Grenzertagebuch, Dienstzeit OaZ, GR-3 Dermbach, Rhön

Grenzertagebuch, Dienstzeit OaZ, GR-3 Dermbach, Rhön

Beitragvon OaZ » 9. Juli 2020, 17:33

An anderer Stelle schrieb ich bereits, dass ich eine Zeit lang im NVA-Forum aktiv war.
Dort hatte ich auch einen Teil meiner Erinnerungen / Tagebuchaufzeichnungen veröffentlicht. Es entwickelte sich damals eine recht rege Diskussion und mehrere persönliche Treffen.
Sollte Interesse hier bestehen, so kann ich gern was darüber schreiben.

Ich hatte meine Aufzeichnungen während der Leipziger Buchmesse verschiedenen Verlagen gezeigt, von denen zwei ernstzunehmendes Interesse bekundeten (u.a. der, wo auch Major a.D. Lehmann aus dem GR-3 aktiv ist bzw. war). Vielleicht habe ich auch noch die Mails des Verlages ... leider waren die Konditionen utopisch und für mich nicht annehmbar.
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Re: Grenzertagebuch, Dienstzeit OaZ, GR-3 Dermbach, Rhön

Beitragvon Merkur » 9. Juli 2020, 18:58

Was war daran utopisch und nicht annehmbar?
Selbstverständlich muss jeder seine individuelle Sicht bzw. Meinung haben und schreiben. Quelle: Augenzeuge.
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Re: Grenzertagebuch, Dienstzeit OaZ, GR-3 Dermbach, Rhön

Beitragvon OaZ » 13. Juli 2020, 04:59

Ich bitte einen Moderator alle Beiträge, die nichts mit dem Thema zu tun haben, zu verschieben.

Mir ist durchaus bewusst, dass sich Themen manchmal "verselbständigen". Aber dieses hier hat noch nicht mal begonnen und wurde bereits "zugemüllt" mit Beiträgen, die nichts, aber auch gar nichts!!! damit zu tun haben.
Keiner soll in seiner Schreiblust gebremst werden, aber Überschriften stehen für Inhalte. Und keiner der Beiträge hat damit zu tun.
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Re: Grenzertagebuch, Dienstzeit OaZ, GR-3 Dermbach, Rhön

Beitragvon OaZ » 13. Juli 2020, 18:14

Arbeitstitel: Grenzertagebuch


Mein Erholungsurlaub neigt sich langsam dem Ende.
Gemeinsam mit meinen Eltern verbringe ich ihn in Binz. Wir erleben einen schönen Urlaub mit herrlichem Badewetter. Meine Eltern und ich waren uns darüber im Klaren, dass es der letzte gemeinsame Urlaub war. Eigentlich hatte ich auf diesen schon keine Lust mehr, schließlich war ich erwachsen. Dennoch fahre ich mit, schließlich hat Hotel Mama ja auch was Positives ...

In Binz sehe ich fast täglich Soldaten aus Prora, sie machen an der Promenade das, was man eben als Soldat so tut ... Bier trinken und Mädchen anmachen, die ob der plumpen Sprüche, der Uniform und der Überzahl der Soldaten meist wortlos das Weite suchen. Manchmal sehe ich auch Militärstreifen. Oft warens ältere Fähnriche, am vorletzten Urlaubstag sah ich einen jungen Ultn. mit weißem Koppelzeug als Streifenführer.
Sofort wurde ich daran erinnert, dass es in 2 Tagen auch für mich ernst wird ... das blüht dir in Kürze auch, dachte ich mir so.
Meinen Seesack incl. aller Uniformen hatte ich bei mir ... nun sinds nur noch wenige Stunden.

Nach der Verabschiedung von meinen Eltern und meiner Schwester steige ich in den Zug, der mich nach Dermbach bringen soll.
Irgendwo muss ich umsteigen, wahrscheinlich in Berlin und sicher noch woanders in der Pampa ... es sollte noch paar Stunden dauern, ehe ich am Dienstort eintreffen werde.

Ich reise in Zivil, bin jedoch ob meines militärisch-exakten Haarschnittes 1982 von allen Mitreisenden problemlos als Dienender zu erkennen, da hilft auch kein Zivil. Egal, ich muss mich für nichts schämen, verbringe meine Zeit im Zug, lese, schaue aus dem Fenster, lese wieder, löse Kreuzworträtsel, versuche zu schlafen und schaue viel zu oft auf die Uhr. Die Zeit will nicht vergehen.
Auf dem Weg zum Zugklo fällt mir ein junger Mann in meinem Alter auf. Haarschnitt wie ich. Aha, auch du dienst also gerade, denke ich mir so. Ich beachte ihn nicht weiter, vermute, dass es ein Soldat im GWD ist, der sich heimlich seiner Uniform entledigt hat und sich auf den Urlaub daheim freut. Ich verrichte mein Geschäft und gehe wieder an meinen Platz.

Es ist ein merkwürdiges Gefühl, das mich da beschleicht.
Schade, dass der Urlaub vorbei ist. Dennoch brenne ich darauf, endlich an die Grenze zu kommen. Ich weiß, dass es vielleicht merkwürdig klingt, aber ich will etwas tun.
Ich glaubte damals, im besseren der beiden deutschen Staaten zu leben, wollte wirklich endlich Nägel mit Köpfen machen, war froh, dass die Ausbildungszeit vorbei war und es nun zur Sache ging.

