Richard Böttge kam wegen eines Schülerstreichs ins berüchtigte Bautzen-Gefängnis
von: PETRA GEBAUER veröffentlicht am
03.09.2018 - 23:00 Uhr
Leipzig/Bautzen – Er war erst 16 – und plötzlich ein Staatsfeind. Ein sowjetisches Militärgericht verurteilte Richard Böttge 1951 zu zehn Jahren Haft. Das Vergehen des Schlosser-Lehrlings: Er hatte in der Berufsschule auf einem Lenin-Porträt herumgekritzelt.
Zur Verbüßung der Strafe wurde er in den berüchtigten Volkspolizei-Knast „Bautzen I“ gesteckt. Dort war es im März 1950 zu einem Haftaufstand gekommen, der brutal niedergeknüppelt wurde. Herausgeschmuggelte Appelle gelangten in den Westen und prägten den Begriff „Gelbes Elend“.
Das Bild, das Lehrling Richard hinter Gitter brachte, ist bis heute verschwunden. Erhalten sind allerdings Dutzende Briefe aus der Haft an die Eltern, seine 16 (!) Gnadengesuche, rund 400 Seiten Stasi-Akten und vieles mehr.
Drei Jahre nach dem Tod seines Bruder übergab Horst Böttge (82) gestern sieben dicke Ordner an das Archiv Bürgerbewegung Leipzig e.V. Er hatte die Dokumente akribisch gesammelt, um sie vor dem Vergessen zu bewahren.
Richard war 1954, nach Stalins Tod, durch eine Amnestie freigekommen. „Aber er hat die Ereignisse damals seelisch nie ganz verwunden. Versuchte, sie irgendwie abzuhaken", erinnert sich der Horst Böttge.
Trotz seiner Vorgeschichte schaffte es Richard, Karriere in der damaligen DDR zu machen. Als Ingenieur für Heizungsanlagen war er in Hoyerswerda für die Fernwärmeversorgung von rund 50 000 Wohnungen zuständig. Doch selbst als er bereits Chef von 170 Mitarbeitern und obwohl er für seine Leistungen vielfach ausgezeichnet wurde, blieb Böttge im Fokus der Stasi. „er Makel seines politischen Arrests blieb bis zum Ende der DDR an ihm haften", sagt sein Bruder. 1961, wenige Stunden vor dem Mauerbau, war Horst Böttge in den Westen gegangen. Seinen Bruder traf er nur noch heimlich in Ungarn oder der Tschechei. Bis zur Wende reiste er nie in die DDR.
Böttge, der südlich von München lebt: „Ich merke, wie wenig von damals bekannt ist. Oft höre ich 'Das haben mir meine Eltern nicht erzählt'. Es ist daher wichtig, dass die Unterlagen jetzt in Leipzig liegen, wo sie für alle zugängig sind."
© BILD 5. 9. 2018 https://www.bild.de/regional/dresden/dr ... .bild.html