Leben in der Sperrzone Sparnberg in der DDR
Das kleine Dorf liegt in einer Schleife der Saale, die die bayerisch-thüringische Landesgrenze
markiert. Viele Jahrzehnte spielte jedoch der Fluss als Grenze keine Rolle, das thüringische
Starnberg und das bayerische Rudolphstein waren wie ein Dorf: Verwandte lebten beiderseits
der Grenze, das Wirtshaus am Hang auf Rudolphsteiner Seite war ein beliebter Treffpunkt für
die Männer aus beiden Dörfern.
Dann wurde Deutschland geteilt und damit auch beide Dörfer getrennt. In der DDR wurden viele
Dörfer direkt an der Grenze evakuiert, die Bewohner wurden umgesiedelt. Starnberg war eine
Besonderheit. Das Dorf reicht in der Flussniederung bis direkt an die Saale, auf bayerischer Seite
steigt sofort ein steiler Hang an. Dadurch konnte man von Bayern wie auf einem Logenplatz
direkt ins Dorf hineinsehen, und das Leben dort beobachten. Deshalb bemühten die DDR-Oberen
sich, für die Beobachter und Kameras auf westlicher Seite glückliches Dorfleben zu inszenieren.
Das Dorf war nicht nur zur Bundesrepublik, sondern auch zur DDR abgeschottet. Besuche in
Starnberg mussten Wochen vorher angemeldet werden und beim geringsten Verdacht versagt.
Kindergeburtstage mit Kindern von außerhalb des Dorfs blieben Utopie. Dazu kam die ständige
Gefahr, irgendwann doch aus der Heimat vertrieben zu werden. Fiel jemand unangenehm auf,
mussten er und seine Familie von einem Tag auf den anderen Haus, Hof und Heimat verlassen.
Wer sein Grundstück an der Saale hatte, musste erleben, wie immer mehr davon abgezwackt
wurde. Stand anfangs nur ein Stacheldrahtzaun direkt am Flussufer, durch den die Kinder auch
mal schlüpften, wurden die Grenzanlagen immer ausgefeilter und tiefer gestaffelt, 1968 stand
am Fluss dann eine hohe Mauer.
Das Alltagsleben im Dorf war durch die ständige Anwesenheit der Grenztruppen und die
politische Überwachung beeinträchtigt, andererseits war die winzige, abgeschottete Insel in
vieler Hinsicht eine heile Welt. Die Welt auf der anderen Seite der Saale hatte Verbindungen
der besonderen Art nach Rudolphstein. Die Rudolphsteiner Blasmusik stellte sich an den Hang
über dem Dorf und brachte den Sparnbergern ein Ständchen, dem die Dorfbewohner lauschten,
bis DDR-Grenzer kamen und sie wegscheuchten. Die Oma aus Rudolphstein kam regelmäßig an
den Hang und winkte dem Enkel in Starnberg zu. Und immer wieder waren die Kameras auf
das Dorf gerichtet.
Absurd wurde die Sparnberger Situation 1989: Die Mauer war schon offen, auf der Autobahnbrücke
(BAB 9) fast über dem Dorf fuhren Heerscharen DDR-Bürger in den Westen, doch Sparnberg war
noch wochenlang abgeschottet. Erst im Dezember 1989 endete das Grenzregime und das Dorf war
für jedermann zugänglich. Die Sparnberger und Rudolphsteiner bauten sofort einen Steg über die
Saale als Ersatz für die Brücke, die einst die Dörfer verbunden hatte. Das neue Bauwerk war
allerdings provisorisch und gerade im Winter war der vereiste Übergang gefährlich, was prompt
die Baubehörden beider Seiten auf den Plan rief, die - Vereinigung hin, Vereinigung her - gleich
wieder einen Abriss verlangten. Erst später wurde die richtige Brücke gebaut, die heute schon
wieder reparaturbedürftig ist.
http://www.boen-end.de/sparnberg.html
W. T.