Udo Boeck - ehemaliger Informant der GrenztruppenAls Udo Bloeck 1963 in der Gemeinde Steinhausen bei Wismar die Chance erhielt, in seinen ursprünglichen Beruf zurück zu kehren, entsagte er jeglicher gesellschaftlichen Betätigung. Vier Jahre später wurde ihm eine idyllisch gelegene eigene Schäferei in der Nähe der Küste angeboten, wo er sich mit seiner Familie niederließ.
Anfang der 70er Jahre ereignete sich in unmittelbarer Nähe seines Eigenheims in Kägsdorf bei Kühlungsborn ein Verkehrsunfall, bei dem ein Autofahrer in die Schafherde raste. Noch am selben Abend erkundigte sich bei ihm ein bis dahin unbekannten Mann nach der Höhe des entstandenen Schadens. Dabei handelte es sich um den Politoffizier der in Kühlungsborn stationierten 6. Grenzkompanie.
Wenige Monate nach dieser ersten Begegnung suchte der Offizier den Schäfer erneut auf. Nachdem er sich inzwischen über seinen Werdegang informiert hatte, stellte er Udo Bloeck die Frage, ob er sich vorstellen könnte, die Arbeit der Grenzorgane im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit zu unterstützen. Der Schäfer erklärte sich bereit, als Informant der Grenztruppen zu arbeiten und erhielt von nun an häufiger unangemeldeten „Besuch“ von einem entweder in Uniform oder Zivil auftretenden Verbindungsoffizier, der sich nach „besonderen Vorkommnissen“ erkundigte. Die Zusammenarbeit mit den Grenztruppen bestand auch dann noch fort, als Udo Bloeck nicht mehr als Schäfer in Kägsdorf, sondern als Nachtpförtner in einem parteieigenen Feriendomizil in Kühlungsborn seinen Lebensunterhalt bestritt. Mit der Stationierung einer Fliegerabwehr-Raketenabteilung in Kägsdorf Mitte der 70er Jahre hatte die Kreisdienststelle für Staatssicherheit verfügt, dass im Umkreis des Militärobjektes keine Schafe mehr grasen dürfen.
Im Zusammenhang mit dem Bau der geheimen Bunkeranlage erinnerte sich Udo Bloeck an eine kuriose Begebenheit: Als er eines Abends mit seinem Moped in Richtung Bastorf fuhr, fiel ihm ein merkwürdiges Blinken auf, das aus dem Inneren einer am Feldweg gelegenen Strohmiete zu kommen schien. Irritiert durch diesen Anblick kehrte er noch einmal zurück, um sich an Ort und Stelle zu vergewissern, ob es sich um eine Sinnestäuschung gehandelt hatte. Beim erneuten Vorbeifahren stellte er fest, dass das Blinken anhielt. Daraufhin stellte er seine „Schwalbe“ ab und kletterte auf die Strohmiete. Als er dabei registrierte, dass diese einen Hohlraum enthielt, entfernte er das darüber liegende Stroh, unter dem sich zwei Personen in Tarnuniform befanden. Blitzschnell packte er einen von ihnen am Kragen und herrschte ihn an, was sie hier trieben. Erst nachdem die beiden überrumpelten Männer sich als Sicherheitskräfte zu erkennen gaben, ließ der aufmerksame Grenzhelfer von ihnen ab. Das verdächtige Blinken rührte offenbar von ihrem Nachtsichtgerät her, dessen rotes Laserlicht nach außen gedrungen war.Seinen Alltag als Grenzhelfer beschreibt Udo Bloeck wie folgt: Nach der nächtlichen Schließung der meisten Lokale gegen 0.30 Uhr hatte er regelmäßig seinen Tresen im Erwin-Fischer-Heim verlassen, um nach einen Rundgang um das Haus den ihn zugewiesenen Strandabschnitt zwischen Konzergarten West und Krankenhaus zu inspizieren. Dabei führte der Nachtpförtner stets einen so genannten GMR-Hörer mit sich, mit dem er im Bedarfsfall eine Sprechverbindung zur Kompanie herstellen konnte. Dazu musste das mobile Gerät per Adapter mit einem der eigens dafür in Ufernähe aufgestellten Fernmeldemasten verbunden werden.
