Affi976 hat geschrieben: Wenn Du über diese Arbeit was schreiben könntest, soweit für Dich erlaubt, denke ich, dürfte es interessant werden.
VG Affi
Einige Bemerkungen zu den Untersuchungen in Langenweddingen, die einen Einblick in die Abläufe geben und die Situation verdeutlichen:
An der unmittelbaren Untersuchung waren damals Kräfte aus folgenden Organen beteiligt:
- Hauptabteilung Kriminalpolizei des MdI Berlin
- Abteilung K des Transportpolizei-Abschnitts Magdeburg
- Abteilung K der BDVP Magdeburg
- Spezialkommission der Abteilung IX der BV Magdeburg des MfS
- Mitarbeiter der HA IX/7 des MfS Berlin.
Die Untersuchung wurde vorrangig in folgende Richtungen geführt:
1. Tatbestandsaufnahme
2. Ursachenermittlung
3. Identifizierung der Opfer.
Das EV wurde verantwortlich vom Transportpolizei-Abschnitt Magdeburg geführt.
Aufgrund der Lage wurden die Untersuchungen durch die Kräfte der K und Staatsanwälte zur Feststellung der Ursachen des Unglücks und der strafrechtlichen Verantwortlichkeit in vier Hauptrichtungen geführt.
1. Welche Ursachen sind durch Angehörige des VEB Minol für das Unglück gesetzt worden/lag eine strafrechtliche Verantwortlichkeit vor ?
2. Lag ein schuldhaftes Verhalten des Lokpersonals vor/ergab sich daraus eine strafrechtliche Verantwortlichkeit ?
3. Waren die Ursachen für das Unglück durch Angehörige der Deutschen Post im Zusammenhang mit der Verlegung der über den Bahnübergang angebrachten Fernsprechkabel gesetzt worden/ergab sich daraus eine strafrechtliche Verantwortlichkeit ?
4. Wurde durch pflichtwidrige Handlungen von Beschäftigten des Bahnhofes Langenweddingen der Unglück verursacht und wer war dafür strafrechtlich verantwortlich ?
Der LKW des VEB Minol unterlag einer ständigen technischen Kontrolle und war am 05.07.1967 letztmalig in der Werkstatt zur Überprüfung. Das Fahrzeug war technisch in einwandfreiem Zustand. Der tödlich verunglückte Fahrer galt als sehr erfahren und fuhr bis zum Unglück unfallfrei. Zeugen bestätigten, dass der aus Richtung Magdeburg kommende Tankwagen vor dem Bahnübergang seine Geschwindigkeit verminderte und durch mehrfaches Bremsen wesentlich verringerte. Vor unmittelbarer Annäherung an die Schranken wurden diese im geringen Umfang erst abwärts und dann aufwärts bewegt, so dass der Fahrer annehmen konnte, dass die Fahrt über den Bahnübergang für ihn freigegeben ist. Durch ein Untersuchungsexperiment wurde festgestellt, dass der Fahrer des Tankwagens durch Sichthindernisse nicht in der Lage war, die Annäherung des Zuges rechtzeitig zu erkennen. Die Untersuchungen zu diesem Komplex ergaben, dass ein strafbares Verhalten von Angehörigen des VEB Minol nicht vorlag.
Das Lokpersonal des P 852 befuhr am 06.07.1967 die Strecke in der zulässigen Geschwindigkeit von 84 km/h. Die durchgeführten Untersuchungsexperimente ergaben, dass es dem Lokpersonal entsprechend der Streckenführung erst ca. 200 m vor dem Bahnübergang möglich wurde, die nichtgeschlossenen Schranken zu erkennen. Entsprechend der Bremswegberechnung ergab sich ein Bremsweg von 352 m. Der erforderliche Bremsweg und die Möglichkeit, die nicht geschlossene Schranke erst 200 m vor dem Bahnübergang zu erkennen, schlossen aus, dass das Lokpersonal den Zug vor den Bahnübergang zum stehen bringen konnte. Die vom Lokpersonal mit Erkennen der nichtgeschlossenen Schranke eingeleitete Schnellbremsung konnte daher die Katastrophe nicht verhindern. Die Untersuchungen zu diesem Komplex ergaben, dass ein strafbares Verhalten des Lokpersonals nicht vorlag.
