Operation "Symbol 89"Wie der DDR-Staatssicherheitsdienst Einfluss auf die Kommunalwahlen vom 7. Mai 1989 nahm
Als Tag der manipulierten Kommunalwahlen geht der 7. Mai 1989 in die Geschichte der DDR ein. SED-Politbüromitglied Egon Krenz verkündet in der Spätausgabe der DDR-Fernsehsendung „Aktuelle Kamera“ eine Wahlbeteiligung von 98,77 Prozent mit lediglich 142301 Gegenstimmen. Doch die Staatssicherheit hat mächtig am Ruder gedreht.
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7. Mai 1989: Im Ost-Berliner Wahllokal 19 des Wahlkreises 2 gab die SED-Prominenz ihre Stimme ab. Im Bildvordergrund SED-Generalsekretär Erich Honecker mit Ehefrau Margot (2. von links). Vorn rechts Ministerrats-Vorsitzender Willi Stoph und Volkskammer-Präsident Horst Sindermann (dahinter) mit ihren Ehefrauen.
Foto: Mittelstädt
Mit flotten Sprüchen sind in den Frühlingstagen 1989 die Wahlaufrufe der Nationalen Front gespickt. Die DDR-Satirezeitschrift Eulenspiegel erfindet neue: Zur Wahl geht jeder mit Elan, mit Stimmschein und erfülltem Plan! – Mit guten Neuerer-Ideen bleibt niemand auf der Stelle stehn!
Krankenpfleger Kai Lange, damals in der Bezirksstadt Frankfurt (Oder) zu Hause, geht nie zur Wahl. Er stellt 1988 einen Ausreiseantrag. Und hat somit auch keinen Grund, am 7. Mai 1989, dem Tag der letzten DDR-Kommunalwahlen, den Kandidaten der Nationalen Front eine Stimme zu geben. Dennoch klopft es am Nachmittag an seiner Tür. Wahlhelfer haben eine Wahlurne im Arm. Kai Lange geht ins Wohnzimmer, bringt eine Schale, darin ein leicht verfaulter Apfel, und sagt zu den Herren: Sie haben die Wahl. Nehmen Sie sich einen. Die Wahlhelfer schauen empört und verlassen wortlos das Haus.
In der Frankfurter Außenstelle des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR sind jetzt brisante Dokumente aufgetaucht. Geheime Verschlusssachen der Bezirksverwaltung der Staatssicherheit. Sie alle haben ein Ziel: die – wie es im Stasi-Jargon heißt – politisch-operative Sicherung der Vorbereitung und Durchführung der Kommunalwahl am 7. Mai 1989. In den Befehlen werden DDR-Bürger verbal an den Pranger gestellt. Aus Stasi-Sicht sind es entweder „uns bekannte Personen mit politisch-negativer Einstellung“.
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Foto: BstU
Oder „Kräfte des politischen Untergrundes, sogenannte unabhängige Kandidaten, die unter Nutzung legaler Möglichkeiten vorgeschlagen werden“. Im Visier hat das MfS Mitglieder von Arbeitsgruppen wie „Frieden und Menschenrechte“ in Petershagen, Kreis Strausberg, „von denen feindlich-negative Handlungen zu erwarten sind“, heißt es in den Akten der Unterlagenbehörde. Die Leiter der politisch-operativen Sicherungsmaßnahmen hätten „die volle Dienstbereitschaft“ zu gewährleisten und Einfluss auf die Auswahl jener Personen zu nehmen, die während der Wahl zum Einsatz kommen, heißt es darin weiter.
Die Kommunalwahlen in der DDR gelten offiziell als freie, gleiche und geheime Wahlen. Doch schließt die alternativlose Einheitsliste der Nationalen Front eine Entscheidung zwischen verschiedenen Kandidaten von vornherein aus. Es werden nicht die Kandidaten einzelner Parteien, sondern der sogenannte demokratische Block insgesamt gewählt. Daher galten auch Stimmzettel, auf denen einzelne oder mehrere Kandidaten gestrichen werden, weiterhin als gültig. Falten gehen – so nannten viele Bürger die Wahl.
In einer streng vertraulichen Information warnt Frankfurts Stasi-Chef Generalmajor Heinz Engelhardt am 27. März 1989: In Vorbereitung der Wahlen seien besonders feindliche Aktivitäten von CDU-Ortsgruppen, so in Neuenhagen, und beim „Jungerwachsenenkreis“ der evangelischen Kirche in Schwedt festzustellen, die „unter Ausnutzung bestehender Mängel, Missstände und anderweitiger negativer Erscheinungen gegen die führende Rolle der Partei“ opponieren. Die operative Stasi-Aktion zur Sicherung der Kommunalwahlen trägt den Namen „Symbol 89“.
West-Medien berichten über FälschungAm 8. Mai 1989 jubelt die SED-Parteizeitung Neues Deutschland: „Eindrucksvolles Bekenntnis zu unserer Politik des Friedens und des Sozialismus.“ Doch westdeutsche Medien berichten schon wenige Tage nach der Wahl ausführlich über die von Oppositionsgruppen angeprangerte Fälschung. Der Spiegel schreibt unter Berufung auf Kirchenkreise von bis zu 15 Prozent Nein-Stimmen und bis zu einem Viertel Nichtwählern in städtischen Gebieten. Die DDR-Öffentlichkeit erfährt davon genauso wenig wie von einer Anfang Juni gewaltsam aufgelösten Demonstration in Ost-Berlin gegen Wahlbetrug. Oder von Forderungen der evangelischen Kirche nach einem neuen Wahlsystem.
Angermündes MfS-Kreisdienststelle informiert am 11. April 1989 Generalmajor Engelhardt über das Auftreten des Greiffenberger Pfarrers Werdin auf einer Wahlversammlung in der HO-Gaststätte „Deutsches Haus“. Werdin hätte mit seinen Fragen Mandatsträger in Verlegenheit gebracht. „Die Meinung der Quellen ist, dass Pfarrer Werdin ein Vertreter des Pluralismus ist und gegen die führende Rolle der SED in unserer Republik“, lautet ein Satz in den Akten. Der Angermünder MfS-Hauptmann Schönfeld legt fest, die „IM sind nochmals zu instruieren und zu beauftragen, über sämtliche Aktivitäten/Handlungen des Werdin zu berichten“. Das Wort sämtliche ist dick unterstrichen. Akribisch werden 1989 von der Staatssicherheit jene DDR-Bürger aufgelistet, die beim Bezirksstaatsanwalt Strafantrag wegen Wahlfälschung stellen. Und das MfS führt auch über jene Frauen und Männer Buch, die Eingaben schreiben. Allein vom November 1988 bis Ende April 1989 schimpfen im Bezirk Frankfurt 8009 Bürger und 211 Arbeitskollektive über den Staat. Nicht hinter vorgehaltener Hand. Nein, höchst offiziell in Briefen an Bürgermeister, örtliche Räte, Abgeordnete und an die SED-Parteiführung.
„Das waren 23,4 Prozent mehr als im ersten Halbjahr 1988“, heißt es in dem 15 Seiten umfassenden Dokument der Staatssicherheit. Vorrangig geht es um Wohnungsnot, Mangelwirtschaft, den Zustand von Straßen und um Umweltschutz.
Die gefälschten Kommunalwahlen am 7. Mai 1989 waren der Anfang vom Ende der DDR.
Quelle: Jörg Kotterb, SVZ
AK