Bericht des MfS über "Rowdyhaftes Verhalten" bei einer Tanzveranstaltung

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Bericht des MfS über "Rowdyhaftes Verhalten" bei einer Tanzveranstaltung

Beitragvon Transitfahrer » 8. Dezember 2018, 15:09

Im Ergebnis einer Anzeigenprüfung wegen des Verdachts der Begehung strafbarer Handlungen während einer Tanzveranstaltung am 25. Dezember 1987 in der KONSUM-Gaststätte Görmin/Demmin/Neubrandenburg wurden am 13. Januar 1988 wegen öffentlicher Herabwürdigung und Rowdytum (1) gegen fünf jungerwachsene DDR-Bürger (Alter zwischen 18 und 20, Facharbeiter, Lehrling, eine Person wegen Rowdytum vorbestraft) Ermittlungsverfahren eingeleitet und Haftbefehle erlassen.
Die bisher geführten Untersuchungen ergaben:
Am 25. Dezember 1987, um 19.00 Uhr begann eine Tanzveranstaltung in der genannten KONSUM-Gaststätte, bei der ca. 180 Personen, vorwiegend Jugendliche, anwesend waren. An dieser Tanzveranstaltung beteiligten sich auch ca. 15 Jugendliche, die sich als sogenannte Fanclubmitglieder des FC Hansa Rostock beziehungsweise Fanclubmitglieder Udo Lindenbergs bezeichnen. Durch diese Personengruppe wurden größere Mengen Alkohol getrunken.
Gegen 21.00 Uhr wurde der Diskotheker von einer Person aus dieser Gruppe aufgefordert, Lieder von Udo Lindenberg zu spielen, was dieser nach Konsultation mit dem Gaststättenleiter ablehnte. Daraufhin stimmte eine weitere Person aus diesem Kreis Lieder von Udo Lindenberg, deren Texte sich gegen die Staatsgrenze der DDR zu Westberlin richteten, an, die von den anderen sogenannten Fanclubmitgliedern mitgesungen wurden.(2)
Einige Jugendliche dieses Personenkreises riefen während der Veranstaltung mehrfach »Skandale, Bambule, Rechtsradikale, Vandale, heute machen wir Kristallnacht« sowie wiederholt laut »Deutschland erwache, Deutschland, Deutschland über alles und Ausländer raus«.
Darüber hinaus äußerten sie wiederholt: »Wir sind Neonazis, wir wohnen in der Zone, Juden raus, Heil Hitler, es leben die Skinheads, Ausländer raus, wir brauchen keinen Führer und keinen Generalsekretär, Deutschland, Deutschland über alles und in 15 Minuten sind die Russen auf dem Kurfürstendamm.«
Da zwischen 21.30 Uhr und 21.45 Uhr insbesondere die ca. 15 Jugendlichen verstärkt dazu übergingen, Flaschen im Saal zu zerschlagen, den Diskotheker zu bedrängen, Lindenberg-Lieder zu spielen sowie andere Jugendliche zu provozieren, wurde durch den Gaststättenleiter die Veranstaltung abgebrochen und die Deutsche Volkspolizei verständigt. Nach dem Eintreffen von Kräften der Deutschen Volkspolizei gegen 22.00 Uhr hatten bis auf ca. 15 Jugendliche alle anderen Personen die Gaststätte verlassen. Beim Erscheinen der VP-Angehörigen entfernten sich auch diese Jugendlichen, ohne weitere Handlungen zu begehen.
Die bisher ermittelten Täter motivieren ihre Handlungen damit, verärgert gewesen zu sein, weil vom Diskotheker keine Lieder von Udo Lindenberg gespielt wurden.
Schwerpunkte der weiteren Bearbeitung des Ermittlungsverfahrens bilden die vollständige Aufklärung des insgesamt beteiligt gewesenen Personenkreises, der den Handlungen der Täter zugrunde liegenden tatsächlichen Motivation und die Feststellung des entstandenen Sachschadens sowie die Festlegung und Durchführung wirksamer Maßnahmen zur öffentlichkeitswirksamen Auswertung des Vorkommnisses.

