Das Leben geht hier, zwischen Bad Schandau und Pirna, schließlich einen geregelten Gang: Es gibt keine industriellen Schandflecke in der weitgehend unberührten Natur, die Lebenshaltungskosten sind niedrig, von überall her strömen die Touristen ins Elbsandsteingebirge. Und die Ausländer, vor denen so viele Angst zu haben scheinen, finden sich auch nach der Flüchtlingswelle hier kaum: 2,7 Prozent beträgt ihr Anteil im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge, im Schnitt sind es in der Bundesrepublik 10,5 Prozent.
Stolze 35,5 Prozent der Stimmen entfielen im Wahlkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge bei der Bundestagswahl 2017 auf die AfD, so viele wie nirgendwo sonst in Deutschland.
"Die Sächsische Schweiz war lange eine Schwerpunktregion des Rechtsextremismus: Hier entstand die Wikingjugend, die später in die mittlerweile verbotene SSS überging", sagt Michael Nattke, der sich als Fachreferent beim Kulturbüro Sachsen schon lange mit dem Thema auseinandersetzt. Die Skinheads Sächsische Schweiz, kurz SSS, waren so etwas wie die rechte Urkatastrophe der Region: In den 1990er Jahren verbreiteten die rund 80 Mitglieder "Angst und Schrecken" in ihrer Heimat, wie der Dresdner Oberstaatsanwalt beim Verbot der Gruppierung 2001 in seiner Rede ausführte. Die Skins schreckten bei ihrer Mission, "die Sächsische Schweiz von Ausländern, Drogenabhängigen und Linken zu säubern" vor nichts zurück, Gewalt war an der Tagesordnung.
"Damals gab es, im Gegensatz zu heute, keine Bürgerinitiativen, die sich diesen Leuten entgegenstellten", erklärt Nattke und führt aus: "In den 90ern wurde den Rekrutierungsbemühungen der Rechten extrem wenig entgegengesetzt, die Saat der Skinheads fiel auf fruchtbaren Boden." Boden, der nicht nur von der SSS, sondern auch von anderen Organisationen wie den Freien Kameraden, den Jungen Nationalisten und nicht zuletzt der NPD fleißig beackert wurde. Erst nach dem Verbot der SSS im Jahr 2001 ging eine Schockwelle durch die Region, Bürgerinitiativen wie das Internationale Begegnungszentrum Pirna oder das ebenfalls in Pirna ansässige Alternative Kultur- und Begegnungszentrum Akubiz formierten den ersten organisierten Widerstand gegen Rechts.
Jahre zu spät, wie Nattke bedauert: "Es gibt eine Menge Altlasten ideologischer Art durch die NPD und Konsorten, die heute den perfekten Nährboden für die AfD bilden."
In Bad Schandau, wegen des Fernverkehrsbahnhofs die inoffizielle Hauptstadt des Landkreises, findet man keine Antworten: Die Menschen im Ort geben sich sehr bedeckt, wenn es um die AfD geht - dazugehören will hier keiner offen, obwohl die Partei in der Stadt 39,8 Prozent der Stimmen gewann.
Je schöner eine Region ist, so seine Theorie, desto mehr Angst haben die Einheimischen davor, dass Veränderung sie zerstören könnte. Die Annahme, dass Unzufriedenheit aus prekären Umständen herrührt, scheint zumindest hier also grundfalsch zu sein - das Gegenteil ist der Fall. Oder, um es mit Veit zu sagen: "Das ist ja das Problem des Ostens: Hier gibt es keine Ausländer, deshalb mag man die ja auch nicht. Die Menschen haben Angst vor Fremdem."
https://www.n-tv.de/politik/Die-Saechsi ... 50211.html
AZ