"Freiheit ist nicht selbstverständlich"

"Freiheit ist nicht selbstverständlich"

Beitragvon Interessierter » 14. September 2018, 11:30

Der DDR-Zeitzeuge Jens Hase sprach vor Schülern der Knabenrealschule Rebdorf über seine Flucht in den Westen

Eichstätt (EK) An die letzten Meter seiner Flucht kann sich Jens Hase nicht mehr erinnern. Hinter ihm die tschechische Miliz, vor ihm der Zaun der deutschen Botschaft in Prag. "Dann saß ich da im Dreck, ich blutete und jemand legte mir die Hand auf die Schulter und sagte, willkommen in Deutschland, du hast es geschafft." Eineinhalb Stunden sprach der 47-Jährige, der im September 1989 aus der ehemaligen DDR flüchtete, vor Zehntklässlern der Knabenrealschule Rebdorf - und diese hörten gebannt zu.


Als er im Westfernsehen sah, dass schon viele Ostdeutsche über Ungarn flohen, "hat es bei mir Klick gemacht", erinnert sich der gebürtige Eisenacher. Der damals 19-Jährige stopfte ein paar Sachen in seinen Rucksack und stieg in den Zug nach Prag - denn es hatte sich herumgesprochen, dass dort viele auf ihre Ausreise in den Westen hofften.

An der Grenze wurde er von einer DDR-Zöllnerin kontrolliert. Als sie ihn fragte, was er in Prag wolle, begann Jens Hase zu stottern und behauptete, er wolle seinen Freund Pavel besuchen. "Ich hatte mir keine gute Geschichte zurechtgelegt, und als sie nach seinem Nachnamen fragte, konnte ich nichts mehr sagen." In einer schmutzigen Zugtoilette musste sich der junge Mann nackt ausziehen und durchsuchen lassen. "Ich habe leise vor mich hingeweint", sagt der 47-Jährige, im Festsaal der Knabenrealschule herrscht absolute Ruhe, die Schüler sitzen still da. "Dann kam ein anderer Zöllner und sagte zu der Frau, dass der Zug jetzt weiterfahren müsse." Jens Hase blieb allein zurück.


Seiner Flucht waren vielfältige Schikanen vorausgegangen. Die Haltung seiner Eltern sei von Beginn an systemkritisch gewesen, erklärt der Günzburger, der heute in der Jugendarbeit in Augsburg tätig ist. Er selbst zeigte vor allem mit seinem Äußeren - langen Haaren und bunten Hosen - , dass er wenig von stromlinienförmigem Verhalten hielt. Die kurze Festnahme seines Bruders, Lohnkürzungen, die mehrfache Aufforderung für die Staatssicherheit als Inoffizieller Mitarbeiter zu arbeiten - die Ablehnung des Systems sei über die Jahre gewachsen.

Als sein Vater einen Herzinfarkt erlitt, entschieden sich die Eltern, Ausreiseanträge zu stellen, "denn wir hofften, dass man ihm im Westen besser helfen kann". Im Juli 1989 durften sie dann das Land verlassen, allerdings ohne ihren Sohn Jens, der alleine am Bahnsteig zurückblieb. "Das war damals ein Abschied für immer für mich."

Die verzweifelte Suche nach der Botschaft in Prag, die Wochen, die er dort mit 4000 anderen DDR-Flüchtlingen verbrachte - Jens Hase erzählt seine Geschichte detailgenau und erklärt außerdem, wie er sich gefühlt hat, was ihm durch den Kopf ging.

"Den schönsten Moment meines Lebens" aber zeigt er anhand eines Videos: "Wir sind zu Ihnen gekommen, um Ihnen mitzuteilen, dass heute Ihre Ausreise...", verkündete der damalige Außenminister Hans-Dietrich Genscher die Aufnahme in die BRD, die im Jubel der Flüchtlinge unterging. Eine Szene, die Jens Hase, das sieht man ihm an, auch so viele Jahre später noch bewegt.

Das Wechselbad der Gefühle war für den jungen Mann aber damals noch nicht vorbei, denn der Zug, der sie in die Freiheit bringen sollte, musste durch DDR-Gebiet fahren. "Anfangs wollte ich auf keinen Fall einsteigen, da war die Angst sofort wieder da." Das ging auch den anderen so, es herrschte angespannte Ruhe, bis der Zug in Dresden hielt. "Da stand ein einziger kleiner Polizist auf dem Bahnsteig und das war ja unser Feindbild Nummer eins. Den haben wir dann alle wüst beschimpft."

In Hof standen tausende Menschen auf dem Bahnsteig, um die Ankömmlinge zu begrüßen. In der Bahnhofsmission gelang es den Mitarbeitern, die Telefonnummer der Eltern herauszufinden. "Papa, ich bin da, ich komme", war alles, was Jens Hase sagen konnte, dann begann er zu weinen, "und mit mir die ganze Bahnhofsmission". Auch über seine Ankunft in Schwaben und seinen Start ins Berufsleben berichtet der 47-Jährige.