Endlich ists soweit: der Zug hat Dermbach erreicht.
Ich steige aus, meinen Seesack halte ich in der Hand. Bis zur Abholung durch einen Regimentsbeauftragten sollte noch ne halbe Stunde vergehen. Ich musste noch meine Uniform anziehen. Nehme also den Sack und schleiche mich aufs stinkende Bahnhofsklo von Dermbach.
Das Umziehen geht schnell, ich benötige kaum 2 Minuten. Ich schaue nochmal in den Spiegel: So sieht also ein junger Grenzoffizier aus, dachte ich mir. Ich finde mich ganz okay und verlasse das Klo.
Ich gehe auf den Bahnhofsvorplatz, setze mich auf eine dort stehende Bank und warte.
Wenige Minuten später setzt sich der Zivilist aus dem Zug neben mich.
Huch ... der trägt ja die gleiche Uniform wie du, denke ich. Wir schauen uns an und müssen beide lachen. In Plauen sind wir uns nicht über den Weg gelaufen. Zumindest kann sich keiner von uns erinnern.

Plötzlich kommt ein P-3 angefahren. Es steigt ein frisurmäßig nicht ganz militärisch exakt geschnittener Gefreiter aus und ruft uns aus der Ferne zu: "Ich soll euch abholen, steigt ein!"

Na, na, Freundchen ... wir mögen zwar im gleichen Alter sein, aber du hast uns hier nicht zu duzen, gehts mir durch den Kopf. Mein Partner siehts offenbar etwas gelassener.

Wir steigen ein, die Fahrt beginnt. Ich richte mich auf wenigstens 15 min Fahrt ein, jedoch nach weniger als 1 Minute passieren wir bereits den Schlagbaum vom GR. Auf dem Hof sieht aus wie ein altes Rittergut. Donnerwetter ... das ging ja schnell.
Wir steigen aus, diesmal ohne Seesack und man bringt uns in ein eher kleines Zimmer, in dem nur paar Stühle und ein Tisch stehen.

Wir setzen uns und warten. Die Tür geht auf und ein Major betritt den Raum. Wir stehen auf (... ein Major? So ein niedriger Dienstgrad empfängt uns hier? Majore waren ja dienstgradmäßig schon fast Exoten an der OHS, an der es von OSL, Obersten nur so wimmelte ...)

"Genosse Major, Ultn. ... meldet sich zum Dienstantritt."
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Re: Grenzertagebuch, Dienstzeit OaZ, GR-3 Dermbach, Rhön

Beitragvon OaZ » 13. Juli 2020, 18:45

Grenzertagebuch 2

Im Zimmer eines Regimentsoffiziers werden wir begrüßt. Inzwischen sind alle 12 OaZ eingetroffen. In der Ansprache geht es um das übliche Bla-Bla ... von wegen Verantwortung an der Nahtstelle zwischen Imperialismus und Sozialismus und Besonderheiten eines Grenzdienstes, Gefechtsdienst in Friedenszeiten usw. usf.
Ich will endlich raus, will endlich was Ordentliches tun, will zeigen, dass ich was gelernt habe.

Wir gehen davon aus, dass wir gleichmäßig auf die 12 GK verteilt werden, man sagt uns jedoch bereits kurze Zeit später, dass die Aufteilung auf die Grenzkompanien im Ermessen der einzelnen Bataillone liegt.

Unser Aufenthalt im Regimentsstab soll letztlich nur 1-2 Stunden dauern, wir kriegen ein Mittagesssen, dann heißt es wieder aufsitzen auf einen LO bzw. auf andere Kfz, die uns in die vorgesehenen Bataillonsstäbe bringen werden.
Mit mir sind 3 weitere OaZ für das 2. Bat. - Standort Geisa vorgesehen. Die 3 anderen kennen sich, waren in der gleichen Ausbildungskompanie. Ich bin quasi der Exot, hatte meine Ausbildung in der 7. Kompanie in Plauen bekommen.

Die Fahrt zum Bataillonsstab verläuft ohne nennenswerte Ereignisse, am aufregendsten war der Stopp am Schlagbaum, der das Grenzgebiet markiert. Mir fallen die Kruzifixe am Straßenrand auf und ich erinnere mich an das Gespräch mit dem Offizier, der uns in Plauen verkündet hatte, wo unsere künftigen Einsatzorte sein werden:

Er: "Können Sie Ski fahren?"
Ich: "Nein."
Er: "Dann werden Sie es lernen!"
Ich: "Aha."
Er: "Sie kommen in die Rhön."
Ich (in Geografie zwar keine Lusche, dennoch noch nie was von dieser "Rhön" gehört): "Wo ist das denn?"
Er: "Südlich von Bad Salzungen."

Er hatte, wie sich später harausstellte, selbst kurz im GR-3 gedient, ehe es wohl für ihn hieß: Als "Frontschwein" ungeeignet - Ausschuss zurück in die Firma ... Und so bildete er dann mit seiner halbjährigen Grenzdiensterfahrung Grenzoffiziere in Plauen aus. Im 2. Bat. kannten einige seinen Namen noch, das über ihn berichtete Positive war sehr überschaubar.
Dieser Offz. jedenfalls gab mir einen Tipp mit auf den Weg, der mir sofort beim Anblick der Kruzifixe wieder gegenwärtig wurde: "Stellen Sie sich mit dem Pfarrer gut, dann haben Sie dort nichts auszustehen."

Jetzt gibts kein Zurück mehr, endlich sind wir dort, wo nur wenige hinkommen und auch ich als immer noch überzeugter Atheist werde nun wohl oder übel mit dem hier so verbreiteten katholischen Glauben wohl direkt in Berührung kommen.

Wir nähern uns der Grenze. Ein aufregendes Gefühl, mir wird ein bisschen anders, obwohl wir noch nicht einmal in Geisa angekommen sind. Das Leben hier verläuft nicht anders als anderswo, zumindest habe ich von der Ladefläche des LO keinen anderen Eindruck.
Die Bauern, die ich im hier üblichen grenzsoldatischen Sprachgebrauch schon kurze Zeit später "Mulis" nennen werde, treiben ihre Kühe auf die Weide, es stinkt nach Kuhscheiße, Kinder fahren Slalom zwischen den Kuhfladen auf der Straße mit dem Fahrrad, Frauen tragen volle Einkaufsbeutel nach Hause und wir fahren mit dem LO weiter Richtung Grenze.

