DDR-Geschichte: Stasi nutzte Geheimschleusen für Spione und Material
Hitzelrode. Der kilometerlange Betonplattenweg durch den Wald, ein Stück des hässlichen, drei Meter hohen und feinmaschigen schwarzen Zauns: Sonst erinnert 25 Jahre nach der Wiedervereinigung kaum noch etwas beim nordhessischen Hitzelrode (Werra-Meißner-Kreis) an die frühere innerdeutsche Grenze.
Andere Relikte des Kalten Krieges kann man leicht übersehen: Ein Wasserrohr im Unterholz, gut einen halben Meter im Durchmesser, gilt als geheimer Übergang zwischen Ost und West. „Es soll eine Agentenschleuse gewesen sein, die Grenzaufklärer vor den Zaun gebracht hat“, erzählt Georg Forster. Der frühere Bundesgrenzschützer, heute 76, bietet Wandertouren durch das Gebiet an.
Trotz Doppelzäunen, Minenfeldern und Selbstschussanlagen - die DDR-Grenze hatte Löcher. Durch das Rohr bei Hitzelrode kamen Ost-Spione ungesehen zwischen Bäumen und Sträuchern noch auf DDR-Gebiet knapp vor der Grenze zur Bundesrepublik wieder heraus. Von dort aus hätten sie in eine Kneipe gehen und die Stimmung im Westen einfangen können, mutmaßt Forster. Die Schleuse bei Hitzelrode wurde erst 1990 nach der Grenzöffnung entdeckt.
Natürlich ging es nicht nur um Kneipenbesuche. Der Mauerbau 1961 zwang die DDR, die eigene Abschottung heimlich zu durchlöchern. Ost-Spionagechef Markus Wolf schob 1962 den Schleusenbau an. Neben dem Hitzelröder Rohr weiß die Stasiunterlagen-Behörde (BStU) von vielen weiteren Geheimpassagen entlang der 1378 Kilometer langen innerdeutschen Grenze: Verdeckte Tore im Zaun konnten mit wenigen Handgriffen geöffnet werden, Experten des MfS kümmerten sich um nichts anderes als Schleusen. Experten gehen laut BStU von 70 bis 540 Durchschlupflöchern aus.
Zu jeder „inoffiziellen Gasse im Minenfeld“ gab es laut BStU-Mitarbeiterin Angela Schmole Akten mit Karten und Skizzen. Durch manche Lücken passten Menschen, durch andere nur Material. Fürs Hin und Her beschäftigte das MfS laut Schmole in grenznahen Ost-Dörfern ein spezielles Schleusernetz. Das Personal ging dort tagsüber unverdächtigen Jobs nach. Und bei Bedarf nach drüben, gerne nachts, geschult im Kompass- und Kartenlesen, zur Tarnung mit Westausweis versorgt.
Hintergrund: Schleusen in der Region
• Die Stasi gab Grenzschleusen gerne Namen: „Wurzel“ und „Zwerg“ taufte sie zum Beispiel die in den 1980er-Jahren angelegten Schlupflöcher am Großen Ehrenberg im Südharz nahe der westthüringischen Grenzsstadt Ellrich. Als günstigste Schleusungszeit wurde 11 bis 15 Uhr empfohlen - warum auch immer. Wer hier rüber sollte, dem wurde zur Tarnung das Tragen von Wanderausrüstung angeraten - samt Proviant. In Gegenrichtung wechselten über Schleusen auch Westagenten, die sich in der DDR mit Führungsoffizieren treffen sollten.
• Über die Schleuse „Autobahn“ an der heutigen A7 bei Wildeck (Kreis Hersfeld-Rotenburg) passierten Dokumente und Agenten den Zaun bis 1968.
• Der Betrieb der Schleuse Weißwasser - über die Werra - galt als heikel: Das MfS fürchtete „Kontrollen durch Hubschrauber des Bundesgrenzschutzes“.
• 1971 forderten MfS-Offiziere die nachträglich Ausrüstung aller Schleusen mit Alu-Leiter, Leine, Eisenhaken, Kanalstiefeln oder Schlauchboot sowie Radio zum Abhören der Zollwelle.
https://www.hna.de/politik/rohr-westen-5367632.html