Berufliche Ausgrenzung und widerständige Handlungsräume in der Ära Honecker

Berufliche Ausgrenzung und widerständige Handlungsräume in der Ära Honecker

Beitragvon Interessierter » 22. Mai 2019, 13:14

Friedhofsgärtner, Nachtwächter, Heizer

1. Problemaufriss
2. Praxis und Folgen beruflicher Ausgrenzung: Zwei Beispiele
3. Akteure der beruflichen Ausgrenzungspraxis
4. Folgen der beruflichen Ausgrenzung und oppositionelle Gegenstrategien
5. Fazit


ANMERKUNGEN

Bild
Das Transparent wurde im Vorfeld der Ost-Berliner Liebknecht-Luxemburg-Demonstration 1988 angefertigt und vom MfS fotografiert. Der Liedermacher Stephan Krawzcyk trug es versteckt unter seiner Jacke, als er am 17. Januar, dem Tag der Demonstration, festgenommen wurde (Quelle: BStU, MfS HA IX/FO/1375).

1. Problemaufriss

Gut ein Drittel der ehemals führenden Oppositionellen1 in der DDR arbeitete in Bereichen außerhalb der offiziellen Arbeitsgesellschaft.2 Diese Personen übernahmen Tätigkeiten bei der evangelischen Kirche, arbeiteten unter erschwerten Bedingungen als freischaffende Künstler oder „saßen ihre Zeit ab“ als Heizer im Kino oder auf einer anderen ihnen zugeordneten Arbeitsstelle.
In den vielen Publikationen zu politischer Gegnerschaft, Opposition und Widerstand in der DDR spielen berufliche Ausgrenzung und Verfolgung bisher nur am Rande eine Rolle.3 Dabei verdient der Zusammenhang von Beruf und politischer Gegnerschaft genauere Analysen.

Denn es ist eine irreführende Annahme, bei den Mitgliedern politisch alternativer Gruppen habe es sich mehrheitlich um Marginalisierte gehandelt, also um Berufsaussteiger, Studienabbrecher oder sozial benachteiligte Jugendliche.4 Angesichts der politischen Bedeutung von Arbeit und Beruf in der DDR sind hier differenziertere Zugänge erforderlich. Arbeit und Beruf waren in der DDR zentrale gesellschaftliche Integrationsmodi. Sie übernahmen die Funktion sozialer Identitätsfindung und individueller Sinngebung. Dem konnten sich politische Gegner ebensowenig entziehen wie die Mehrheitsgesellschaft.5

Nicht nur Disziplinarmaßnahmen, Strafversetzungen oder fristlose Entlassungen waren Teil der beruflichen Ausgrenzungspraxis, sondern auch die „Bewährung in der Produktion“. Solche Unterdrückungsinstrumente richteten sich teils gegen Personen, die sich selbst möglicherweise gar nicht als systemkritisch sahen, sondern sich lediglich staatlicher Bevormundung zu entziehen versuchten.

In anderen Fällen sahen führende Oppositionelle darin eine Chance zur Selbstorganisation, also zu einer alternativen und selbstbestimmten Lebensweise. Sie konnten in der DDR der 1980er-Jahre berufliche Nischen finden, die ihnen Zeit und Raum gaben, ihre politische Gegnerschaft zu professionalisieren und diese immer stärker zur Hauptbeschäftigung zu machen. Die Nichtteilnahme am staatlichen Berufsleben konnte sogar zum positiven Code werden.

Aus Sicht des Staates ging es darum, vermeintliche oder tatsächliche politische Gegner auf diese Art und Weise zu kontrollieren und zu isolieren. Vorrangig war dabei nicht immer ein totales Arbeitsverbot, sondern die Einschränkung widerständiger Handlungsräume. Was dies im Detail bedeutete, soll im Folgenden beispielhaft dargestellt werden. Dabei sollen sowohl die individuellen als auch die kollektiven Folgen der beruflichen Ausgrenzung untersucht werden. Was die SED, das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) und andere staatliche Akteure als Einschränkung planten und umsetzten, wurde insbesondere von aktiven Oppositionellen als normale Folge ihres Handelns interpretiert. Zum Teil sahen sie in der beruflichen Randstellung Möglichkeiten, neue politische Handlungsräume zu erschließen.

Weiter geht es hier:
https://zeithistorische-forschungen.de/3-2007/id=4556
Interessierter
 

Re: Berufliche Ausgrenzung und widerständige Handlungsräume in der Ära Honecker

Beitragvon Beethoven » 22. Mai 2019, 13:59

Ohne jetzt den Beitrag vom sich "Interessierter" Nennenden gelesen zu haben, kann ich mir schon vorstellen, was er zum Besten gibt.

Nun, die Sache mit dem Berufsverbot ist im Deutschland vor 89 keine Einbahnstraße gewesen. [hallo]

Gretel Bühler
Am 28. Januar 1972, vor 45 Jahren, erließen die Ministerpräsidenten der Bundesländer in Abstimmung mit Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) den sogenannten Radikalenerlaß.

Mit einer „Regelanfrage“ wurden 3,5 Millionen Menschen vom „Verfassungsschutz“ auf politische „Zuverlässigkeit“ durchleuchtet. In der Folge kam es zu 11 000 offiziellen Berufsverbotsverfahren, 2200 Disziplinarverfahren, 1250 Ablehnungen von Bewerbungen und 265 Entlassungen. Der „Radikalenerlaß“ führte zum faktischen Berufsverbot für Tausende von Menschen, die als Lehrerinnen und Lehrer, in der Sozialarbeit, in der Briefzustellung, als Lokführer oder in der Rechtspflege tätig waren oder sich auf solche Berufe vorbereiteten. In der Praxis traf es vor allem Mitglieder der DKP und anderer linker Organisationen. Mit dem Kampfbegriff der „Verfassungsfeindlichkeit“ wurden mißliebige und systemkritische Organisationen und Personen an den Rand der Legalität gerückt, wurde die Ausübung von Grundrechten wie der Meinungs- und Organisationsfreiheit bedroht und bestraft.