(1) Öffentliche Herabwürdigung nach § 220 StGB: Der Strafrahmen war weit gesteckt: von einem öffentlichen Tadel, über eine Geldstrafe bis hin zu 3 Jahren Freiheitsentzug – ebenso § 215/216 StGB (Rowdytum): Strafrahmen von Geldstrafe bzw. Bewährung bis zu 5 Jahren Gefängnis.

(2) Im Titel »Mädchen aus Ostberlin« singt Lindenberg über seine Traurigkeit, sich kurz vor 12 von seiner Liebsten trennen zu müssen, um pünktlich am Grenzübergang zu sein und über seine Hoffnung, dass diese durch das Grenzregime verursachte »Nerverei« irgendwann ein Ende hat.


Info Nr. 25/88 vom 14.1.1988

14. Januar 1988
Information Nr. 25/88 über rowdyhafte Verhaltensweisen jungerwachsener DDR-Bürger in Görmin, Kreis Demmin

Quelle: BStU, MfS, ZAIG 3630, Bl. 1–3 (10. Expl.).
Serie: Informationen.
Verteiler: Honecker, Krenz, Dohlus, Herrmann, Dickel – MfS: Mittig, HA XX, BV Neubrandenburg/Leiter, ZAIG/1, Ablage.

Auch so etwas gab es in der DDR. Man beachte den Verteiler.
Die Information ist wegen Quellengefährdung nur zur persönlichen Kenntnisnahme bestimmt.
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Re: Bericht des MfS über "Rowdyhaftes Verhalten" bei einer Tanzveranstaltung

Beitragvon Edelknabe » 9. Dezember 2018, 11:36

Junge Jugend in der DDR eben und viel zuviel Alkohol ,so dieses ganze Durcheinander, dazu noch Widersprüche ohne Ende in diesem:

"Darüber hinaus äußerten sie wiederholt: »Wir sind Neonazis, wir wohnen in der Zone, Juden raus, Heil Hitler, es leben die Skinheads, Ausländer raus, wir brauchen keinen Führer und keinen Generalsekretär, Deutschland, Deutschland über alles und in 15 Minuten sind die Russen auf dem Kurfürstendamm."
textauszug ende

Was das Ganze dann noch mit Udo Lindenberg zu tun hatte....? Und nee, das soll keine Entschuldigung für jugendliche Dummheit....eher Dämmlichkeit sein.Ich glaube fast, das gibt es zu jeder Zeit, in der Gesellschaft eben.

Rainer-Maria

Und einen guten Sonntag allen ins Forum

PS: Vor kurzem ein Gymnasiast bei bei uns im Nah/Frisch(früher wohl dem Konsum?)an der Kasse sinngemäß zu seiner Mitschülerin: "Nachher ist Geschichte, ich schlaf da immer".Mancher Jugendlicher in der DDR muss ebenfalls mächtig gepennt haben....eben in Geschichte.Ich wollte den jungen Mann schon fragen, was ihm das Datum 20.Juli 1944 sagt aber ließ es dann lieber.
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Re: Bericht des MfS über "Rowdyhaftes Verhalten" bei einer Tanzveranstaltung

Beitragvon augenzeuge » 9. Dezember 2018, 11:46

Edelknabe hat geschrieben:Ich wollte den jungen Mann schon fragen, was ihm das Datum 20.Juli 1944 sagt aber ließ es dann lieber.


Offizielle Darstellung der DDR
Viele Zeitgenossen betrachteten das Hitler-Attentat als Versuch der Militärkaste ihren eigenen Ruf in letzter Minute zu retten. Auch in der DDR, wo dem kommunistischen Widerstand gegen Hitler eine zentrale Rolle beigemessen wurde, war der 20. Juli 1944 als reaktionärer Junkeraufstand denunziert worden. Wobei diese Sichtweise unterschlägt, dass Stauffenberg mit Vertretern dersozialdemokratischen Arbeiterbewegung wie Julius Leber und Adolf Reichwein zusammenarbeitete und auch Kontakt zu kommunistischen Widerstandsgruppen suchte.


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