1960 besuchte Willy Brandt überraschend ein SPD-Büro in Ost-Berlin. "Willy, bleib doch hier", riefen die Menschen.
Die Menschen im sowjetischen Sektor der schon geteilten, aber noch nicht von einer Mauer durchschnittenen Stadt waren gewohnt, Willy Brandt als „Kriegstreiber“ oder „Frontstadt-Boss“ vorgestellt zu bekommen. So schmähten die von der SED kontrollierten Zeitungen und Radiosender den charismatischen SPD-Politiker routinemäßig.
"Ich habe keine Atomwaffen"
Als der Regierende Bürgermeister überraschend am 25. August 1960 das Friedrichshainer SPD-Büro besuchte, erlebten sie das Gegenteil: Brandt reagierte auf die Polemik der SED, er unterstütze „Adenauers Atomkriegshetze“, schlagfertig, aber gelassen: „Ich habe keine Atomwaffen, weder in der Tasche noch sonst wo, und hoffe, die DDR hat ebenfalls keine.“ Da fehlten selbst den geschulten Agitatoren der Einheitspartei die Worte.
Dass es 1960 noch SPD-Büros in Ost-Berlin gab, lag am Status der Vier-Sektoren-Stadt. Mit der Zwangsvereinigung von KPD und SPD in der Sowjetischen Besatzungszone im April 1946 waren alle früheren SPD-Büros und das gesamte Eigentum eingezogen worden; daher gab es in der DDR keine einzige Geschäftsstelle – außer in Ost-Berlin.
Hier nämlich hatten sich die vier Stadtkommandanten geeinigt, die SPD im Ost-Sektor und im Gegenzug die SED in den drei West-Sektoren zuzulassen. Mit der Folge, dass dem Abgeordnetenhaus in West-Berlin mehrere Kreisfunktionäre aus den östlichen Sektoren angehörten: Georg Meyer und Werner Rüdiger (Prenzlauer Berg) sowie Fritz Barthelmann (Pankow) und Rudolf Müller (Lichtenberg).
Zwar durfte die SPD nicht bei den (ohnehin wertlosen) Wahlen in Ost-Berlin antreten, aber die offiziellen Büros waren für die SED ein stetes Ärgernis, weil sie die Alternative zum Sozialismus demonstrierten. Also schickten die Funktionäre vor Ort regelmäßig sogenannte Agitationsgruppen zu den SPD-Büros.
Sie sollten Druck auf die Angestellten machen und normale Ost-Berliner vom Besuch der Geschäftsstelle abhalten. Im August 1960 fand wieder einmal eine derartige Offensive statt, gegen den Bundestagsabgeordneten Kurt Neubauer, der als einziger westlicher Parlamentarier in Friedrichshain lebte.
Um dagegen zu protestieren, fuhr Brandt in seiner Dienstlimousine, einem Mercedes 190, zum Friedrichshainer SPD-Büro. Kaum hatte sich herumgesprochen, welch ungewöhnlichen Besuch das Büro hatte, strömten Menschen vom benachbarten Wochenmarkt auf dem Boxhagener Platz herbei.
Als Willy Brandt nach absolviertem Auftritt zu seiner Limousine zurückging, riefen sie: „Willy, bleib doch hier!“ Diesen Wunsch konnte Brandt ihnen allerdings nicht erfüllen: Er fuhr schnurstracks zurück nach West-Berlin, um die SED nicht weiter zu provozieren.
Am 29. Mai 1961 fand noch einmal unter Brandts Vorsitz eine Sitzung des gemeinsamen Landesvorstandes in Ost-Berlin statt, in Lichtenberg, wo sich der Kreisvorsitzende Rudolf Müller gegen jegliche Form der Aktionseinheit mit der SED sträubte.
Das Friedrichshainer SPD-Büro blieb trotz weiterer Kampagnen bis in den August 1961 geöffnet. Nach dem Mauerbau jedoch schloss die DDR die acht Geschäftsstellen. In West-Berlin dagegen durfte die SED unter wechselnden Namen weiterhin agitieren, erreichte jedoch bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus nie mehr als 2,3 Prozent der Stimmen.
https://www.welt.de/kultur/history/arti ... ierte.html
Ja unser Willy Brandt, ein von mir sehr geschätzter Politker und der eigentliche Urvater der Einheit Deutschlands.