Die Bataille von Fröschweiler
Von Winfried Lachauer
Die Bewohner des elsässischen Dorfes Fröschweiler bereiteten ihren Soldaten einen stürmischen Empfang. Ihr Pfarrer Karl Klein schreibt in seiner Chronik:
Es waren auch wirklich so herzig liebe Leutchen, diese Husaren, und sie mußten fort in den Krieg, - wer weiß, wo sie kämpfen, bluten und sterben werden? Die sollen uns willkommen sein und liebevoll traktiert werden und in der Tat - es war eine Begeisterung im ganzen Dorfe, die man nicht beschreiben kann, ein Wetteifern, wer am längsten bei ihnen bleiben, am zärtlichsten sie bewirten könnte. Und als am Abend die grande garde biwakierte . . . und die Speckomeletten lustig im Abendrot dampften, und der Weinkrug schäumend unter den rohen Gesellen kreiste, das war ein still heimlich Kriegsbild, wobei auch der Friedlichste eingestimmt hätte: "Was kann's Schönres geben als Soldatenleben?"
Vierzehn Tage später, am 6. August 1870, war Fröschweiler zerstört. Die Idylle hatte sich zum théâtre de la guerre verwandelt. Entgegen aller Voraussicht war das nordelsässische Dorf zum Mittelpunkt einer äußerst blutigen und opferreichen Schlacht geworden.
Den Sieg seiner Armee über die Franzosen telegraphierte der preußische Kronprinz Friedrich Wilhelm vom "Schlachtfelde bei Woerth, 4 1/2 Uhr Nachmittags". Für die Deutschen blieb dieser erste entscheidende Sieg im Krieg gegen die Franzosen mit dem Namen Woerth verbunden, dem Standort des Oberkommandos.
Stunden später, auf dem Rückzug, telegraphierte Marschall Mac-Mahon an Napoleon III., seinen Kaiser: "J'ai perdu la bataille." Seine Niederlage ging als "Bataille de Froeschwiller" in die französische Geschichte ein. Dort hatte Mac-Mahon am Vorabend des Gefechts Quartier bezogen.
Schon 1871 erschien in Straßburg ein "Guide du touriste (!) sur le champ de bataille de Froeschwiller", sein deutsches Gegenstück trug den Titel "Führer über das Wörther Schlachtfeld". Legion war schon bald die Zahl der Reiseführer- und Memoirenliteratur: Fröschweiler und Woerth, nunmehr im "Reichsland Elsaß-Lothringen" gelegen und berühmt, standen dem Glanz von Sedan nicht nach. Kein anderer Autor aber erreichte Karl Kleins Popularität und Auflagenhöhe - 36 Auflagen im Münchner C.H. Beck Verlag, dazu zwei illustrierte "Prachtausgaben". In seiner "Fröschweiler Chronik" war die Rede von einem "vielbesuchten Wallfahrtsort". Spötter nannten das Schlachtfeld vom 6. August 1870 ein "deutsches Mekka".
Zehntausende zog es alljährlich dorthin, eine Eisenbahnlinie wurde eigens angelegt. Droschkenunternehmen fuhren die bemittelten Reisenden zu den Schauplätzen und in die prosperierenden Gaststätten, die nun statt "Au Cheval blanc" "Zum weißen Roß" hießen oder "Zur Jägerzusammenkunft" anstelle von "Au Rendez-vous des chasseurs". Man annoncierte "civile Preise" und "Sammlung von Kriegswaffen aus 1870 im Hause". Achtzehn Hotels und Restaurants für Orte, die kaum mehr als tausend Einwohner zählten.
Was suchten, besser noch: was fanden die Besucher dort Einzigartiges? Und was finden die Touristenscharen noch heute an einem Ort, der seine Besucher mit großen Hinweisschildern auf "Son champ de bataille, son musée du 6. Août 1870" begrüßt? Zunächst stand Woerth für die erste große siegreiche Schlacht im Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71. Wichtiger noch als die Zerstörung des Nimbus von der französischen Unbesiegbarkeit war ein anderer Effekt, den ein Augenzeuge, der populäre Schlachtenmaler Georg Bleibtreu, in einem Brief an seine Frau niederlegte:
Was habe ich alles erlebt! Das war ein Tag, der bei Woerth! Gott hat mich im Granat- und Chassepotfeuer gnädig bewahrt. Ich konnte nicht anders, ich war von einem unwiderstehlichen inneren Drange vorwärts getrieben, ich mußte den Kampf des geeinten Deutschlands, der meine Träume zur Wirklichkeit macht, in der Nähe sehen. Aufjauchzen mußte ich, von allen Schrecken der Schlacht umgeben, als ich die Süddeutschen im Wettkampf mit ihren Brüdern im Norden, gegen und über die Höhen vordringen sah. - Ich muß fort, ich kann dir nicht mehr schreiben!
Das "geeinte Deutschland": auf dem Schlachtfeld war es kein bloßer Traum mehr! Im Siegesrausch von Woerth wurde die Einheit wieder und wieder beschworen. "Eisen und Blut" sollten nun vollbringen, was der nationalen und demokratischen Bewegung verwehrt geblieben war: die (klein-)deutsche Einheit. Diesen Zusammenhang formulierte der badische Großherzog in schönster Offenheit: "Eine Kaiserkrone kann nur auf dem Schlachtfeld errungen werden."
Für die Franzosen war Froeschwiller zwar ein Ort der Niederlage, aber die Kombattanten bestätigten einander, daß die französische Armee einem übermächtigen Gegner "ruhmvoll und tapfer" unterlegen sei. Auf den Monumenten beider Seiten finden sich denn auch Verweise auf "Gloire", "Tapferkeit" und "Heldenmut". Sie legitimieren die militärische Aktion, verklären die Opfer und bestätigen den fortbestehenden Primat des Militärischen für das Kaiserreich
Fortsetzung folgt...