andere die Hühnersuppe. Die Fußball-Weltmeisterschaft in Katar hat nach einem hochdramatischen Finale mit Argentinien einen würdigen und verdienten Sieger gefunden – mit Lionel Messi, seinen Teamkollegen und mit knapp 46 Millionen Menschen in der Heimat, die wie eine Wand hinter ihrer Mannschaft stehen – genau wie die Zehntausende, die ihre Jungs vor Ort unterstützten. Fragt man in Buenos Aires, ob diese WM eine der besten aller Zeiten war, wird die Antwort lauten: Neben denen von 1978 und 1986 ganz gewiss.
Fragt man in Deutschland, ist das Echo gespalten. Es gibt die unbeirrbaren Fans, die versucht haben, möglichst viele Partien zu sehen. Und es gibt solche, sonst ebenfalls große Freunde des Fußballs, die voller Stolz davon berichten, keine einzige WM-Partie angeschaut zu haben: weil sie im Advent einfach keine Zeit dafür hatten, oder weil sie die Veranstaltung als generell fragwürdig und missachtenswert einschätzten.
Sie haben etwas verpasst: Ein gutorganisiertes Turnier mit sehr kurzen Wegen. Eines, bei dem neben echter Begeisterung vieles aufgesetzt wirkte. Eines, mit dem die auf dem Papier gemeinnützige, in der Realität aber vor allem eigennützige Fifa wieder sehr viel Geld verdient hat. Ein Turnier ohne Alkohol und vielleicht auch deswegen ohne Bilder von pöbelnden und prügelnden Rabauken. Eines mit Heldengeschichten und Tragödien – mit sich aus der WM tanzenden Brasilianern, einem vom Sockel gestürzten Denkmal Cristiano Ronaldo, mit über sich hinauswachsenden Marokkanern und schon wieder erstaunlich starken Kroaten. Ein Turnier mit wenigen Fehlentscheidungen und deswegen kaum Debatten über Schiedsrichter. Und endlich auch einer Frau an der Pfeife, die erwartet souverän ihren Mann stand. Ein Turnier mit bester Fußballkost, geboten von den aktuell besten Mannschaften der Welt.
Ohne eine starke Defensive wird man kein Meister, schon gar kein Weltmeister.
Deutschland zählt nicht mehr dazu. Abgesehen vom peinlichen Auftritt als Moralpolizei hat die DFB-Reisegruppe am Golf eine Grundregel so ziemlich jeglichen Mannschaftssports einfach ignoriert: Ohne eine starke Defensive wird man kein Meister, schon gar kein Weltmeister. Wenn Durchschnittstruppen wie Japan und Costa Rica aus dreieinhalb Angriffen im Spiel gegen Deutschland jeweils zwei Tore erzielen können, passt die Abwehr nicht. Da nützen Dutzende eigene Torschüsse nichts. Wie auch statistisch erwartete Treffer, die nicht als reales Geschehen auf der Anzeigetafel auftauchen. Hansi Flick hat sich am Golf vercoacht. Die Aufstellung hat nicht gestimmt, genau wie die Einstellung. Weitermachen darf der Bundestrainer trotzdem, nur dass er statt seines Freundes Oli Bierhoff an der Seite nun erst einmal einen Sack voller blitzgescheiter Berater an der Backe hat.
Wohin das auf dem Weg zur Heim-EM 2024 führt, bleibt abzuwarten. Sicher ist: Die Richtung benötigt ein paar Korrekturen. Der deutsche Fußball muss wieder nahbarer werden, zurück an seine Basis, zurück zu seinen Fans. Dafür braucht es keine Agitatoren in kurzen Hosen und verordnete Binden oder Gesten, sondern Kicker, die zu jeglichen Themen – natürlich auch politischen – tatsächlich offen ihre eigene Meinung sagen. Verboten hat das bislang keiner.
Die WM 2022 ist Geschichte. Jeder hat bekommen, was er bestellt hat: Argentinien das Gala-Menü, Deutschland nur eine Hühnersuppe. Und die war auch noch versalzen.
Freie Presse