Aus der Suppenküchen-Bewegung ist ein Fürsorgekonzern mit mehr als einer Million Stammkunden geworden, der ein Filialnetz betreibt, von dem viele Discounter nur träumen können.
"Tafel" ist ein Markenname wie Aldi und Schlecker, geschützt vom Patentamt. Etwa 4700 Tafel-Fahrzeuge sind unterwegs, um abzuholen, was sonst weggeworfen würde.
Vordergründig geht es um Mildtätigkeit, doch tatsächlich herrscht bei einigen Spendern auch nüchternes Renditekalkül. Durch ihre edlen Spenden sparen die Lebensmittelhändler Abfallgebühren in Millionenhöhe. Die Berliner Tafel hat ausgerechnet, dass sie selbst im Jahr noch etwa 40 000 Euro zahlen muss, um Bio-Müll zu entsorgen. Dabei handelt es sich etwa um Gemüse, das auf dem Weg zur Tafel welk geworden ist.
Noch besser wird das Geschäft für die Supermärkte und Lebensmittelproduzenten, wenn sie von der Tafel eine Spendenquittung erhalten. Damit wird dann nicht nur ein Entsorgungsproblem gelöst, sondern zusätzlich auch ein geldwerter Vorteil gegenüber dem Finanzamt erzielt. Ob alle gespendeten Waren für die Weitergabe an Bedürftige geeignet sind, spielt keine Rolle. Selbst für schlappes Gemüse stellen die Tafeln eine Spendenquittung aus, die dem Verkaufswert frischer Ware entspricht.
Die Chefin der Berliner Tafel, Sabine Werth, beklagte unlängst, dass es mittlerweile zu viele Stellen gebe, an denen Essen verteilt wird. "Die vielen Lebensmittelangebote werden zur Grundversorgung der Armen, das darf nicht sein", sagte sie. Der Hartz-IV-Status ist die Eintrittskarte in eine Gratiswarenwelt - ein fragwürdiger Leistungsanreiz.
In Bochum sitzt Tafel-Chef Baasner in seinem Ledersessel, bestellt Kaffee bei einer Mitarbeiterin und schaut hinaus auf den Vorplatz, wo seine Leute gerade einige hundert Packungen Waschmittel von einem Lastwagen laden. Die Tafel verfügt über mehrere Lagerhäuser, ein Sozialwarenhaus und eine Immobilie, in der neben der Verwaltungszentrale auch eine Nachhilfeschule und ein Fitnessraum untergebracht sind. Baasners Telefon klingelt. Bei einem Großhändler ist ein Regal umgekippt, deshalb muss sofort ein Lieferwagen los, um verbeulte Gemüsedosen abzuholen. "Wir müssen immer schneller und flexibler werden", sagt der Chef, "die Geschäftspartner verlangen das von uns."
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