Wir passieren den Schlagbaum zum Stab des 2. Bataillons und werden im Dienstzimmer des Bataillonskommandeurs begrüßt durch den Kommandeur persönlich. Er ist Oberstleutnant und ca. 1,62 m groß (Lenin war übrigens nur 1,53 m, Gysi um die 1,63 m). Später werde ich erfahren, dass er "der große E" genannt wird. Dies hat weniger etwas mit seinem (nicht vorhandenen) Maßband zu tun, es ist eine Anspielung auf seinen Nachnamen, der mit E beginnt. Wieso man ihn den "großen" E nennt, entzieht sich meiner Kenntnis, wahrscheinlich hat sich der Namensgeber über diese für einen Mann eher geringe Körpergröße lustig machen wollen.

Wir seien auf dem schönsten Fleckchen Erde "gelandet", in der Rhön, schallt es aus seinem Mund. Es schallt tatsächlich, seine Stimme klingt blechern, keineswegs angenehm. Trotz seiner eher geringen Größe wirkt er Respekt einflößend. Und das gewiss nicht wegen der beiden Pickel auf seinen geflochtenen Schulterstücken. Die beeindruckten uns wohl alle nicht sonderlich, denn auf der OHS zählten OSL zu den üblichen Dienstgraden, an die man sich sehr schnell gewöhnt hatte.


Wir erfahren unsere Kompanie und ich höre den Namen Andenhausen zum ersten Mal. Es klingt wie Entenhausen, aber ich wusste: nein, du kommst nicht nach Entenhausen. Zwei meiner Weggefährten hatten das Glück, zusammen in eine Kompanie zu kommen, sie wurden nach Spahl befohlen, der andere OaZ blieb in Geisa, kam in die Rudi-Arnstadt-Kompanie, in der ich später auch noch dienen sollte, was ich jedoch zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnen konnte.
Der Name Rudi Arnstadt fiel, eine vergleichbare Rede wie im Regimentsstab folgte. In wenigen Minuten werden wir in der 5. GK (Rudi Arnstadt) ankommen. Unsere praktische Abschnittseinweisung steht kurz bevor ...
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Re: Grenzertagebuch, Dienstzeit OaZ, GR-3 Dermbach, Rhön

Beitragvon Volker Zottmann » 13. Juli 2020, 18:48

OaZ hat geschrieben:Es ist ein merkwürdiges Gefühl, das mich da beschleicht.
Schade, dass der Urlaub vorbei ist. Dennoch brenne ich darauf, endlich an die Grenze zu kommen. Ich weiß, dass es vielleicht merkwürdig klingt, aber ich will etwas tun.
Ich glaubte damals, im besseren der beiden deutschen Staaten zu leben, wollte wirklich endlich Nägel mit Köpfen machen, war froh, dass die Ausbildungszeit vorbei war und es nun zur Sache ging.



Deine Beweggründe kenne ich nicht, auch die ganze Sozialisation nicht. Darum werte ich auch nicht.
Aber solche Unterleutnante, mit solch geilem Enthusiasmus, haben wir auch kennengelernt. Wollten die Karriereleiter erst noch besteigen, meist leider auf dem Rücken der Unterstellten.
Über solch einen schreibe ich in meinen Ausführungen. Skudelny hieß der. Jahre später habe ich erfahren, wie dessen Werdegang war, was der selbst noch für Blüten trieb und wie der Stabschef den deckte. Den hatte ich schon mit 19 Jahren zu 100% richtig eingeschätzt. Pfui Teufel, heute noch.

Gruß Volker
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Re: Grenzertagebuch, Dienstzeit OaZ, GR-3 Dermbach, Rhön

Beitragvon augenzeuge » 13. Juli 2020, 18:55

Ich glaubte damals, im besseren der beiden deutschen Staaten zu leben, wollte wirklich endlich Nägel mit Köpfen machen, war froh, dass die Ausbildungszeit vorbei war und es nun zur Sache ging.


Du schreibst gut. Und ich find es sehr interessant. Auch wenn ich zu einigen Dingen Fragen habe.....
Ich glaubte damals, im besseren der beiden deutschen Staaten zu leben, wollte wirklich endlich Nägel mit Köpfen machen, war froh, dass die Ausbildungszeit vorbei war und es nun zur Sache ging.


Du kanntest den anderen deutschen Staat nicht, aber er war der Schlechtere?
Was hast du von der Grenze denn erwartet, mehr "Böse" vom Westen, oder mehr aus dem Osten?
Wie hast du dir deine Aufgabe vorgestellt? Kanntest du schon den Aufbau der Anlagen?
Wann bekamst du erste Zweifel...?

AZ
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Re: Grenzertagebuch, Dienstzeit OaZ, GR-3 Dermbach, Rhön

Beitragvon pentium » 13. Juli 2020, 19:06

augenzeuge hat geschrieben:Du schreibst gut. Und ich find es sehr interessant.

AZ


Ich auch. Wann geht es weiter?
*Dos Rauschen in Wald hot mir'sch ageta, deß ich mei Haamit net loßen ka!* *Zieht aah dorch onnern Arzgebirg der Grenzgrobn wie ene Kett, der Grenzgrobn taalt de Länder ei, ober onnere Herzen net!* *Waar sei Volk verläßt, daar is net wert, deß'r rümlaaft of daaner Erd!*
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Re: Grenzertagebuch, Dienstzeit OaZ, GR-3 Dermbach, Rhön

Beitragvon Volker Zottmann » 13. Juli 2020, 19:10

Ich musste im 2. Teil eben doch lachen.
Den Lenin habe ich wenige Tage vor seinem 100. Geburtstag besucht. So klein sah der Verglaste gar nicht aus.
Jetzt schlummert der genau im 150.Jahr. Daran sieht man, wie die Zeit vergeht und wie unwichtig Ihr als Offiziere und wir als gehorsame Unterstellte doch im Zeitraffer sind.

