Die Flucht

Die Flucht

Beitragvon Interessierter » 19. Juni 2020, 09:50

Von Sachsen über das Erzgebirge, bei Klingenthal über die Grenze in die Tschechoslowakei und dann bei Eger (Cheb) über die Grenze nach Bayern

von Jürgen Blask (2019)

Vorwort

Diese authentische Schilderung meiner Flucht über zwei Grenzen von der DDR über die Tschechoslowakei nach Westdeutschland ist ein Beitrag gegen das Vergessen. Ein Stück Erinnerung an das wohl letzte traurige Kapitel deutscher Geschichte, wie sie heute immer mehr nur von denen verstanden wird, die dabei waren. Ein auf wenige Seiten zusammengefasster dramatischer Schluss eines Lebensabschnitts in der ehemaligen DDR. Nicht die Zustände und Lebensbedingungen in dieser letzten deutschen Parteidiktatur sind hier Thema der Niederschrift, sondern der Leser soll sich selbst seine Vorstellung darüber machen, wie es in einem Regime ausgesehen haben könnte, das keine Mittel scheute, um seine eigenen Bürger mit Kriegsfront üblichen Sperranlagen und Schießbefehl am Verlassen Ihres Machtbereichs zu hindern. Bewusst hatte ich gerade diesen Grenzabschnitt ausgesucht. Er bot noch das geringste Risiko für eine Flucht. Hier waren keine Tretminen vergraben und keine Selbstschussgeräte am Zaun montiert. Aber schon hier an den Strapazen und Gefahren dieser Fluchtschilderung möge der Leser erkennen, was es für den Einzelnen bedeutete, die DDR verlassen zu wollen. Angesichts dieser vielseitigen Gefahren für Leib und Leben erscheinen auch die sogenannten Mitläufer in einem anderen Licht. Sie haben sich verständlicher Weise arrangiert mit dem Staat, denn sie konnten Ihn nur unter Einsatz ihres Lebens verlassen.


Eine Nacht im Spätsommer; die Luft war kühl und der Himmel sternklar. Die untergegangene Sonne hatte auch die Wärme des Tages mitgenommen. Aber die Kälte störte mich wenig, nur die gute Sicht könnte mein Vorhaben gefährden. Ich lag am Waldrand und schaute über die Lichtung. 300 Meter vor mir sah ich die ersten Baumreihen eines kleinen Waldstreifens, der für mich die letzte Deckung bedeutete. Trotz der fortgeschrittenen Stunde, es war so gegen 20 Uhr, konnte ich noch Einzelheiten zwischen Baum und Strauch am Waldrand erkennen. Einzelheiten in der Größenordnung eines Menschen wären nicht zu übersehen. Ich sah aber Niemanden auf der anderen Seite der Lichtung. Das beruhigte mich keineswegs. Ich wusste, dass die Grenzsoldaten nicht nur auf Patrouille gehen, sondern auch aus der Deckung heraus Ihren Grenzabschnitt beobachten.

Oft sind sie mit Nachtgläsern ausgerüstet und haben auch noch einen auf Menschenjagd abgerichteten Grenzhund dabei. Würde diese schlimmste Möglichkeit zutreffen, wäre meine Reise hier ohnehin zu Ende. Man hätte mich längst gesehen und auch schon im Visier der Kalaschnikow. Lange, anstrengende Nachtmärsche haben bei mir ihre Spuren hinterlassen. Mein physischer Zustand war nicht der Beste. Während ich noch zögerte die Lichtung zu überqueren, schoben sich die ersten Wolken vor den Mond. Neunzehn Tage war ich nun schon unterwegs, meistens nachts und im unwegsamen Gelände. Jeder weitere Tag würde meinen Zustand nur noch verschlechtern. Gerade jetzt, so kurz vor dem Ziel, wird die Gefahr am größten und mir ist klar, dass eine falsche Reaktion oder eine Fehleinschätzung im ungünstigsten Fall mein Leben kosten könnte.

In den letzten Tagen war ich nur noch bei Dunkelheit unterwegs, denn nur dann hatte ich ausreichende Sicherheit. Am Tage kampierte ich dort wo mich die Morgendämmerung erreichte. Das war meistens in einem Dickicht an irgendeinem Waldrand. Von dort machte ich mich dann wieder auf den Weg, sobald die Abenddämmerung hereinbrach. Nun bin ich etwas beunruhigt, weil ich mich in den vergangenen Nächten selbst dabei ertappte wie ich bestimmte Verhaltensmuster, die zu meinem persönlichen Schutz notwendig waren, einfach nicht beachtete. In diesem Zustand äußerster Nervenanspannung und physischer Erschöpfung nimmt die Risikobereitschaft zu und die Konzentration lässt nach. Viel habe ich erlebt auf diesem langen, einsamen Marsch. Meine Gedanken springen zurück, hin zu den ersten Tagen meiner Flucht; sie waren noch leicht und unbeschwert. Der Weg vom Zwickauer Bahnhof Richtung tschechischer Grenze führte mich, nachdem ich die letzten Häuser der Stadt hinter mir gelassen hatte, leichten Schrittes über Wiesen, durch Wälder und abgeerntete Felder. Bei Tage lag ich am sonnendurchfluteten Waldrand und nachts wies mir der Polarstern am klaren Himmel die Richtung nach Süden. Aber noch bevor eine Woche verging, war mein mitgeführter Proviant verbraucht, das Wetter schlug um und die Probleme fingen an.

Der Bericht geht hier weiter:
https://www.grenzerinnerungen.de/flucht_1970.htm

Eine sehr detailreiche längere und spannende Fluchtgeschichte.
Interessierter
 

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