Hier nun den Teil 3 zur Auflösung
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Weiterhin fertigte die Abteilung Jugendhilfe am 22. März 1967 eine an die Genossin Minister Honecker gerichtete Aktennotiz (BArch DR 2/51127), in der auf den gesetzeswidrigen Zustand (Einweisung durch die Organe der Jugendhilfe und Vollzug durch die Volkspolizei) hingewiesen wurde. Ebenso wurde die Ministerin für Volksbildung (Margot Honecker) am 7. April 1967 durch ein Schreiben des ehemaligen Generalstaatsanwalts der DDR (BArch DR 2/51127) auf die Problematik hingewiesen. Dieses Schreiben erwähnte die Gesetzeswidrigkeit ausdrücklich und beinhaltete einen Vorschlag vom 5. April 1967 zur Regelung der Einweisung in das Arbeitslager Rüdersdorf. Der Generalstaatsanwalt schlug für die Einweisung ein vereinfachtes gerichtliches Verfahren vor, damit die Zuständigkeit des Strafvollzugsorgans gegeben ist.
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Auch in einem von der Abteilung Jugendhilfe unter Mitwirkung der Abteilungen Erziehung, Hauptschulinspektion, Ökonomie (Fachgebiet Sonderschulwesen, Sektor Arbeit und Recht) verfaßten Katalog für Maßnahmen auf dem Gebiet der Volksbildung zur Bekämpfung der Jugendkriminalität (BArch 2/27227) wird einerseits die Wirksamkeit von Einweisungen in das Erziehungskommando Rüdersdorf betont und mit dem Jugendwerkhof Torgau verglichen (vgl. zur Rechtstaatswidrigkeit dieses Jugendwerkhofs Senat, Beschluß vom 15. Dezember 2004, 5 Ws 169/04 REHA).
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Andererseits wird auch hier hervorgehoben, daß die bestehenden gesetzlichen Bestimmungen der DDR dieses Vorgehen nicht decken. Dementsprechend wurde eine Beschlußfassung der Minister für erforderlich gehalten. Obwohl auf der Ministerebene, bei dem Generalstaatsanwalt und den Organen der Jugendhilfe bekannt war, daß die Einweisung ohne gerichtliches Verfahren durch die Jugendhilfe und der Vollzug der Maßnahme durch die Volkspolizei ohne rechtliche Grundlage erfolgte, wurde diese Vorgehensweise unbeirrt fortgesetzt, um die Möglichkeit der Schocktherapie im Lager Rüdersdorf weiter zu nutzen.
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2. Erst am 27. Juli 1967 wurde die gemeinsame Anleitung zur Einweisung jugendlicher Rowdys in die Vollzugseinrichtung Rüdersdorf unter Mitwirkung des Generalstaatsanwalts der DDR (Dr. Streit), des Präsidenten des Obersten Gerichts (Dr. Toeplitz), des Ministers des Inneren und Chefs der Deutschen Volkspolizei (Dickel) unterzeichnet, die ein gerichtliches Verfahren vorsah. Der Senat braucht in diesem Zusammenhang nicht zu entscheiden, ob eine Einweisung nach dieser Anleitung jedenfalls dann nicht rechtstaatswidrig war, wenn sie – anders als hier - nicht der politischen Verfolgung diente, da der Betroffene bereits zuvor am 4. Juli 1967 ohne gerichtliches Verfahren eingewiesen wurde.
III.
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1. Aufgrund dieser Feststellungen ist gemäß § 1 Abs. 1 und § 2 StrRehaG die Verfügung des Rates des Stadtbezirks Friedrichshain Abteilung Volksbildung Referat Jugendhilfe vom 4. Juli 1967 (VI-261250), durch die die Unterbringung des Betroffenen im Objekt Rüdersdorf für sieben Wochen angeordnet wurde, für rechtsstaatwidrig zu erklären und aufzuheben, weil sie mit wesentlichen Grundsätzen einer freiheitlichen rechtstaatlichen Ordnung unvereinbar war.