Wir haben noch eine Gemeinsamkeit!
Der Bataillonskommandeur des 2. Baupionierregiments in Neiden, Oberstleutnant Mertinkat war auch so ein niedlicher Kleiner. Wenn der aufstand konnte der noch unterm Schreibtisch durchlaufen.
Mein Freund Udo und ich liefen über unser Baustellengelände. Da kreuzte der Mertinkat unseren Weg. "Was machen wir?" "Weggucken". Gesagt getan. Da kräht hinter uns der Mertinkat mit ähnlicher Fistelstimme wie Ulbricht: "Genossen, Genossen, kommt mal zurück...."
Wir beiden Doofen drehen uns auch um. Und dann Strammstehen: Grußerweisung und: "Genosse Obertsleutnant, wir haben sie gar nicht gesehen..."
"Aber Genosssen, ich bin schon so klein, da hättet Ihr doch gerade meine Schulterstücken gut sehen müssen?!"

Ja kleiner Mann, was nun? Der hatte jedenfalls Größe.
Er griente und ließ uns Pappenheimer laufen. Seine Karriere war aber auch schon fast beendet. Der hatte es nicht mehr nötig, sich zu profilieren. An die Episode erinnere ich mich heute noch gern.

Gruß Volker
Volker Zottmann
 

Re: Grenzertagebuch, Dienstzeit OaZ, GR-3 Dermbach, Rhön

Beitragvon OaZ » 13. Juli 2020, 19:15

augenzeuge hat geschrieben:
1) Du kanntest den anderen deutschen Staat nicht, aber er war der Schlechtere?
2) Was hast du von der Grenze denn erwartet, mehr "Böse" vom Westen, oder mehr aus dem Osten?
3) Wie hast du dir deine Aufgabe vorgestellt? Kanntest du schon den Aufbau der Anlagen?
4) Wann bekamst du erste Zweifel...?

AZ


Hallo Augenzeuge,

zur Vereinfachung meiner Antworten habe ich deine Fragen mit Ziffern versehen:

1) Ja. Ich schrieb dazu schon einiges in meinem Vorstellungsthread. Ich glaube, nur die wenigsten DDR-Bürger kannten die BRD. Seitens der DDR-Regierung wurde das ja auch sehr lange ziemlich erfolgreich verhindert. Westfernsehen gab es in unserer Familie nicht, Verwandtschaft aus dem Westen auch nicht. Mein Gefühl gründete sich ausschließlich und einseitig auf das, was man mir erzählte und wie man mich erzog.

2) Provokationen aller Art aus dem Westen und Versuche von DDR-Bürgern, die Grenze illegal zu überwinden.

3) Spannend, abenteuerreich, in gewisser Weise auch mit einem Hauch von Grenzerromantik (oh Gott ... ich ahne die nächste Frage).
Die Anlagen kannte ich nur aus der Theorie und somit nicht wirklich. Man muss auch wissen, dass die Ausbildung von/zum OaZ nur 1 Jahr dauerte. Und die eigentliche Vorbereitung auf den Grenzdienst fand nur in "Taktik der Grenztruppen" statt (ein fach von vielen). Ansonsten Rotlichtbestrahlung, exerzieren, Schutz vor Massenvernichtungsmitteln, Kfz-Dienst und eben das Übliche, was zu DDR-Zeiten bei der Armee geübt wurde. Alle Grenzer waren auch ausgebildete Mot.-Schützen.
Übrigens wurden wir zu keiner Zeit über Rechtliches aufgeklärt. Ein seitens der DDR bewusst kalkuliertes Manko, das später so manchen noch in Bedrängnis bringen konnte/sollte.

4) ... sehr, sehr spät ... ich denke im Sommer 1989, als ich im Urlaub in Ungarn war (später mal mehr dazu)
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Re: Grenzertagebuch, Dienstzeit OaZ, GR-3 Dermbach, Rhön

Beitragvon steffen52 » 13. Juli 2020, 19:45

OaZ hat geschrieben:Arbeitstitel: Grenzertagebuch




Wir steigen ein, die Fahrt beginnt. Ich richte mich auf wenigstens 15 min Fahrt ein, jedoch nach weniger als 1 Minute passieren wir bereits den Schlagbaum vom GR. Auf dem Hof sieht aus wie ein altes Rittergut. Donnerwetter ... das ging ja schnell.

Mal eine Frage zu dem Schlagbaum vom GR, OaZ. Zu meiner Zeit 1970 war es noch eine Kette und zu Deiner Zeit ein Schlagbaum? Also mit Rittergut beleidigst Du die Dermbacher, es ist ein Schloss und heute wieder wunderbar
restauriert!!! [hallo]
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Re: Grenzertagebuch, Dienstzeit OaZ, GR-3 Dermbach, Rhön

Beitragvon Volker Zottmann » 13. Juli 2020, 20:24

OaZ, was Du zu AZs Frage 1 schreibst, deckt sich mit der Erziehung einiger meiner Cousins und Cousinen.
Trotz Empfangsmöglichkeit verhinderten die Eltern jedes Westfernsehen. Sie wurden ganz geradlinig/einseitig erzogen.
Ich weiß aus direktem Erleben, dass es das gab. Den Kindern kann man keinen Vorwurf machen. Zudem hatten sie im Gegenteil zu mir keine Westverwandtschaft, nie ein anderes Bild vermittelt bekommen.

Antwort zu 4. kann ich nachvollziehen. Ich war selbst im Sommer in Bad Tennstedt zur Kur und hörte erstmals von beginnenden Revolten in den Betrieben Berlins. Das Aufbegehren der Massen begann. Wer im Heranwachsen war, zudem einiges jünger als ich und noch unbedarft, mag da dann, so spät, erstmals Zweifel bekommen haben.

