Rechte Schmierereien in Chemnitz - Schatten im Stadtteil SonnenbergSS-Runen, Hakenkreuze, "Tod und Hass"-Schriftzüge: In Chemnitz verschandelten junge Männer die Bäckerei eines Kurden. Doch der Mann erfährt viel Zuspruch und Solidarität. Ein örtlicher Maler gewährt ihm 50 Prozent Rabatt fürs Überstreichen.Eines der Hakenkreuze findet Kaya Yavuz geradezu albern. Mit roter Farbe haben die Täter es auf den Deckel eines Lüftungsschachts geschmiert, der vor seinem Laden aus dem Boden ragt - die Schmiererei wäre damit aus einem Flugzeug besser zu erkennen als von der anderen Straßenseite. "Ich weiß nicht", sagt Yavuz, "warum man auf so etwas ein Hakenkreuz macht." Es klingt fast spöttisch.
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Dabei stellt sich diese Frage natürlich nicht nur mit Blick auf den Lüftungsschacht. Die Täter haben sich auf dem gesamten Gelände von Yavuz' Fladenbrotbäckerei ausgetobt: An allen Außenwänden des flachen Gebäudes prangen Hakenkreuze und SS-Runen, Chiffren aus der rechten Szene wie die Zahlenkombination 88, Sprüche wie "Tod und Hass". Die Tat ist zwei Wochen her, bislang hat die Polizei keine Verdächtigen identifiziert.
Der Fall fügt sich auf den ersten Blick in ein kollektiv verfestigtes Bild: Rassisten in Sachsen, in Sachen rechte Kriminalität behäbige Strafverfolgungsbehörden, ein alleingelassenes Opfer mit Migrationshintergrund, eine schweigende Mehrheitsbevölkerung. Eine gefährliche Mischung aus Hass, Versagen und Ignoranz wäre das. Solidarische NachbarnUnd anders ist, dass diese Form von Rassismus einer Mehrheit eben nicht egal ist. Wer in den Straßen rund um die Bäckerei mit Anwohnern spricht, bekommt zwar manche Verharmlosung zu hören ("Lausbuben", "Dumme-Jungen-Streiche"), aber dennoch meist eine klare Verurteilung der Tat -
und das, obwohl der Stadtteil Sonnenberg als Neonazi-Hochburg gilt. Einige Nachbarn hätten sogar angeboten, beim Überstreichen der Schmierereien zu helfen, sagt Yavuz.
Das lasse er jetzt aber professionell von einer Firma machen, die ihm aus Solidarität einen Rabatt von 50 Prozent gewähre.
Seit fast einem Vierteljahrhundert lebt er in Sachsen, er wurde nach eigener Aussage noch nie rassistisch angegangen. Natürlich wisse er, sagt Yavuz, dass es ein Problem mit Rechtsextremismus in der Region gebe; immerhin sei die NSU-Terrorzelle ja in seinem Wohnort Zwickau entstanden."Und dann müssen wir alle gehen, alle Ausländer""Sachsen hat ein Problem", sagt Yavuz, nun ist es auch sein Problem. Wenn die Wirtschaft mal wieder schwächele oder noch mehr Asylbewerber nach Deutschland kämen, dann werde die AfD richtig stark. "Und dann müssen wir alle gehen, alle Ausländer." Der Familienvater sagt: "Ich habe Angst."
Der Kurde Kaya Yavuz, 1995 aus der Türkei als Asylbewerber nach Deutschland geflohen, wirkt vorbildlich integriert. Er spricht passabel deutsch, sein Sohn studiert, und die vor fünf Jahren gegründete Firma ist ein Erfolgsmodell: Yavuz liefert Fladen-, Dürüm- und Kebapbrote bis nach Thüringen und Tschechien, bis zu 3000 davon produziert er pro Tag. 13 Mitarbeiter beschäftigt der einstige Flüchtling heute und sagt: "Ich glaube, das ist nicht so schlecht für Chemnitz."
Wie denkt Yavuz über die Täter, die ihn mit ihren rechten Schmierereien so angegriffen haben - seine Integration, seine Lebensleistung, seine Menschenwürde?
Yavuz lächelt sanft. Er habe die Gesichter der Burschen ganz klar auf den Überwachungsaufnahmen erkannt, "die waren 25, 26, Maximum". Das Problem seien diejenigen, die junge Menschen zu solchen Taten anstifteten - und nicht diese drei Feierabend-Nazis. "Wenn die zu mir kommen, sich für ihre Dummheit entschuldigen und alles wieder sauber machen", sagt Yavuz: "Dann würde ich ihnen verzeihen.http://www.spiegel.de/panorama/gesellsc ... 89563.html