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Zu den staatlichen Maßnahmen, die von der Generalklausel des § 1 Abs. 1 StrRehaG erfaßt werden, gehören vor allem diejenigen, mit denen Gerichte und Behörden der DDR Menschen, die dem sozialistischen Persönlichkeitsbild und den politisch-ideologischen sowie gesellschaftlichen Wunschvorstellungen nicht entsprachen, unter Mißachtung ihrer Individualität und ihrer Würde reglementierten und drangsalierten. Diese Menschen wurden zu Objekten staatlicher Willkür gemacht. Maßnahmen dieser Art sind typisches Systemunrecht. So liegen die Dinge hier, zumindest soweit die Jugendlichen wegen der beschriebenen Verhaltensweisen, die keinen Straftatbestand erfüllten, in das Objekt Rüdersdorf eingewiesen wurden. Denn selbst aus den zitierten Unterlagen der ehemaligen DDR ergibt sich deutlich, daß die Einweisung in das Objekt (auch als Vollzugsanstalt, Arbeitslager, Erziehungskommando bezeichnet) Rüdersdorf keinerlei Erziehungszweck verfolgte, sondern lediglich eine Schocktherapie beinhaltete, die zur Abschreckung und politischen Verfolgung diente. Die mit der Einweisung verfolgten Ziele verstießen gravierend gegen grundlegende rechtstaatliche Prinzipien. Denn die Einweisung wurde überwiegend als staatliches Machtinstrument gegen Jugendliche eingesetzt, die sich der sozialistischen Ordnung durch das Hören der aufs Höchste mißbilligten westlichen Beatmusik oder das Tragen „westlich dekadenter Kleidung“ widersetzten und damit lediglich dem sozialistischen Wunschbild nicht entsprachen. Für die staatlichen Organe kam verschärfend hinzu, daß sich diese Jugendlichen der politischen Zwangserziehung durch Mitgliedschaft oder Aktivitäten in der FDJ entzogen. Bedeutsam ist auch der Umstand, daß es sich bei den Eingewiesenen, die auch im Zementwerk arbeiten mußten, um Jugendliche handelte, deren Persönlichkeitsentwicklung noch nicht abgeschlossen war. Jugenderziehung, die den Erfordernissen einer freiheitlich rechtstaatlichen Ordnung genügen soll, muß darauf ausgerichtet sein, bei den Jugendlichen – dem jeweiligen Entwicklungsstadium angepasst - die Fähigkeit und den Willen zu fördern, ein verantwortungsbewußtes Leben zu führen. Von der Heranbildung einer sozialen Handlungskompetenz war das Objekt Rüdersdorf weitestmöglich entfernt. Denn bereits die kurze Aufenthaltszeit von maximal acht Wochen war nicht geeignet, erzieherisch auf die Jugendlichen einzuwirken. Dies war auch gar nicht gewollt, denn vorrangig war die Abschreckung der Eingewiesenen sowie anderer Jugendlicher beabsichtigt. Dabei wurde auch nicht davor zurückgeschreckt, die politische Hauptabteilung VIII des Ministeriums für Staatssicherheit zur Bespitzelung solcher Jugendlichen einzusetzen. Daß ein hohes Maß an Interesse daran bestand, die von der DDR mißbilligten Verhaltensweisen der Jugendlichen aufzuspüren und nachhaltig zu ahnden, zeigt auch die Einbindung des Ministers für Staatssicherheit Erich Mielke und der Genossin Minister für Volksbildung Margot Honecker.
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Obwohl die Gesetzeswidrigkeit bekannt war, setzten sie die Einweisungen unbeirrt fort, um junge Menschen in ihrem keine Abweichungen duldenden sozialistischen Blickwinkel zwangsweise zu erziehen.
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2. Die Entscheidung über die Dauer der zu Unrecht erlittenen Freiheitsentziehung beruht auf § 12 Abs. 2 StrRehaG, diejenige über die (etwaig) durch die Unterbringung entstandenen notwendigen Auslagen auf § 6 Abs. 1 StrRehaG. Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf § 14 StrRehaG und der entsprechenden Anwendung von § 467 Abs. 1 StPO.
Fundstelle:
http://www.gerichtsentscheidungen.berli ... true&bs=10Mit freundlichen Grüßen Buchi