Gruß Volker
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Re: Grenzertagebuch, Dienstzeit OaZ, GR-3 Dermbach, Rhön

Beitragvon OaZ » 13. Juli 2020, 20:57

Volker Zottmann hat geschrieben:OaZ, was Du zu AZs Frage 1 schreibst, deckt sich mit der Erziehung einiger meiner Cousins und Cousinen.
Trotz Empfangsmöglichkeit verhinderten die Eltern jedes Westfernsehen. Sie wurden ganz geradlinig/einseitig erzogen.
Ich weiß aus direktem Erleben, dass es das gab. Den Kindern kann man keinen Vorwurf machen. Zudem hatten sie im Gegenteil zu mir keine Westverwandtschaft, nie ein anderes Bild vermittelt bekommen.

Antwort zu 4. kann ich nachvollziehen. Ich war selbst im Sommer in Bad Tennstedt zur Kur und hörte erstmals von beginnenden Revolten in den Betrieben Berlins. Das Aufbegehren der Massen begann. Wer im Heranwachsen war, zudem einiges jünger als ich und noch unbedarft, mag da dann, so spät, erstmals Zweifel bekommen haben.

Gruß Volker


Zu Sommer 1989 Ungarn werde ich später mal was schreiben. Nicht hier.
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Re: Grenzertagebuch, Dienstzeit OaZ, GR-3 Dermbach, Rhön

Beitragvon augenzeuge » 13. Juli 2020, 21:04

Okay, das kann ich alles nachvollziehen.
Auch wenn ich das mit dem fehlenden West TV selbst schwer verstehen kann. [grins]

Egal, ich frag jetzt nicht mehr. The stage is yours.

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Re: Grenzertagebuch, Dienstzeit OaZ, GR-3 Dermbach, Rhön

Beitragvon OaZ » 13. Juli 2020, 21:16

Grenzertagebuch 3


Mit dem LO fahren wir quer durch Geisa, wir sind auf dem Weg in die 5. GK, die sich ca. 2 km vom Bataillonsstab entfernt befindet. Ich empfinde Geisa als angenehmen Ort, es erinnert mich an meine erzgebirgische Heimatstadt.
Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass nur 1,5 km entfernt ein für mich völlig fremdes Land ist, vor dem ich nun die 17 Mio DDR-Bürger beschützen soll.
Ich bin aufgeregt. Den anderen, die mit mir auf der Ladefläche sitzen, merkt man dies nicht zwingend an. Der LO biegt auf der Rasdorfer Straße (die auch zu DDR-Zeiten so hieß) nach links, wir passieren das Tor zur Kompanie.
Er hält direkt vor der ersten Tür der Grenzkompanie. Wir sitzen ab und werden von einem Oltn. begrüßt. Es ist der stv. KC (aus Dresden, Hobbybergsteiger und Dixielandfan, wie sich später herausstellen sollte). Wir laufen die Treppen bis ins obere Geschoss hoch, dort hat man für uns ein Zimmer vorbereitet. Wir stellen unsere Sachen ab und gehen in den Speiseraum, um das Abendessen einzunehmen.

Als wir 4 Frischen den Speiseraum betreten, geht ein leicht verächtliches Grinsen und Murmeln durch die Tischreihen der ca. 70 Soldaten, die dort ihr Essen einnehmen. Mit dem Besteck klopfen sie auf dem Tisch herum. Angenehme Geräusche hören sich in meinen Ohren anders an. Der Hauptfeldwebel, eine stattliche Stabsfähnrich-Erscheinung von der Statur eines Bud Spencers tut einen Brüller, rasch normalisiert sich der Lautstärkepegel im Speiseraum wieder.
Später erfahre ich, dass dies der EK-Takt war. Ich hatte keine Ahnung, was diesbezüglich in den Einheiten stattfinden sollte. Keiner hatte in der Ausbildung über diesen nicht gänzlich unwichtigen Brauch im Leben eines Grundwehrdienstleistenden auch nur ein Wort verloren. Ich wäre gern auf Derartiges vorbereitet gewesen, so war nicht nur ich es nicht.

Wir holen unser Essen und gehen in den Offiziersspeiseraum. Wir essen und erfahren, dass am nächsten Tag die Einweisung in den Grenzabschnitt stattfinden wird.
Nach dem Abendessen gehen wir in die ca. 400 m entfernte Gaststätte "Stern" in Geisa. Wir sind in ziviler Kleidung unterwegs, werden jedoch von allen Interessierten als neue Grenzer wahrgenommen. Ich esse deftig gewürztes Hackepeter mit Eidotter (zu Hause kannte ich das nur beim Tartar) und bin sehr zufrieden damit.
Es sind nur wenige Hopfenkaltschalen, die in uns schnell einen wohligen Schlafwunsch wecken. Nach kurzer Zeit brechen wir wieder zur GK auf, die lange Anreise fordert ihren Tribut. Wir fallen in die Betten und schlafen wie Steine.

Der neue Tag wird uns endlich die Grenze zeigen.
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Re: Grenzertagebuch, Dienstzeit OaZ, GR-3 Dermbach, Rhön

Beitragvon steffen52 » 13. Juli 2020, 21:22

OaZ, hatte Dir mal eine Frage gestellt, würde mich freuen eine Antwort von dir zu lesen! [hallo]
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Re: Grenzertagebuch, Dienstzeit OaZ, GR-3 Dermbach, Rhön

Beitragvon OaZ » 14. Juli 2020, 06:23

Ist das mit Kette oder Schlagbaum wirklich wichtig?
Ich schrieb, dass es ein Schlagbaum / eine Schranke war. Hoffentlich fragst du mich jetzt nicht, nach welcher Richtung er/sie sich hob ...
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Re: Grenzertagebuch, Dienstzeit OaZ, GR-3 Dermbach, Rhön

Beitragvon Olaf Sch. » 14. Juli 2020, 08:09

@OaZ vielen Dank für Deine Schilderungen!

da sieht man mal wieder, wie unterschiedlich die DDR für jeden sein konnte. Meiner Einer wuchs mit Westfernsehen auf und ich hatte null Grenzerromantik im Hinterkopf.