Zum Komplex Kabel/Deutsche PostDas bei der Zugfahrt des P 852 am 06.07.1967 die Schrankenschließung verhindernde Kabel wurde am 14.02. 1966 als freitragendes Luftkabel verlegt. Veranlassung war, dass nach einem vorgenommenen Umbau der Schrankenanlage durch einen Schrankenbaum die bisher vorhandene Freileitung berührt wurde und dadurch Störungen in der Fernsprechverbindung auftraten. Die Verlegearbeiten wurden als Beseitigung einer Störung deklariert und von Angehörigen eines Bautrupps der Deutschen Post durchgeführt. Als Störungsbeseitigung unterlagen die Arbeiten keiner Genehmigungs- und Abnahmepflicht durch die Deutsche Post und die Deutsche Reichsbahn. Für die neu errichtete, als Provisorium deklarierte Fernsprechleitung, wurde der Leitungstyp YM (St) Y 3 x 2 x 0,5 mm verwendet. Nach der TGL 74-065, Bl. 1, handelte es sich hierbei um eine Fernmeldemantelleitung , die nach TGL 21806 nur für feste Legung innerhalb und außerhalb von Gebäuden zulässig war. Demzufolge war diese Leitung für eine Verlegung als freitragendes Kabel nicht geeignet. Seit August 1964 bestand jedoch vom Ministerium für Post- und Fernmeldewesen eine Ausnahmegenehmigung. Nach dieser durfte YM (St) Y als kurzfristiges Provisorium verwendet werden, aber nur dann, wenn ein Stahldraht von mind. 4 mm Durchmesser als Tragebogen mitgelegt wurde. Die Verlegung eines Tragebogens wurde im vorliegenden fall nicht vorgenommen. Die vorhandene Verlegungsart entsprach damit weder den Bestimmungen der TGL noch der Ausnahmebestimmung. Durch die vorschriftswidrige Verlegung hing die Leitung im Laufe der Zeit durch und behinderte die Schließung einer Schrankenseite. Untersuchungen an der Schranke, der Leitung und ihrer Mastbefestigung bestätigten den Sachverhalt. Die Ermittlungen ergaben, dass die am 14.02.1966 vorgenommene nicht sachgemäße Verlegung des Luftkabels zur Behinderung des Schließprozesses der Schranke führte. Diese Behinderung wurde jedoch rechtzeitig durch Beschäftigte des Bahnhofes Langenweddingen festgestellt. Zu diesem Zeitpunkt bestand für das Bahnhofspersonal die Pflicht, zusätzliche Maßnahmen zur Sicherung des Bahnüberganges zu treffen. Infolge des pflichtwidrigen Verhaltens der unmittelbar Verantwortlichen sowie der Aufsichtsverpflichteten unterblieben jegliche zusätzliche Sicherungsmaßnahmen. Das war die wesentliche Ursache für die Katastrophe.
Die unmittelbare Verantwortlichkeit der Angehörigen der Deutschen Post für die Herbeiführung des Unglücks konnte daher nicht bejaht werden.
Zum Komplex Beschäftigte des Bahnhofes Langenweddingen Im Ergebnis der geführten Untersuchungen über die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Personals vom Bahnhof Langenweddingen wurden am 06.07.1967 gegen den Fahrdienstleiter B. und am 07.07.1967 gegen den Dienstvorsteher M. EV wegen des dringenden Verdachts der fahrlässigen Tötung, der fahrlässigen Transportgefährdung und der fahrlässigen Körperverletzung eingeleitet. Gegen beide wurde Haftbefehl erlassen.
Als B. am 06.07.1967 um 06 Uhr seinen Dienst als Fahrdienstleiter und Schrankenwärter begann, wurde er erstmalig durch den übergebenden Fahrdienstleiter davon in Kenntnis gesetzt, dass der dem Stellwerk diagonal gegenüberliegende Schrankenbaum beim Schließvorgang das Luftkabel berührt. Ihm wurde mitgeteilt, dass diese Behinderung schon beim Vorgänger aufgetreten ist, dass aber das Luftkabel durch mehrmaliges Bewegen der Schrankenbäume über die Spitze des Schrankenbaumes springt und dadurch ein Schließen der Schranken noch ermöglicht wird. Der Vorgänger hatte bereits Meldung erstattet. diese Meldung war auf die Anschlagtafel des Aufsichtsführenden schriftlich aufgenommen worden. B. hatte dann bei weiteren vier Zugfahrten auf die beschriebene Art und Weise die Schranken geschlossen. Den unterstellten Aufsichtsführenden wies er an, die Deutsche Post zur Beseitigung der Behinderung zu veranlassen.
Obwohl durch das Vorschriftenwerk der Deutschen Reichsbahn diese Behinderung als "drohende Betriebsgefahr" anzusehen war, schätzte B. die Lage lediglich als Unregelmäßigkeit ein. Aus diesem Grunde unterließ er es auch, die ihm obliegenden, zwingend vorgeschriebenen Sicherheitsmaßnahmen einzuleiten. Die dafür erforderlichen Gerätschaften und Personen waren vorhanden.
