Der nach rechts verrückte Wähler

Der nach rechts verrückte Wähler

Beitragvon Interessierter » 22. Juli 2019, 09:05

Das Wahlverhalten ändert sich grundlegend. Das früher so berechenbare Wahlvolk ordnet seine Lager nach einem neuen Prinzip. Einst wirkten soziale Zugehörigkeit, religiöses Bekenntnis, landsmannschaftliche Tradition und die Rechts-Liberal-Links-Logik, jetzt sorgt eine Stimmung, ein mentales Paradigma, für neue Mehrheiten: Der hoffnungsfrohe und agile Teil der Gesellschaft steht plötzlich gegen allerlei nostalgisch gestimmte Milieus eher deprimierter Menschen, die Wutbereitschaft zeigen. Hier ist der Nährboden, auf dem am rechten Rand der Rechtspopulismus gedeiht. Unser Autor Klaus Kocks sieht einen wesentlichen Teil des Wahlvolks mental nach rechts verrückt.

Was ist das Gemeinsame aller Rechtspopulisten, die in Europa und Amerika zu spektakulären Wahlerfolgen kommen? Eine Nähe zum klassischen Faschismus unter Mussolini und Hitler ist als Aussage zwar von polemischem Wert, historisch trägt diese Analogie aber nicht weit; sie erklärt vor allem nicht die Attraktivität, die die neuen Führer heute bei ihren Gefolgschaften haben. Dass einzelne Figuren der neuen Rechten mit Tabubrüchen zur Nazi-Ideologie spielen, darf nicht zu dem Irrtum fehlleiten, dass hier eine einheitliche Bewegung entstanden wäre.

Schon die Vorstellung einer „Bewegung“ erinnert an die NS-Ideologie. Hier wirkt eine Vorherrschaft nicht der Vernunft, sondern von Lebensgefühlen aus einem ganzen Puzzle unterschiedlicher Gründe. Es gibt eine Vielzahl unterschiedlicher Milieus, die aus unterschiedlichen Gründen genau eine Chance sehen, nämlich es den jeweiligen Eliten mal zu zeigen. Teile der Neuen Rechten sprechen dementsprechend von einer „Mosaikrechten“. Gegen die Eliten zu sein, das eint alle Populisten. Das Gemeinsame aller Rechtspopulisten ist Trotz.


Es beherrschen sie dahinter die Skepsis gegenüber der liberalen Moderne, die als Sittenverfall wahrgenommen wird, und eine umfassende Nostalgie, eine Sehnsucht nach guten alten Zeiten, sprich allerorten ein neuer Mut zum Reaktionären. Wenn die gefühlten Veränderungsverlierer das politische Klima dominieren und die voraussichtlichen Veränderungsgewinner die Segel streichen, gibt eine atavistische Nostalgie den Ton an. Deren Propaganda ist bei ihren Anhängern populär, selbst dann, wenn sie erkennbar lügt; sie wird wegen ihres Unterhaltungswertes und des Empörungspotenzials geliebt, nicht weil sie wahr wäre. Dazu zwei persönliche Erlebnisse der letzten Tage.


Überlebenskampf

Zweiter Tiefschlag. Im Frankfurter Hauptbahnhof spricht mich ein junger Mann, mit dem es das Leben offensichtlich nicht gut gemeint hat, an, ob ich mal einen Euro habe. Sein körperlicher Zustand ist bedenklich, er sitzt ziemlich verlottert in einem Rollstuhl und scheint unter Brücken zu schlafen. Er hat ein Anrecht auf mein Gehör. Ich krame nach Münzen, denn ich neige nicht dazu, solche Augenblicke zu pädagogischen Belehrungen zu nutzen und dem Durstigen ostentativ ein Brötchen zu kaufen. Es muss schon für eine Flasche Rotwein reichen oder zwei, finde ich. Ich erwische einen Zehner und gebe ihm den. Er freut sich und beginnt ein Gespräch mit mir.

Wo ich denn hin wolle. Nach Berlin. „Oh, zu Frau Merkel. Wie finden Sie die?“ Ich verhasple mich in etwas, das politisch korrekt klingen soll. Er fällt mir ins Wort: „Die soll nicht die ganzen Ausländer reinlassen.“ Die nähmen ihm den Platz im Männerwohnheim weg. Ich kontere, weil ich die Animosität gegen Nachtasyle aus beruflichen Gründen ein wenig kenne: „ Sie schlafen doch draußen. Da gehen Sie doch niemals hin, oder?“ Er grinst: „Meister, Du kennst Dich aus! Klar gehe ich nicht ins Asyl.“ Trotzdem sei die Merkel eine S**. Wenn er nicht dort hingeht, wie kann dann ein geflohener Asylbewerber ihm den Platz wegnehmen? Dieses „trotzdem“ des Vorurteils gegen alle Wirklichkeit macht mich fertig. Ich murmele was zum Abschied und suche das Weite.

Nicht in meinem Namen

Ich weiß nicht zu sagen, wie die Dinge in Ungarn oder Polen oder Italien genau liegen; aber ich blicke als Deutscher mit Sorge in die Neuen Bundesländer meines Vaterlands. Ich könnte nun eine dritte Episode erzählen. Ich habe in Leipzig ein Taxi vorzeitig verlassen, weil mir die Fahrerin in breitem Sächsisch zu erklären suchte, warum Pegida das gleiche sei wie die friedliche Revolution, die die SED gestürzt habe. Man sei halt deutsch und habe schon Napoleon geschlagen. Sie verweist auf das örtliche Völkerschlachtdenkmal. Man habe in der DDR die Russen überlebt, man werde auch Merkel „erledigen.“ Sie sagt „erledigen“ und ich fürchte, die alte Frau meint das auch. Ich habe die Dame gebeten, rechts ranzufahren, gezahlt und bin den Rest der Strecke gelaufen. Ich ertrage diese große Koalition der Veränderungsverlierer nicht mehr.