Unsere Anreise in die GK verlief etwas anders.
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Re: Grenzertagebuch, Dienstzeit OaZ, GR-3 Dermbach, Rhön

Beitragvon Bahndamm 68 » 14. Juli 2020, 09:53

@OaZ, auch von mir ein Dankeschön für diese Schilderung.
Du als Offizier, ich als Sandlatscher, die ersten Stunden sind identisch. Spannung pur. Meine erste Sichtung der Grenzanlagen am Tag, wie in den dunklen Stunden waren voller Spannung und Neugierte geprägt, was mich in den kommenden Wochen und Monaten da erwartete.
In der Grundausbildung war es eine Verpflichtung die Schützenschnur zu erreichen. Sie sah ja auch auf der Ausgangsuniform gut aus. Ich wollte sie gern, hab aber dann bewusst so geschossen, dass das Ergebnis annehmbar wurde, aber nicht verpflichtend, dass ich einen guten Schützen hätte abgeben können oder müssen.
Schon in der ersten Nachtschicht habe ich allein vor einem Panzerbunker gesessen und die Daumen gedrückt, dass kein Flüchtling und auch keine Offiziersstreife kommen würde. Mein Postenführer hatte nachts zuvor im Grenzdienst mit einem EK und später auf dem Zimmer Abschied mit Alkohol gefeiert und war hundemüde in der ersten Nacht mit mir. Er legte sich in der Oktobernacht ins Gras hinter dem Bunker und schlief ca. 2 Stunden. Ich wagte nicht ihm zu kontrollieren, wo er war und ob er mich nur testen wollte. Ängstlich schaute und sah ich gen Westen gegen Mitternacht vereinzelt Auto noch auf den beleuchten Straßen in Schöningen (West). In Hötensleben dunkel war es Nacht auf den Wegen. Mit Schließung dreier kleinen Kneipen, gab es dann kein Leben im Ort, bis auf die Streifen.
In der GK gab es einen Unterleutnant als Zugführer. Erst ein halbes Jahr in der GK. Mit ihm kam ich in Kontakt, als er mir erzählte, dass er mit meinem Hausnachbar in Plauen zusammen war. Und dieser UL hatte mich einmal vor der Arrestzelle bewahrt. Wie es so im Leben ist, sehen und verstehen. Meinen Zugführer, Oberleutnant und ihm habe ich nach meiner Flucht einen Brief aus NRW geschrieben und meine Flucht begründet.
Nach Sichtung meiner Stasi-Akte habe ich diesen Brief wiedergefunden und wollte mit ihm in Kontakt treten. Wir haben uns kurz telefonisch unterhalten können. Er wollte aber keinen Kontakt mit mir.

Wie waren so deine ersten Gedankengänge über den Schießbefehl und Flüchtlingen?

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Re: Grenzertagebuch, Dienstzeit OaZ, GR-3 Dermbach, Rhön

Beitragvon steffen52 » 14. Juli 2020, 12:59

OaZ hat geschrieben:Ist das mit Kette oder Schlagbaum wirklich wichtig?
Ich schrieb, dass es ein Schlagbaum / eine Schranke war. Hoffentlich fragst du mich jetzt nicht, nach welcher Richtung er/sie sich hob ...

Entschuldige, OaZ! War ja nur mal interessehalber von mir gefragt, kommt nicht wieder vor Dir eine Frage zu stellen. Schreibe schön weiter und gut!
Klar für Dich gibt es wichtigere Dinge die Du hier loswerden willst. Mache weiter , meinen Segen hast Du. [blush]
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Re: Grenzertagebuch, Dienstzeit OaZ, GR-3 Dermbach, Rhön

Beitragvon Volker Zottmann » 14. Juli 2020, 14:41

Steffen52, das passiert einem nicht, wenn man verinnerlicht, was man gerade gelesen hat. Genau das schrieb OaZ.
Aber Dir geht es nicht allein so...
Beethoven hat auch nach gefühlten 9 Jahren und 500 ernsthaften Kacke-Beiträgen nicht geschnallt, dass wir Kasernen bauten und nie bewohnten. Wer so oberflächlich liest, schreibt auch schon mal unnütze Fragen.

Gruß Volker
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Re: Grenzertagebuch, Dienstzeit OaZ, GR-3 Dermbach, Rhön

Beitragvon Bahndamm 68 » 14. Juli 2020, 16:37

Hallöchen OaZ
hier ein Bildchen von Dermbach 2015
Dermbach-01.jpg

Im Großformat als Panorama-Bild kann ich es dir gern zusenden.

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Re: Grenzertagebuch, Dienstzeit OaZ, GR-3 Dermbach, Rhön

Beitragvon OaZ » 14. Juli 2020, 17:26

Hallo Bahndamm,

ich war zugegebenermaßen nur sehr selten im Regimentsstab. Auf meiner letzten Rhönreise (inzwischen auch wieder Jahre her) war mir der Besuch der Örtlichkeiten meines Grenzabschnittes wichtiger als der Besuch im Sitz des ehem. Regimentsstab. Danke für das Foto! Sicher wird mich mein Weg irgendwann mal nach bzw. durch Dermbach führen. Eine Fahrt in die Rhön lohnt sich allein wegen der wirklich guten Fleischereien. Und natürlich auch wegen der traumhaften Natur. Die Rhönis kannten ja lange Zeit nur Land- und Forstwirtschaft. Industrie gabs dort kaum, entsprechend verschont blieb die Umwelt.
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Re: Grenzertagebuch, Dienstzeit OaZ, GR-3 Dermbach, Rhön

Beitragvon OaZ » 14. Juli 2020, 17:38

Grenzertagebuch 4

Unmittelbar nach dem Frühstück erleben wir zum ersten Mal ganz praktisch, wie die Kompanie in den Grenzdienst zum Spätaufzug (in Kürze werde auch ich das Wort Tagschicht dafür verwenden) geschickt wird.
Alle sind angetreten und ich erlebe eine Überraschung: Ein Ultn. meldet einem anderen Ultn. die Grenzdienstbereitschaft der Kompanie. Donnerwetter, denke ich. Ein OaZ führt die ganze Kompanie als Kommandeur der Grenzsicherung (Hinweis: Damals gabs dort die Bataillonssicherung).

