Wir klauten wie die Raben. Untereinander gab es kaum Kameradendiebstahl. Aber alles, was nur im entferntesten nach Volkseigentum bzw. Armeeeigentum aussah, verschwand. An aller erster Stelle standen Sachen, die man essen oder trinken konnte. Wenn man auch nur in die Nähe eines Versorgungslagers kam wurden die Taschen vollgestopft, ob man es nun gebrauchen konnte oder nicht. Je nach Vorliebe begann dann ein schwunghafter Tauschhandel. Da die Streifentätigkeit auch durch Produktionsstätten der volkseigenen Betriebe ging, wurde aus jeder Streife eine Besorgungstour. Besonders beliebt war ein Narva-Lampenlager im Osthafen. Ich hatte großen Spaß daran, mich im Papierlager einer Reißwolfanlage mit aktuellen Westzeitungen einzudecken, die an den Grenzübergangsstellen requiriert wurden. Munition wurde nicht gestohlen, da jede Patrone abgezählt wurde. Aber einen “Waffendiebstahl” gab es in unserer Kompanie trotzdem.
Die Kinderzeitschrift "Fröhlichsein und Singen (FRÖSI)" brachte mal einen Papierbastelsatz zum Zusammenkleben einer Kalaschnikow heraus. Bei bastelwütigen Waffenfreaks setzte dann das große Kleben ein und einige Soldaten hatten sich dann aus Jucks die Papp-Kalaschnikow über das Bett gehangen. Eines Tages war eine Papp-Kalaschnikow verschwunden und der bestohlene Soldat meldete dieses Vorkommnis dem Unteroffizier vom Dienst. Der trug den Vorfall in sein Meldebuch ein und vergaß zu erwähnen, dass die Kalaschnikow aus Pappe war. Mit diesem Vorfall begann ein mittleres Drama.Schließlich erging der Befehl: Papp-Kalaschnikows über dem Bett sind künftig verboten!
Weiterhin beliebt waren alle möglichen und unmöglichen Ausrüstungsteile. Obwohl die Komissbotten bei den Soldaten besonders verhasst waren, gehörte es zum guten Ton der Eks, sich für zu Hause ein Paar "gute Armeestiefel" "hochzuziehen" Armee-Trainingsanzüge waren besondere Häppchen und besonders Kameraden vom Lande nahmen gerne die Armeeunterhosen mit, damit sie später auf ihrem Traktor einen warmen Hintern hatten. Koppel und Koppelschlösser waren auch schnell mal ein Grund für einen "Kameradendiebstahl".
Da verschwanden Ausrichtungsteile , die "Regresshexe" kam und man musste die Sachen ersetzen. Die “Regresshexe” war aber nur ein Formular, auf dem man den Verlust erklärte ("verloren", "zerstört" bei Ausübung des Dienstes beschädigt usw.). Den größten Klau erlebte ich mit einem Unteroffizier im Kino "Gerhard Phillipe" in Treptow. Hier half ich einen tschechischen 35mm-Projektor zu zerlegen, den der Unteroffiziert für sein Dorfkino zu Hause dringend benötigte. Ein paar DEFA-Vorfilme und ein Umspulgerät gingen bei dieser Aktion gleich mit. Das Kino stand am Rande des Grenzgebietes und wurde damals geschlossen.
Auch sehr beliebt war bei den Offizieren und Unteroffizieren der Armeesprit. Der Spritverbrauch in der Einheit war mächtig gewaltig, weil jeder sich bediente, wo er nur konnte. Kontrollen gabs nicht, und wenn mal eine Kontrolle da war, so klaute die gleich mit. Im Zusammenhang mit den umfangreichen Baumaßnahmen an der Mauer war die Charge im Vorteil, die die Transportkapazität befehligte. Man schämte sich nicht im Geringsten, auch gleich noch die Soldaten dazu zu befehligen, die den Zement oder Baumaterial jeder Art und Menge verladen mussten. Bei den Soldaten wurde meistens berufsspezifisch gestohlen. Ein gelernter Elektriker klaute Elektromaterial, da die Armeezeit ja irgendwann mal zu Ende war und DDR-Versorgungsprobleme auch perspektivisch betrachtet werden mussten. Elektromaterial gab es an der Grenze in Hülle und Fülle. Täglich fielen hunderte Lampen aus und mussten ersetzt werden. Relais gingen kaputt und Kupferkabel, das die NVA anstelle des sonst verbreiteten Alu-Kabels bevorzugt verwendete, waren eine beliebte Beute.
Schlosser stahlen teures Werkzeug, und einen kleinen Kompressor konnte man auch gut zu Hause gebrauchen. Die Grenztrabis gingen ihrer nagelneuen Lichtmaschine verlustig und bekamen die alte Lichtmaschine vom Papi von zu Hause eingebaut. Motorradreifen hatten eine denkbar kurze Lebenszeit und oberbeliebt waren die Geländereifen, welche es im zivilen Sektor damals kaum zu kaufen gab. Ich hatte es nicht nötig zu klauen, da ich mit meinem Fotodienst gute Tauschmodalitäten organisieren konnte. Gegen die Entwicklung von Urlaubsbildern rückte mir der Kammerbulle einen Karton mit Kragenbinden heraus, und so war ich in der glücklichen Lage, keine Kragenbinden mehr waschen zu müssen.
Meine Kameraden hatten ein EK-Bandmaß, das man für die letzten 200 Armeetage nutzte um die Tage bis zur Entlassung zu zählen. Jeden Tag wurde ein Zentimeter abgeschnitten. Ich hatte genau 200 Kragenbinden erhalten und zählte alle paar Tage unter Gejohle meiner Kameraden meine restlichen Kragenbinden. Die schmutzige Kragenbinde wurde an einen Dachs verschenkt, wenn er eine Flasche Brause für 21 Pfennige aus der Armeekantine als EK-Präsent mitbrachte. Es war keine Kunst, nicht erwischt zu werden.
Die Organisation und die Moral waren katastrophal und degeneriert. Den Bürgern das Eingeweckte aus den Kellern zu stehlen war ein Kavaliersdelikt und wurde bei Erfolg noch beprahlt, wenn mal jemand ein nicht sehr gesichertes Weinregal entdeckt hatte. Makaber für mich war ein Erlebnis in der Nähe Dresdener Straße oder Sebastianstraße. Hier wurden Gebäude, welche direkt an der Mauer standen, 1967 abgerissen. In einem Eckhaus war eine Apotheke, die man wahrscheinlich am 13. August geschlossen hatte, und deren Räume erst wieder im Zusammenhang mit dem Abriss offiziell geöffnet wurden, um die Räumlichkeiten zu entrümpeln. In der Apotheke, die nur von den Grenztruppen betreten werden konnte, sah es nach mehrfacher Plünderung aus. Im Keller lagen hunderte Medikamentenkartons, welche allesamt aufgerissen waren und überall fehlten immer einige Packungen. Vieles war über dem Verfallsdatum und zerstört . Hierbei ist zu erwähnen, dass die Medikamentenabgabe in der DDR völlig kostenlos war. Man klaute hier die “Spalt”-Tabletten oder die “Analgin” aus Bequemlichkeit.
http://www.ddr-zeitzeugen.de/html/diebstahl.html
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