Die Kulturpolitik der AfD: Der westliche Firnis wird entsorgtvon Alan Posener
Hat die AfD eine Kulturpolitik jenseits des Ressentiments gegen die „linksrotgrünversiffte Mainstreamkultur“? Ja. Und sie muss jedem Sorgen bereiten, dem die Freiheit der Kultur wichtig ist.
Im Programm der AfD zur Bundestagswahl 2017 heißt es unter der Überschrift „Deutsche Leitkultur statt Multikulturalismus“: „Kultur ist nur als etwas wechselbezüglich Ganzes von Gesellschaften zu verstehen.“ Daraus könnte man ableiten, dass jede Gesellschaft die Kultur hat, die sie verdient; oder dass die Kultur einer multiethnischen Einwanderungsgesellschaft eben multikulturell, pluralistisch und offen sein muss.
Das ist aber nicht gemeint: Der geschwurbelte Ausdruck verrät die Nähe zu den Identitären, die eine innige Verbindung von Kultur, Volk und Nation unterstellen.Deutsche Leitkultur bedeutet Deutschtürken „entsorgen“.Mit der ihm eigenen in Tweed gekleideten Grobheit hat AfD-Chef Alexander Gauland auf den Begriff gebracht, worum es beim Kulturbegriff der AfD geht. Als die Integrationsbeauftrage der Bundesregierung, Aydan Özugus, feststellte, eine spezifisch deutsche Kultur sei jenseits der Sprache und diesseits von Klischees „schlicht nicht identifizierbar“, was Goethe ähnlich gesehen hätte, rief Gauland bei einer Veranstaltung in Thüringen: „Das sagt eine Deutsch-Türkin. Ladet sie mal ins Eichsfeld ein und sagt ihr dann, was spezifisch deutsche Kultur ist. Danach kommt sie hier nie wieder her, und wir werden sie dann auch, Gott sei Dank, in Anatolien entsorgen können.“
Das ist eine etwas vornehmer formulierte Variante der seit jeher von der extremen Rechten propagierten Theorie, die alliierte „Re-education“ nach dem Krieg habe dem Ziel gedient, das deutsche Volk kulturell, politisch und wirtschaftlich zu unterwerfen. (Auf der extremen Linken beklagte Dieter Kunzelmann, der „Judenknax“ hindere die Deutschen daran, Revolution zu machen und die Palästinenser gegen israel zu unterstützen.)
In seiner Kölner Rede zur Begründung des Wahlprogramms sagte Parteiideologe Albrecht Glaser, die Völker Europas befänden sich in einem Kampf auf Leben und Tod gegen die „Globalisten“, die alle nationalen und kulturellen Identitäten auslöschen wollten.
Wer diese Globalisten sein sollen, darüber schweigt die AfD vornehm; deutlicher wird ihr Vorbild, Ungarns Premier Viktor Orbán, der den Juden George Soros als Gesicht des Globalismus bekämpft. Die Europäische Union und die Nato, der Euro, der Freihandel und die „Flutung“ des Kontinents mit muslimischen Männern sind, so Glaser, Waffen der Globalisten. Zu den Ideologien, die den Globalisten dienen, zählen für die AfD der Multikulturalismus,
der Liberalismus und laut Wahlprogramm die angebliche „Verengung der deutschen Erinnerungskultur auf die Zeit des Nationalsozialismus“.
Was passiert, wenn die AfD in der Lage ist, diese Politik umzusetzen? Es gibt Gegenden in Deutschland, genauer: in Ostdeutschland, wo die AfD im Sinne Antonio Gramscis bereits de facto die kulturelle Hegemonie ausübt. Dort fördert sie die seit jeher vorhandenen, von den Nazis 12 Jahre lang und den Kommunisten 45 Jahre lang geschürten antiwestlichen und antiliberalen Stimmungen und stützt sich auf einen breiten Unwillen in der Bevölkerung, sich der kommunistischen und nationalsozialistischen Vergangenheit ehrlich zu stellen und die Gefahr des Rechtsextremismus zu thematisieren.
Deutsche Leitkultur heißt Wessis entsorgen
Bei vielen Ostdeutschen bilden antiwestliche Ideologeme aus der Zeit des Kommunismus, Ressentiments gegen „Besserwessis“ aus den ersten Jahren nach der „Wende“ und neurechtes Gedankengut eine trübe mentale Brühe. Alle diese Elemente wurden sichtbar in der Kampagne gegen Hilke Wagner, seit 2014 Direktorin des Albertinums in Dresden, des wichtigsten sächsischen Museums der Moderne. Von Anfang an wurde Wagner in der Pegida-Stadt angefeindet, weil sie „Wessi“ ist und sich – wie sie vor zwei Jahren der „Welt“ erzählte – in der Pflicht sieht, „Akzente gegen Fremdenfeindlichkeit“ zu setzen und zur Öffnung und Internationalität ihres Hauses beizutragen: „Wir können schon mit der Sammlung deutlich machen, dass unsere eigene Kultur das Ergebnis einer kulturellen Durchmischung ist.“ Eine Ansicht, die dem Stand der internationalen Kulturwissenschaft entspricht, die aber Gauland gern mit „Entsorgung“ bestrafen würde.
Deutsche Leitkultur heißt den westlichen Firnis entsorgenEs klingt wie ein Treppenwitz der Geschichte, dass sich ausgerechnet die AfD für das Erbe der DDR einsetzt. Doch hat die aggressive Ostalgie der AfD einen tieferen Kern: In der DDR, so Gauland, habe sich „ein Stück altes Deutschland erhalten, viel eigenständiger und traditioneller als in der westlich gefirnissten alten Bundesrepublik.“ Freilich war, wie Gauland schreibt, der „ganz andere nationale Sozialismus“ (sic!) der DDR „nie eigenständiges Wollen einer autochthonen Gesellschaft“. Das will die AfD nun ändern. Der westliche „Firnis“ – Multikulturalismus, Liberalismus, Hedonismus, ein kosmopolitisches Verständnis von Kultur und ja, auch eine Erinnerungskultur, die ernsthaft nach den Ursachen von Auschwitz fragt, statt alles einem höllischen Wesen in die Schuhe zu schieben – soll, wenn es nach dem Willen dieser Partei geht, abblättern zugunsten autochthonem nationalem Sozialismus entsprechend echter deutscher Kultur. Da sei Goethe vor.
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