Ohne jede Behinderung durch andere betriebliche Aufgaben erwartete B. die für 07:53 Uhr angekündigte und von ihm angenommene Durchfahrt des P 852. Nach seinen Aussagen und den Ergebnissen des Untersuchungsexperiments sah er den Zug erstmalig in einer Entfernung von ca. 1.500 m vom Stellwerk. Er begab sich zu den Schrankenböcken und begann mit dem Schließvorgang der Schranken. Der Zug hatte sich inzwischen auf ca. 1.300 m dem Stellwerk genähert. B. stellte während des versuchten Schließvorganges fest, dass sich die südlich des Bahnkörpers befindlichen Schrankenbäume auch durch mehrmaliges Hin- und Herbewegen nicht schließen ließen, weil ein Schrankenbaum auf dem Luftkabel auflag. In der ihm zur Beseitigung der Betriebsgefahr zur Verfügung stehenden Zeit hatte er mit allen Mitteln versucht, durch Bewegung mit dem Schrankenbaum das Luftkabel zu zerreißen. Dies gelang nicht.
In dieser Zeit hatte sich der P 582 bereits auf 200 m dem Überweg genähert. B. verließ daraufhin seinen Standort an den Schrankenböcken und begab sich in den Vorbau des Stellwerks, weil er einen sich aus Richtung Halberstadt nähernden LKW erkannte. Diesen brachte er mittels Signalflagge zum halten. Aus Richtung Magdeburg bemerkte B. kein Fahrzeug. In diesem Moment kam es zum Zusammenprall des P 852 mit dem aus Richtung Magdeburg kommenden Tanklastzug.
Der Beschuldigte hatte nach Erkennen der Betriebsgefahr die ihm vorgeschriebenen und zu diesem Zeitpunkt noch möglichen Maßnahmen zur Abwendung der Gefahr unterlassen. Nach den Dienstvorschriften musste er das auf Fahrt stehende Einfahrtsignal in die Haltestellung zurücklegen, die nicht gestörte Schrankenseite voll schließen und die Sicherung des Wegeüberganges mittels Signalflagge und -horn vornehmen.
Die Untersuchungen ergaben, dass B. diese Pflichten bekannt waren. Durch das Untersuchungsexperiment wurde bewiesen, dass die Zeit für die Einleitung der pflichtgemäßen Maßnahmen noch zur Verfügung stand.
Der Beschuldigte M. hatte bereits am 04.07.1967 durch den Fahrdienstleiter Kenntnis von der Berührung zwischen Luftkabel und Schrankenbaum erhalten. Erst am 05.07.1967 begab er sich in den Vormittagsstunden auf das Stellwerk. Hier führte er nach seinen Angaben und Zeugenaussagen eine Kontrolle der Schrankenanlage durch, indem er zweimal die Schranken bediente. Nach seinen Angaben stellte er keine Berührung der Schranken mit dem Luftkabel fest. Er sah lediglich eine Verschligung des Luftkabels mit einer in gleicher Richtung gespannten Telefonleitung. Nach seinen eigenen Angaben schätzte M. ein, dass das Lösen der Verschlingung eine Betriebsgefahr herbeiführen könnte. Er hatte die Absicht, die Deutsche Post zu verständigen, hat dies jedoch vergessen.
Am 06.07.1967 erhielt er bei Dienstantritt durch einen schriftlichen Hinweis an der Anschlagtafel und mündlich im Dienstraum davon Kenntnis, dass die Schranke durch das Luftkabel behindert wurde. Er wurde durch den diensthabenden Aufsichtsführenden außerdem darauf hingewiesen, dass B. angerufen hatte, dass die Behinderung weiterhin besteht und die Deutsche Post verständigt werden muss. Aufgrund dieser Mitteilung beobachtete der Beschuldigte bei zwei Zugdurchfahrten die Bedienung der Schranken aus ca. 55 m Entfernung, wobei er lediglich sah, dass das Luftkabel pendelte, weil er den Dienstraum erst verließ, als sich nach Aussagen die Schranken bereits 30 Grad bzw. 60 Grad aus der Grundstellung bewegt hatten. Er veranlasste daraufhin immer noch keine Maßnahmen zur Wiederherstellung der Betriebssicherheit, obwohl er als Dienstvorsteher die volle Verantwortung für die Sicherheit in seinem Bereich trug.
Nach dem Ermittlungsergebnis hatten die Beschuldigten B. und M. gröblichst gegen die zur Betriebssicherheit der Deutschen Reichsbahn erlassenen Vorschriften verstoßen und Pflichtverletzungen begangen, die dazu führten, dass der Bahnübergang nicht vorschriftsmäßig gesichert war. Damit setzten sie unmittelbar die Ursachen für die Kollision des P 852 mit dem Minol-Tankwagen. B. und M. waren somit für den entstandenen Gefahrenzustand und die eingetretenen Folgen strafrechtlich verantwortlich.