Manchmal kam bei ihm so was wie die ehrliche Haut durch. Dann war er das einzige lebendige Gesicht in einer gespenstischen Reihe von Pokerfaces. Einmal zum Beispiel in Moskau beim Staatsbegräbnis von einem der letzten „roten Zaren“ in den 1980er Jahren. War es Breshnew oder Andropow oder Tschernenko? Jedenfalls war es der langjährige hallesche Bezirksfürst Horst Sindermann, der als einer aus der Staatsdelegation der DDR dem designierten Nachfolger des soeben dahingegangen Sowjetführers kondolierte - mit breitest möglichem Lachen. „He Horst, das ist doch keine Hochzeit, das ist eine Trauerfeier!“ - hätte man ihm da zurufen mögen.
Aber so war er: Das freundlichste Antlitz aus einer verdammt harten und gnadenlosen Truppe. Vielleicht war er aus der Sicht seiner Auftraggeber deshalb auch eine vergleichsweise gute Besetzung für den Job, den er vor nun 40 Jahren angetreten hat und in dem er fast bis zum Ende der DDR tätig war: Als Präsident der Volkskammer, des chronisch einstimmig beschließenden Pseudo-Parlaments der DDR.
Vollstrecker der DDR-Demokratie
Somit war Sindermann für immerhin ein Drittel der DDR-Geschichte der lächelnde Vollstrecker der DDR-Demokratie, die von Grund auf antidemokratisch war. Dafür freilich hatte er sich nicht zuletzt mit einem seiner vorherigen Jobs qualifiziert: dem des SED-Propaganda-Chefs. In diesem Zusammenhang wird ihm die Erfindung eines Begriffs zugeschrieben, der zum einprägsamsten Beispiel der politisch korrekten Sprache Marke DDR werden sollte - einer von oben medial vorgeschriebenen Begriffsregelung, für die seinerzeit freilich kein englischer Oberbegriff gebräuchlich war.
Die Rede ist vom „Antifaschistischen Schutzwall“, dem Euphemismus für die mörderische innerdeutsche Grenze. Doch war es bei Sindermann wohl weniger Borniertheit als Kalkül, außerhalb seines eigenen politischen Dunstkreises überall Faschisten zu wittern, um den Begriff antifaschistisch dann für die Bekämpfung Andersdenkender missbrauchen zu können: Eine Idee, die ihn übrigens überlebt hat und nun immer neue Blüten treibt.
Sprache verordnen und reglementieren
Der zynische Begriff „antifaschistischer Schutzwall“ sollte ab 1961 im allgemeine Bewusstsein des seither eingesperrten Volks etabliert werden. Dass genau das nicht gelungen ist, kann auch als Lehrstück dafür verstanden werden, wie aussichtslos es auf Dauer ist, Sprache zu verordnen und zu reglementieren. Und auf diese Weise unerfreuliche Tatsachen umdeuten zu wollen.
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