" ... mit der Aufgabe, Grenzdurchbrüche nicht zuzulassen, die Ausdehnung von Provokationen auf das Gebiet der DDR zu verhindern und die Ordnung und Sicherheit im Schutzstreifen zu gewährleisten. Vergatterung!" - Das hat gesessen! Jetzt bin ich dort angekommen, wo ich hinwollte.

Ich erfahre, dass mein OaZ-Weggefährte, der hier bleiben wird, die Ablösung für einen dieser beiden OaZ sein wird. In Kürze wird noch ein junger Leutnant kommen und den Zug des anderen Ultn. übernehmen. Die Führungsstelle des Kommandeurs für Grenzsicherung nennt man hier scherzhaft Kosmodrom und ich denke unwillkürlich an Juri Gagarin.

Die 4 Züge werden nun von den Kommandeuren der Sicherungsabschnitte zu den Kfz geführt. Mit militärischem Marschieren hat das in etwa soviel zu tun wie Otfried Fischer mit Redukal. Auffällig ist, dass es außer den beiden Ultn. keinen weiteren Offz. gibt, der mit aufzieht. Die roten Führungstabellen mit dem vorgesehenen Posteneinsatz werden von Uffz. geführt, denen man äußerlich und kleidungsstilmäßig ansieht, dass sich ihre Dienstzeit dem Ende zu neigt.
Beim Anblick der Soldaten werde ich an die Rückseite des Mosaik von Hannes Hegen Nr. 109 ("Der Grenzstratege") erinnert und ich habe den Verdacht, dass der letzte Friseur Geisas gestorben sein muss.

Mit dem Anlassen der Motoren und dem sich verbreitenden Kraftstoffgeruch steigt mein Adrenalinspiegel, denn unser LO steht inzwischen auch bereit. Ein Grenzaufklärer (ein Fähnrich) nimmt mit uns auf der Ladefläche Platz. Ihm wird die Aufgabe zuteil, uns während der Fahrt von der Ladefläche aus Einweisungen zu geben. Der stv. KC, der bereits benannte Oltn., steigt vorn ein, die Fahrt beginnt.
Die gut asphaltierte Straße führt bergan, es ist die ehemalige Verbindungsstraße zwischen Geisa im Thüringischen und Rasdorf im Hessischen.

Am Tor kommt der LO zum Stehen, der Oltn. steigt aus, hantiert etwas umständlich mit seinem Grenzmeldenetz-Hörer, der fortan salopp nur noch "Gummiohr" genannt werden wird und meldet sich am Tor bei der Führungsstelle an.

Noch ahne ich nicht, dass mir genau diese Situation der Anmeldung am Einlasstor während meiner GT-Zeit auf den Führungsstellen dieser Abschnitte noch sehr viel (Schaden)Freude bereiten wird.

Der Soldat muss aussteigen, das Tor öffnen, das im unmittelbaren Umfeld des Tores befindliche Signalgerät entsichern, um das Tor passierbar zu machen und nach erfolgter Einfahrt die Spurensicherheit mit einer Harke wieder herstellen und das Signalgerät wieder einsatzbereit machen.
Er steigt wieder ein und wir setzen die Fahrt fort.

Meine Aufregung steigt erneut, denn nun sind wir endlich im Grenzabschnitt, der von den westlichen Medien "Todesstreifen" genannt wird.
Mich beschleicht ein mulmiges Gefühl, denn keiner von uns vieren hat eine Waffe. Nur der Oltn., der Fähnrich und der Soldat sind bewaffnet.

Es soll von nun an noch 2 Minuten dauern, bis ich mit eigenen Augen die BRD sehen werde ...
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Re: Grenzertagebuch, Dienstzeit OaZ, GR-3 Dermbach, Rhön

Beitragvon Edelknabe » 14. Juli 2020, 17:48

OaZ mit dem hier:

"Meine Aufregung steigt erneut, denn nun sind wir endlich im Grenzabschnitt, der von den westlichen Medien "Todesstreifen" genannt wird.
Mich beschleicht ein mulmiges Gefühl, denn keiner von uns vieren hat eine Waffe. Nur der Oltn., der Fähnrich und der Soldat sind bewaffnet."Textauszug ende

Was war das denn, der Lolli nicht mindestens eine Pistole dabei?

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Re: Grenzertagebuch, Dienstzeit OaZ, GR-3 Dermbach, Rhön

Beitragvon OaZ » 14. Juli 2020, 17:49

Es war kein Ltn. dabei.
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Re: Grenzertagebuch, Dienstzeit OaZ, GR-3 Dermbach, Rhön

Beitragvon Edelknabe » 14. Juli 2020, 18:18

Mein Gott Mann, heute noch geil auf den damaligen Dienstgrad? Du bist mir schon so Einer, so ein OaZ eben.

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Re: Grenzertagebuch, Dienstzeit OaZ, GR-3 Dermbach, Rhön

Beitragvon augenzeuge » 14. Juli 2020, 18:24

OaZ hat geschrieben:Beim Anblick der Soldaten werde ich an die Rückseite des Mosaik von Hannes Hegen Nr. 109 ("Der Grenzstratege") erinnert und ich habe den Verdacht, dass der letzte Friseur Geisas gestorben sein muss.