Dann haben die Schüler viele Fragen. "Haben Sie noch Kontakt zu den anderen Flüchtlingen" - "Zu vielen, ja, wir treffen uns regelmäßig in Prag." - "Was ist mit ihren Sachen passiert, die Sie zurückgelassen haben" - "Alles weg, aus meiner Kindheit gibt es noch elf Fotografien, sonst nichts."

"Glauben Sie, dass Sie heute in der Freiheit angekommen sind", will dann noch ein Zehntklässler wissen. "Ja", antwortet Jens Hase, ob es eine noch vollkommenere Freiheit gebe, wisse er nicht, aber: "Freiheit ist nicht selbstverständlich und es lohnt sich jeden Tag, dafür zu kämpfen."


https://www.donaukurier.de/lokales/eich ... 75,3339933
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Re: "Freiheit ist nicht selbstverständlich"

Beitragvon Nostalgiker » 14. September 2018, 15:57

Seine Eltern und zwei seiner Geschwister stellten ab 1987 Anträge auf ständige Ausreise aus der DDR. Die Familie litt daraufhin unter zahlreichen Repressionen, Konfrontationen und Schikanen durch den Staatssicherheitsdienst. Im Juli 1989 wurde der Antrag der Eltern überraschend schnell bewilligt; innerhalb von 24 Stunden mussten sie die DDR verlassen. Jens Hase wurde die Ausreise jedoch verwehrt.

Soweit das Zitat von "DDR Zeitzeuge".
Wenn er keinen Antrag stellte soll er sich im Nachgang keinen Wunderbeutel umhängen das er im Sommer 1989 nicht mitfahren durfte .....
Ich nehme zur Kenntnis, das ich einer Generation angehöre, deren Hoffnungen zusammengebrochen sind.
Aber damit sind diese Hoffnungen nicht erledigt. Stefan Hermlin

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Re: "Freiheit ist nicht selbstverständlich"

Beitragvon Dr. 213 » 14. September 2018, 18:52

Einen auf souveränen Staat machen aber 1989 noch immer so tun,
als ob es Helsinki nicht gegeben hätte. Das Helsinki, wonach die DDR so gelechzt hat.

Hätten gleich nach Helsinki schon viel mehr Ostdeutsche in den VP- Meldestellen, beim Rat der Stadt,
oder gleich direkt an der Grenze ihr Recht eingefordert, so wäre der ganze Laden schon viel früher implodiert.

Alle Behinderungen der freien Ausreise, egal wohin und wie lang, waren illegal.
Aber die DDR war ja nun mal ein großes Gefängnis mit Zaun drumherum.
Wenn die SED diese Linie aufgegeben hätte, wären dem Arbeiterparadies die Leute einfach davon gelaufen.

Ja so war die DDR.
Eine nur unter abgeschotteten Labor- Bedingungen künstlich am Leben gehaltene Simulation eines Staates.

Sehr gut Interessierter!
Wenn die Nachlaßverwalter der zweitschlimmsten D. Diktatur rumheulen, ist das für mich wie ein Qualitätsbeweis.
Und es zeigt auch, daß es immer noch Reste der Anhänger dieser menschenverachtenden Einsperr- Diktatur gibt.

Herzlichst
Dr. 213
Das größte Landraubtier der Neuzeit ist DER Bär.
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Re: "Freiheit ist nicht selbstverständlich"

Beitragvon Volker Zottmann » 16. September 2018, 15:03

Schaut aber mal, als die Mauer fiel, wie viele Menschen nach einem Besuch im westlichen Deutschland dann zurückkamen.
Ich bin der Meinung, wenn Helsinki konsequent umgesetzt worden wäre, hätte es viel weniger Unmut gegeben. Die Bevölkerung hätte in Massen auch wieder in die angestammte Heimat gefunden.
Das DDR-Gefängnis aber aufrecht zu erhalten, veranlasste die, die drüben waren kaum zur Rückkehr.
Ostberlin hat sich letztlich so selbst abgeschafft.

Als wir gestern auf dem Brocken standen, erzählte ich meinen Enkelinnen (11), wie meine Eltern mit mir mit unserem P-70 Ende der 50er Jahre hier hoch sind, wie oft ich im Bus, als mein invalidisierter Vater als Reiseleiter fungierte, mit dort hoch kutschte. Und dann war am 13. August 1961 blitzartig Schluss. Zum Ende hin war sogar innerhalb des hermetisch abgeriegelten Territoriums die Brockenkuppe mit einer 1510m langen und 3,6 m hohen Betonmauer umgeben.

Trotz aller Erklärungen können sich da die Kinder nicht in einen reinversetzen, welche symbolische Bedeutung der Brocken für die Wiedererlangung unserer Freiheit hat.

Gruß Volker
Volker Zottmann
 


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