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Re: Der nach rechts verrückte Wähler

Beitragvon Nostalgiker » 22. Juli 2019, 09:28

Immer schön weiter die Teilung Deutschlands zementieren indem nach 30 Jahren immer noch von den "neuen Bundesländern" geschwafelt wird.
Damit wird sehr subtil verkündet dass das 'wahre' Deutschland sich in den Grenzen der alten BRD befindet und auch immer befinden wird. Der lästige und renitente Rest lebt in den "Neuen" und ist undankbar, politisch rechtslastig und faul. Nicht für umsonst wird regelmäßig festgestellt das die Arbeitsproduktivität in diesem Gebiet bei den wenigen die dort Arbeit haben deutlich niedriger ist zum Vergleich zur "Alten".

Solange solche arroganten Menschen aus den Alten Ländern mit ihrer "Starken Meinung" nur dürftig kaschiert ihre Verachtung für die Menschen im östlichen teil der BRD verbreiten brauchen sich diese Leute nicht den Wunderbeutel, warum sind die Rechts? umzuhängen.

PS.: Interessanter als der Artikel sind die Kommentare dazu.
Ich nehme zur Kenntnis, das ich einer Generation angehöre, deren Hoffnungen zusammengebrochen sind.
Aber damit sind diese Hoffnungen nicht erledigt. Stefan Hermlin

Freiheit ist nur ein anderes Wort dafür, dass man nichts zu verlieren hat. Janis Joplin

Psychologen haben herausgefunden, dass Menschen, die immer bei anderen auf die Rechtschreibfehler hinweisen, eine Persönlichkeitsstörung haben und unzufrieden mit ihrem Leben sind. Netzfund
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Re: Der nach rechts verrückte Wähler

Beitragvon Kumpel » 22. Juli 2019, 09:47

Nostalgiker hat geschrieben:Immer schön weiter die Teilung Deutschlands zementieren .................


Schade um das Forum.
Ich denke nicht , dass der Autor das auch nur ansatzweise im Sinn hat.
Die Gesellschaft zerfasert sich , Populisten und Demagogen saugen daraus.
Die Demokratie schafft sich nach und nach selbst ab. Gute Zeiten für Extreme.
Nur die Linken sind zu blöd davon zu profitieren.
Kumpel
 

Re: Der nach rechts verrückte Wähler

Beitragvon Interessierter » 26. Juni 2020, 10:01

Undercover in digitalen Untergrundnetzwerken: Warum rechte Influencer so gefährlich sind

Sie braten Schnitzel auf Youtube, geben Bartpflegetipps – und verbreiten dabei politische Botschaften: rechte Influencer. Autor Patrick Stegemann recherchiert im Geheimen und erklärt im MADS-Interview, wieso rechte Influencer so gefährlich sein können – und wie sie arbeiten.

Hallo Patrick, „Die Jugend aus dem Internet klopft an die Türen der deutschen Politik und lässt die Muskeln spielen“ – so beginnt dein und Sören Musyals aktuelles Buch über extrem rechte Influencer – wie ist das zu verstehen?

Wir wollen die Öffentlichkeit darüber aufklären, dass die extreme Rechte das Netz gut versteht und zu nutzen weiß. Im Jahr 2019 gab es die Terroranschläge in Christchurch, El Paso und Halle. Erst dann wurde vielen klar: Was im Netz passiert, hat Einfluss, ist Realität.

Wer hat da was verschlafen?

Das hat sich dann auch am Positivbeispiel Rezo („Die Zerstörung der CDU“) gezeigt. Kurz danach titelte die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ „Neben Pups- und Pannenthemen gibt es auf Youtube jetzt auch Politik“. In diesem Titel steckt die ganze Borniertheit, die ganze Arroganz großer Teile der Medienbranche. Sie haben einfach nicht verstanden, dass Plattformen wie Youtube und Instagram politische Plattformen sind.

„Rechtsextreme Influencer versuchen, Formen zu kopieren, die sonst auch erfolgreich sind, wie Musik oder Beautyfotos. Sie machen dann daraus eine politische Version.“
Patrick Stegemann (30), Journalist und Autor


Auf Youtube brät Martin Sellner, Chef der Identitären Bewegung Österreichs, Schnitzel, andere geben Bartpflegetipps. Wiederum andere kuscheln mit ihrem Partner auf Instagram-Fotos. Was hat das mit Rechtsextremismus zu tun?

Das ist ein Teil der Strategie. Martin Sellner bezeichnet es in seinen Worten mit dem Emo-Krieg. Sie wollen die Ebene der Fakten verlassen und an die Emotionen der Zuschauer appellieren. Das kennen wir aus dem Marketing und der Werbung. Er adaptiert dieses Prinzip für die extreme Rechte. Die Inhalte sollen harmlos aussehen und dann unter der Hand politische und menschen-feindliche Botschaften vermitteln, wie beispielsweise mit einem ursprünglich deutschen Kochen, einem traditionellen Familienbild oder einfach nur durch Sympathie.

Wie stößt man im Netz denn überhaupt auf diese Inhalte und rechte Influencer?

Die Antwort und weitere Fragen findet man hier:
https://mads.de/rechte-influencer-wie-s ... lich-sind/
Interessierter
 


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