OBM-Wahl: Debatte um „Sowjet“-Plakat
Zweieinhalb Wochen vor dem zweiten Urnengang sorgen Aufsteller der Linken für Aufsehen.
Die Ästhetik erinnert an den sozialistischen Realismus. Noch bis zum Freitag sind sie zu sehen. Diese Plakate sind zweifellos ein Hingucker im OBM-Wahlkampf, sie sorgen allerdings auch für Diskussionen in Leipzig. Anstatt eines Kandidaten-Bildes zeigen die großen Aufsteller einen Mann beim Mittagessen, der ein gereichtes Schnapsglas ablehnt – auf dem die Parteilogos von AfD und CDU zu erkennen sind. „Leipzig kippt nicht“ steht in großen Lettern daneben. Auch wer nur einen flüchtigen Blick riskiert, erkennt in der Illustration unschwer einen Bezug zum sozialistischen Realismus. Die verantwortliche Leipziger Linke, die beim zweiten Urnengang offen SPD-Kandidat Burkhard Jung unterstützt, betont den ironischen Unterton ihrer aktuellen Kampagne.
Motiv schon zur Landtagswahl„Wir wollten ein Plakat machen, das unsere Mitglieder und Unterstützer noch einmal mobilisiert. Weil es neben der Unterstützung für Jung eben auch um eine Ablehnung von CDU-Kandidat Sebastian Gemkow geht, bot sich der Spruch ‚Leipzig kippt nicht‘ an. Und dazu passte dieses historische Plakat sehr gut“, sagt Kay Kamieth, Sprecher der Leipziger Linken. Ganz neu ist die Idee zudem nicht, bereits zur Landtagswahl 2019 waren Postkarten mit dem modifizierten Motiv – inklusive des Antifa-Logos von Bauhaus-Künstler Max Gebhard – als Linken-Werbung im Umlauf.
Die Herkunft des Bildes geht auf eine der vielen Kampagnen des sowjetischen Staates gegen die Alkoholsucht seiner Bürger zurück. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts gab es im Riesenreich Versuche, den permanenten Wodka-Genuss durch Agitation einzuschränken. Michael Gorbatschow ließ den Verkauf Ende der 1980er-Jahre sogar sanktionieren – allerdings mit überschaubarem Erfolg. Der Genuss von Hochprozentigem war jahrelang auch als Systemkritik zu verstehen.
Das nun von den Linken konkret verwandte und im Internet übrigens weit verbreitete Motiv stammt vermutlich aus den 1950er-Jahren, sagt der Historiker Rainer Eckert. Der langjährige Chef des Zeitgeschichtlichen Forums Leipzig (ZFL) hat es selbst sogar zu Hause. „Das Plakat fiel mir auch gleich auf – weil ich es als Magnet an meinem Kühlschrank habe. Vor Jahren fand ich diesen bei einer Erkundungsreise in Moskau an einem Stand mit Motiven aus der Stalin-Zeit“, sagte Eckert gegenüber der LVZ.
„Ich denke, im politischen Gebrauch sind historische Plakatmotive nicht ungewöhnlich“, entgegnet Linken-Sprecher Kamieth und erinnert an das amerikanische Weltkriegs-Plakat „We Can Do It“, dass zuletzt auch von der FDP benutzt worden war. „Dass wir nun gerade ein Plakat aus der sowjetischen Propaganda nehmen, ist auch mit einem Augenzwinkern zu verstehen. Schließlich wird uns ja immer vorgeworfen, wir wären Ewiggestrige“, so Kamieth weiter. Zumindest beim Wählerpotenzial der Linken kommt das Motiv offenbar gut an. Kamieth spricht von vielen positiven Reaktionen. Im Lager der SPD, die damit unterstützt werden soll, sieht das nicht ganz so einheitlich aus. „Meines Wissens nach erhielt die SPD bisher vereinzelt Kritik für unser Plakat“, so der Linken-Sprecher
Historiker Rainer Eckert, der in den Wendejahren die ostdeutsche Sozialdemokratie mit aus der Taufe hob, hat zumindest Vorbehalte. „Als Plakatmotiv sehe ich das etwas zwiespältig. Einerseits ist es angesichts der Ikonografie ein starkes Motiv und ein Hingucker. Andererseits ist es natürlich auch angesichts der stalinistischen Propaganda belastet. Zudem geht mir der Zusatz mit dem AfD- und CDU-Logo persönlich auch etwas zu weit“, so der Ex-Chef des Zeitgeschichtlichen Forums gegenüber der LVZ.
Jung setzt auf bekannte Werbung Klar ist: Lange werden die Plakate nicht mehr in Leipzig zu sehen sein. Bis zum Freitag 24 Uhr müssen alle Parteien, die nicht erneut antreten, ihre Wahlwerbung eingesammelt haben. Die großen Plakataufsteller, auf denen jetzt auch „Leipzig kippt nicht“ zu lesen ist, wurden laut Kamieth von einer Agentur bis Ende Februar vermietet und werden in der kommenden Woche mit Motiven der verbliebenen Kandidaten erneuert. „Da kommt dann sicher eins von Burkhard Jung drauf.“
Der Amtsinhaber geht in die entscheidenden zwei Wochen vor dem Votum mit den bekannten Motiven und Slogans aus dem ersten Wahlgang. Die Agentur seines Herausforderers Sebastian Gemkow hat indes noch einmal nachgelegt, zeigt den Unionspolitiker auf den neuen Plakaten zwar in bekannter Pose, aber mit neuem Wahlhinweis auf die Abstimmung am 1. März.
© Leipziger Volkszeitung 11. 2. 20
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Leipzig – Zu Sowjetzeiten warnte das Plakat vor Trunksucht, im OB-Wahlkampf zielt es gegen den CDU-Kandidtaten Sebastian Gemkow (41), der im ersten Wahlgang Amtsinhaber Burkhard Jung (61, SPD) schlug. Darauf der Slogan: „Leipzig kippt nicht! Für eine weltoffene solidarische Stadt“ – und ein Herr im Anzug, der brüsk ein Likörglas von sich weist, auf dem „AfD“ und „CDU“ steht.Zweienhalb Wochen vor dem 2. Wahlgang (1. März) ist der Ton schärfer geworden. BILD-Interview mit CDU-Mann Gemkow.
BILD: Warum wehren Sie sich nicht gegen die Attacken?
Sebastian Gemkow: „Man muss nicht über jedes Stöckchen springen, das einem der Mitbewerber hinhält. Solche Attacken spalten anstatt zu einen. Deshalb halte ich sie für gefährlich.“
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https://www.bild.de/regional/leipzig/le ... .bild.html_______________________________________________________________________________________________________________________________
Ob diese linke Kampagne Herrn Jung helfen wird?