Auszug - Stalins GeburtstagHans-Friedrich Bergmann, nach jahrelangem Rechtsstreit endlich anerkannter politisch Verfolgter, möchte seine bewegte Vergangenheit für die heutige Jugend dokumentieren. Er beschreibt in "Das Ossi" den Krieg, die schwere Nachkriegszeit, den Aufbau der DDR, die politische Verfolgung im SED-Staat, den Fall der Mauer und den Kampf um die Anerkennung seiner Verfolgung.von Hans-Friedrich Bergmann
Dezember 1949 – ich bin Oberschüler der 9. Klasse, mein Freund Erhard, den ich vom Konfirmandenunterricht kannte, ist Lehrling in der Drogerie seines Vaters.
Die DDR war gegründet, die Sowjetunion und die Kommunisten- Staaten erkannten diese DDR an, Präsident Wilhelm Pieck wurde einmütig begrüßt und bejubelt, ein Kabinett wurde vorgestellt, und Johannes R. Becher hatte auch eine Hymne gedichtet:
Auferstanden aus Ruinen
Und der Zukunft zugewandt
Lass uns die zum Guten dienen
Deutschland einig Vaterland
Alte Not gilt es zu zwingen
Und wir zwingen sie vereint
Denn es muss uns doch gelingen,
dass die Sonne schön wie nie
Über Deutschland scheint!
Dem folgten noch zwei weitere Verse und ich saß wieder in der Wohnstube, allein am Klavier und spielte die "richtige" Hymne von Hoffmann v. Fallersleben mit der Melodie von Haydn. Diese neue Hymne konnte man fast nach der alten Melodie spielen, sollte das ein Zufall sein? Die neue Melodie zur Hymne war auch komponiert, aber der Text war nicht schlecht, oder?
Magisch zog es mich fort, immer wieder wollte ich dort sein, weg nur weg von allem und nichts hören und sehen. Immer häufiger ging ich fort, in den Wald ging ich, grübelte und fand keine Antworten. Heines Vers fiel mir ein:
Denk ich an Deutschland in der Nacht
Dann bin ich um den Schlaf gebracht.
Und ich dachte an Deutschland. Viele andere Bürger von Potsdam dachten auch an Deutschland – und verschwanden gen Westen. In der Tagespost stand unter der Überschrift "Leihmöbel" zu lesen, dass das Wohnungsamt unentgeltlich Leihmöbel für Flüchtlinge und Ausgebombte zur Verfügung stellt. Als Adresse war in der Dortustraße eine ehemalige Tanzgaststätte angegeben.
Mutter wollte dort hin, ich sollte mitkommen. Wir betraten einen halb verfallenen Tanzsaal. An den Wänden verschiedene Möbel, Betten mit benutztem Bettzeug überzogen, diverse Kleidungsstücke in ungeordneten Haufen übereinander, auf den Tischen Hausrat, so wie ihn seine Besitzer verlassen hatten, mit Resten von Kaffee-Ersatz in Kannen und Tassen, Besteck, Kochtöpfe und anderes Geschirr, fast alles nicht abgewaschen, dreckig, dazu schmutzige Handtücher und vieles mehr. Es roch dumpf und feucht. Viele Menschen drängelten sich an Tischen und begutachteten ihre Beute, schleppten weg, was sie nur schleppen konnten.
Jetzt sah ich auch das kleine Plakat an der Wand, auf dem nochmals darauf hingewiesen wurde, dass die Sachen "Eigentum der Bürger seien, die jetzt in den Westzonen wohnen." Es war deutlich, dass hier nur die Reste des Hausrates dieser Bürger ausgestellt wurden, wertvollere Einrichtungsgegenstände waren längst für andere Leute beiseite geschafft worden.Ich zerrte Mutter fort. Wir nahmen nichts mit. Mutter meinte, das Kaffeegeschirr einer Bekannten gesehen zu haben.
So war es also: Das Wohnungsamt ließ die Wohnungen der Bürger räumen, die Potsdam verlassen hatten. Woche für Woche verließen Bürger das Land, über dem die Sonne schön wie nie scheinen sollte und zogen es vor, im Westen eine neue Existenz aufzubauen. Sie wollten mit der "neuen Republik" nichts zu tun haben, verließen ihre Heimat, ihr Zuhause ihr Eigentum, sie "hauten ab gen Westen", wie man das nannte.
Der vollständige Beitrag hier:
https://www.mdr.de/damals/archiv/artikel7750.htmlSo wie in Potsdam wurde es in den Nachkriegsjahren, wohl auch in anderen Städten gehandhabt.