Da fällt mir doch glatt etwas ein..... [grins]
viewtopic.php?f=13&t=329&start=30#p203304

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Re: Grenzertagebuch, Dienstzeit OaZ, GR-3 Dermbach, Rhön

Beitragvon OaZ » 14. Juli 2020, 18:26

Oh ... das ist ja mal was richtig Schönes! [freu] Danke für den Link!
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Re: Grenzertagebuch, Dienstzeit OaZ, GR-3 Dermbach, Rhön

Beitragvon OaZ » 15. Juli 2020, 16:36

Grenzertagebuch 5


Nach knapp 2 Minuten erreichen wir den Kolonnenweg. Der LO biegt nach rechts auf den Kolonnenweg (wer schon mal bei der Gedenkstätte POINT ALPHA gewesen ist - exakt dort, wo heute der große Parkplatz auf der Grenze ist), das Wohlfühlgefühl auf der Ladeflächenpritsche des LO tendiert gen Null und wir werden von links nach rechts und wieder zurück geschaukelt. Da man als junger Mensch weitestgehend resistent gegen derartige Wirbelsäulentrakturen ist, überstehen wir die nun folgende 42 km lange Fahrt auf dem Kolonnenweg entlang der Staatsgrenze ohne bleibende Schäden.

Der Fähnrich versucht uns etwas zu erklären, seine Worte gehen jedoch im Lärm, der vom Motor und dem holprigen Weg verursacht wird, weitestgehend unter. Wir passieren eine Stelle, von der man später sagen wird, sie sei DIE entscheidene Stelle an der Nahtlinie zwischen Warschauer Pakt und NATO gewesen (Fulda-GAP). Zum Zeitpunkt des Passierens haben wir keine Ahnung davon. In Kürze wird von eben jenem Punkt die Rede sein.
Zunächst jedoch verschwindet unser LO mit uns in einer Senke, von der ich kurze Zeit später erfahren werde, dass sie Grüsselbacher Graben genannt wird und eine wahrscheinliche Richtung der Bewegung von Grenzverletzern aus Richtung Dermbach darstellt.

Unser Weg führt weiter bergan und dann wieder bergab und plötzlich kommt unser LO zum Stehen. Wir steigen ab und der Oltn. erklärt uns, dass wir nun an der Trennungslinie, die das 1. und das 2. Bat. miteinander verbinden, angekommen sind. Die sog. Trennungslinie muss man sich denken, markiert ist hier nichts. Lediglich ein anderer Weg (ebenfalls Kolonnenweg) führt ins Hinterland zum Grenzsignalzaun zum Tor 1. Dieses Tor wird jedoch nur benutzt, wenn die Witterungsverhältnisse der Rhön das Passieren anderer Tore unmöglich macht. Insbesondere bei starkem Schneefall wird dies so sein, aber das kann ich jetzt eigentlich noch gar nicht wissen.
Wir erfahren, dass der Punkt, an dem wir gerade stehen, der Postenpunkt 2 des Sicherungsabschnittes 5 ist und hier ständig ein Posten handelt, um die Borscher Schlucht (so die Geländebezeichnung) zu schützen.

Wir steigen wieder auf und fahren die Strecke zurück. Erneut passieren wir jene Stelle, die heute (nach Herstellung der deutschen Einheit) jährlich tausende Schaulustige aus allen Teilen der Welt besuchen und Eintrittsgelder zahlen - Point Alpha.
Wir sehen einige amerikanische Soldaten, die emsig damit beschäftigt sind, uns mit Ferngläsern zu beobachten und uns zu fotografieren. Offenbar hat es sich herumgesprochen, dass gerade eine Einweisung der neuen Zugführer stattfindet. Und natürlich wollen unsere Gegner sofort Fotos von uns. Wir erhalten - zu unserem Erstaunen - keine besonderen Verhaltensregeln.

Die Fahrt führt weiter in Richtung Führungsstelle. Schon von weitem sehen wir sie. Unser LO fährt Richtung Füst und ich sehe, dass unterhalb der Füst herrliche Apfel- und Pflaumenbäume wachsen. Es ist Hochsommer und man sieht die noch nicht gänzlich gereiften Früchte.
In Richtung Hinterland sehe ich ein idyllisch gelegenes Dörfchen, der Fähnrich erklärt uns, dass dies Wiesenfeld ist.

Der LO steuert die Füst an und hält davor.
Beim Betrachten der Füst ahne ich noch nicht, dass ich hier den Großteil meiner Grenzdienstzeit verbringen werde, da es sich beim SiA 5 um einen mit 501-Minen (exakte Formulierung: Sperranlage mit Splitterminen) gesperrten Abschnitt handelt, dieser darf nur von besonders "bestätigten" (so der offizielle Sprachgebrauch) K-SiA geführt werden.

Wir betreten, nachdem wir die kalten Leitern nach oben geklettert sind, den Führungsraum und ich bin schwer beeindruckt. Technik und ich verhält sich wie Feuer und Wasser und somit werden meine Augen immer größer, als ich die beiden riesigen Kästen, die sich als "Minenschränke" erweisen und die Kontrollanlagen für den Hinterlandszaun, den Grenzsignalzaun, sehen. Die Erklärungen zur Handhabung und Überwachung sind mir nicht sofort verständlich. Ich gehöre wohl zur Gruppe derer, auf die das schöne "neudeutsche" "Learning by doing" gut passt. Dennoch bin ich diszipliniert und versuche, den Ausführungen zu folgen.

Bei der folgenden Rundumeinweisung von der Füst aus werde ich hellhörig, denn nur ca. 250 m Luftlinie entfernt befindet sich die sog. Rudi-Arnstadt-Höhe - jener Punkt, an dem im August 1962 Rudi Arnstadt ums Leben kam. Unser Weg führt uns in wenigen Minuten zwangsläufig daran vorbei.
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