Niemand von uns dachte im Traum daran, daß uns der Verfassungsschutz bereits bespitzelte und Akten über uns anlegte. Nein, in der Bunderepublik werden anders Denkende bespitzelt? Das kann doch gar nicht sein, meint Beethoven [flash] )

Willi Brandt war Bundeskanzler, und wir fieberten mit, daß er ein Mißtrauensvotum im Bundestag überstand. Und dann kam wie ein Paukenschlag der von Brandt initiierte Radikalenerlaß. Von diesem Moment an waren wir plötzlich Staatsfeinde. Nachdem bereits 1956 die KPD verboten worden war, wußten wir, was das für jeden von uns bedeuten konnte. Plötzlich war unsere Unbeschwertheit, unsere Leichtigkeit verschwunden. Jede(r) mußte für sich die Frage beantworten, wie reagiere ich? Behält die Angst die Oberhand oder ist der Wille stärker, für die eigene Überzeugung zu kämpfen und dafür unter Umständen mit Berufsverbot bestraft zu werden. Es folgte in meinem Fall, wie in Tausenden anderen Fällen, ein Anhörungsverfahren, in dem mir die Erkenntnisse des Verfassungsschutzes vorgelegt wurden – ein Artikel in der Zeitung der DKP über einen Hochschulstreik, Kandidatur für den Spartakus, eine Studienreise in die DDR und die zentrale Frage, ob ich Mitglied der DKP sei. Ich habe diese Frage nicht beantwortet, da die DKP eine zugelassene Partei war und ist. Zum Glück stand mir ein Rechtsbeistand der GEW zur Seite, der mich beraten und unterstützt hat … Nicht nur beruflich und politisch, auch privat hatte diese Anhörung Folgen. Menschen zeigten mir ihre Solidarität, von denen ich es nie erwartet hätte. So hat sich zum Beispiel mein damaliger Schulleiter, ein SPD-Mitglied, geweigert, einen Bericht über mich für den Verfassungsschutz anzufertigen. Andere, enge Freunde und Kollegen, haben sich nicht getraut, ihren Namen unter eine Solidaritätsliste zu setzen. Die Angst vor Repressalien und das Mißtrauen hatten sich ausgebreitet. Ich erhielt anonyme Briefe, mußte Niedrigkeiten menschlichen Verhaltens erleben. Aber viel größer und bedeutender war die Solidarität vieler Kollegen, der Gewerkschaft, meiner damaligen Schüler und deren Eltern, meiner Familie, vieler Menschen, die ich vorher nicht gekannt hatte. Berufsverbotskomitees gründeten sich an meinem Wohnort, überregional und sogar in Holland, die sich mutig und mit langem Atem für mich und andere Betroffene engagierten. Bis heute bin ich all diesen Menschen dankbar. … Mich persönlich hat das Berufsverbot am Ende gestärkt. Die Solidarität hat mir geholfen, die harten Zeiten zu meistern. Angst vor vermeintlichen Autoritäten habe ich völlig verloren, ich habe mich nie als Opfer gefühlt, denn ich bin den Weg gegangen, den ich für richtig gehalten habe … Politische Auswirkungen haben die Berufsverbote bis heute. Wenn Kollegen aus Angst vor einem Eintrag in die Personalakte nicht an einem Streik der GEW teilnehmen, wenn gesellschaftlich wichtige Prozesse im Unterricht nicht behandelt werden etc., dann beruht dies auch darauf, daß die Angst vor Repressalien immer gegenwärtig ist.
Das Freiheitsgefühl und die Unbeschwertheit der siebziger Jahre sind bis heute verflogen. Der Traum von freien und gleichen Menschen in einer freien Gesellschaft ohne Bespitzelung ist weiter entfernt als zu meiner Studienzeit, aber er ist noch lange nicht aufgegeben.
Aus „Blickpunkt“, 2/2017,
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Re: Berufliche Ausgrenzung und widerständige Handlungsräume in der Ära Honecker

Beitragvon augenzeuge » 22. Mai 2019, 16:00

Nun, die Sache mit dem Berufsverbot ist im Deutschland vor 89 keine Einbahnstraße gewesen.


Hat er das behauptet? Ich denke es geht darum, dass die DDR über jedes Berufsverbot im Westen berichtete, und dabei allerdings das Berufsverbot im eigenem Land verschwieg bzw. leugnete.
Die BRD hat das dagegen klar kommuniziert.

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Re: Berufliche Ausgrenzung und widerständige Handlungsräume in der Ära Honecker

Beitragvon Volker Zottmann » 22. Mai 2019, 17:31

@Beethoven, warum nennst Du Dich denn nicht gleich Buchela?
Ignorieren, dann nicht lesen, dennnoch wissen was Dein Ignorierter meint...
Ist das nun Hellseherei, Weitsicht oder doch bloß Gespinne? [flash]

Gruß Volker

PS: Wenn Du mal wissen willst, was der Interessierte schrieb, dann ruf mich doch an, dann kann ich Dir das vorlesen, vielleicht sogar erklären.
Volker Zottmann
 

Re: Berufliche Ausgrenzung und widerständige Handlungsräume in der Ära Honecker

Beitragvon Beethoven » 23. Mai 2019, 07:33

[grins]

Freundlichst
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