Während seiner Runden hatte er häufig Liebespaare aufgespürt, die er jedoch unbehelligt ließ. Von anderen Jugendlichen jedoch, die mit ihrem Gepäck im Strandkorb saßen, hatte er sich jedoch die Dokumente zeigen lassen und ihnen klargemacht, dass es nicht statthaft sei, sich während der Dunkelheit am Ufer aufzuhalten. Um sich „Unannehmlichkeiten“ zu ersparen, sollten sie sich lieber in den Stadtwald begeben und auf den dortigen Parkbänken kampieren. Manchmal verwies er die Hilfesuchenden an einem ihm bekannten Pastor, der für derartige Notlagen seine Garage als Schlafplatz zur Verfügung stellte. Auf die ungewöhnliche Kooperation mit dem Geistlichen war Udo Bloeck seiner Aussage nach selbst gekommen, nachdem er einmal den Auftrag erhalten hatte, dessen Schafe in der Garage zu scheren.
Wenn er bei seinen Kontrollen auf parkende Autos stieß, in denen Insassen nächtigten, machte er diese darauf aufmerksam, dass sie „gegen die Ordnung und Sicherheit im Grenzgebiet“ verstießen. Sofern die Betroffenen ihm glaubhaft machen konnten, dass sie um diese Zeit keine andere Bleibe fänden, erteilte er ihnen den Ratschlag, bei künftigen Kontrollen anzugeben, dass sie infolge Alkoholgenuss fahruntüchtig wären. Den ungewöhnlich laxen Umgang mit den strengen Vorschriften erklärte der heutige Rentner damit, dass er als einziger Grenzhelfer das „Privileg“ besessen hätte, nicht von einem anderen Mitläufer kontrolliert worden zu sein.
Die Frage, ob er jemals einen Flüchtigen überführt hätte, verneinte er. An einem Sommerabend wäre ihm allerdings etwas Ungewöhnliches passiert. Mit dem Fahrrad unterwegs auf einem Feldweg zu seinen Arbeitsplatz nach Kühlungsborn waren ihm zwei junge Männer aufgefallen. Einer der beiden führte einen Karton mit sich, der andere eine Art Blumentopf. In der Annahme, dass es sich um harmlose Jugendliche auf dem Weg zu einer Jugendweihefeier handelte, radelte er jedoch seelenruhig weiter. Bei einem Anruf der Grenzkompanie am nächsten Tag stellte sich jedoch heraus, dass sich im Karton ein Schlauchboot befunden hatte, mit dem die beiden nach Anbruch der Dunkelheit einen erfolglosen Fluchtversuch unternommen hatten.
Befragt nach eventuellen Vorteilen, die mit seiner Grenzhelfertätigkeit verbunden gewesen wären, erinnert er sich daran, auf einer feierlichen Jahresauswertung in der Kompanie mit dem „Leistungsabzeichen der Grenzhelfer“ sowie einer Geldprämie ausgezeichnet worden zu sein. Bei anderer Gelegenheit sei er zusammen mit seiner Frau von den Grenztruppen zu einem „Prasdnik“ (russisch: Feier) deutscher und sowjetischer Offiziersfamilien in Meschendorf eingeladen worden. Als viel nützlicher hätte sich allerdings in einer konkreten Situation der Grenzhelferausweis erwiesen. Nach einem Nachtdienst hatte er anschließend Alkohol konsumiert. Auf dem Heimweg mit dem Moped geriet er in eine Polizeikontrolle. Als er dem Polizisten anstelle des verlangten Personaldokuments den Grenzhelferausweis zeigte, ließ dieser ihn seine „Kontrollfahrt“ unbehelligt fortsetzen. Mitte der 80er Jahre gab Udo Bloeck nicht nur seinen Grenzhelferausweis zurück, sondern auch sein Parteidokument.
Der vollständige Zeitzeugenbericht hier:
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