Die letzten Tage der SED - Keiner spricht mehr von den Terrornächten Günter Schabowski war nicht der Maueröffner. Kurz nach seiner berühmten Pressekonferenz wurde „erhöhte Gefechtsbereitschaft“ ausgerufen. Wenige Tage zuvor hatte er noch friedliche Demonstranten verprügeln lassen. Eine Erinnerung.
Heute sieht es so aus, als hätte es anders nicht kommen können. Günter Schabowski zum Beispiel wird seit diesem 9. November vor 25 Jahren ziemlich unwidersprochen als „Maueröffner“ gehandelt. Fast zur Lichtgestalt stilisiert, schwebt er über all diesen lächerlichen Figuren, die damals noch immer meinten, das Heft des Handelns fest in der Hand zu haben. Aber dieser Schabowski ist eine Phantasiegestalt, im realen Leben, im Herbst der Anarchie, als sein Fundament, die SED, längst Risse hatte und nach und nach zerbröselte, da war er noch ganz er selbst: Der nach Egon Krenz einflussreichste Mann der SED-Führung und alles andere als ein „Maueröffner“.
Oktober 1989: Seit Wochen rangen sie in Tag- und Nachtsitzungen am Werderschen Markt in Berlin Ost - da, wo heute das Außenministerium sitzt, damals aber immer noch unangetastet die SED-Zentrale - um das ultimative Zurück in eine Zeit, wo ihr Wort etwas galt und jeder parierte. Jedes Mittel wäre ihnen recht gewesen, dieses außer Rand und Band geratene Volk zur Räson zu bringen.
Und am Morgen des 10. November 1989, als den SED-Oberen irgendwie dämmerte, dass sie mit ihrem sogenannten Reisegesetz einen doch ziemlich großen systemischen Betriebsunfall ausgelöst hatten, versetzte Egon Krenz, dessen rechte Hand und treuester Vasall Günter Schabowski war, die Armee in Alarmbereitschaft. Nicht nur so ein bisschen, sondern für den äußersten Ernstfall (dass der längst eingetreten und schon pro Volk entschieden war, wussten, begriffen sie nicht). „Erhöhte Gefechtsbereitschaft“ für das Militär und alle, die Waffen trugen in der DDR - neben Polizei und Kampfgruppen auch jeder kleine Kreissekretär, von der SED und allen Blockparteien bis zur FDJ. Eine chinesische Lösung sozusagen.Gedurft hätten sie esEs ist ja nicht dazu gekommen und heute so gut wie vergessen. Aber die Bürgerkriegsvariante geisterte parallel zu all den großen Demonstrationen wochenlang durch die Amtsstuben. Dort rechneten sie vor allem um das große Jubiläum herum, den 40. Geburtstag dieser DDR, die sich zwar seit Wochen vor aller Augen aufzulösen begann, doch einer gar nicht so kleinen SED-Gefolgschaft immer noch das Einundalles war, mit erheblichem Ärger. Darauf hatte man sich vorbereitet.
Im September 1989 trafen sich zum Beispiel der Berliner Chef der Staatssicherheit, der Generalstaatsanwalt, der Berliner SED-Chef Günter Schabowski, der Vize-Oberbürgermeister und der oberste Richter. Sie legten fest, wie mit den Geburtstagsstörenfrieden zu verfahren sei. Wir wissen heute, dass niemand erschossen wurde, aber gedurft hätten es die Waffenträger schon. Erst am 13. Oktober, nach brutalen Übergriffen und Massenverhaftungen, setzte der Honecker-Erbe Egon Krenz den Schießbefehl außer Kraft. Der DDR-Gesundheitsminister hatte vorsorglich die ärztliche Schweigepflicht ausgehebelt, die Mediziner stattdessen angewiesen, jeden verletzten Demonstranten zu melden und der Polizei oder der Stasi auszuliefern.
Auf dem Septembertreffen in Berlin hatten die Herren Schnellverfahren vereinbart. Haft- und Strafbefehle wurden vorgefertigt, man musste nur noch die Namen der Erwischten und diesen oder jenen Paragraphen einsetzen. Nur zwei Ost-Berliner Staatsanwälte widersetzten sich diesem offenen Rechtsbruch und verweigerten später, am 8. und 9. Oktober 1989, ihre Unterschrift unter die Haftbefehle. Eine Ausnahme, der Generalstaatsanwalt konnte stolz nach oben melden, dass mehr als tausend Schnellverfahren eingeleitet worden seien.
In eiligst hergerichtete „Zuführungspunkte“, Garagen, Polizeireviere, Gefängnisse, waren Tausende Menschen gebracht worden. Polizei und eine Bürgerkriegsarmee, die der irre Stasi-Chef Mielke von der Kette gelassen hatte, darunter Polizisten mit scharf gemachten Schäferhunden ohne Beißkorb, gingen mit einer bis dahin in der DDR unbekannten Brutalität und Willkür offen, vor aller Augen, gegen alle vor, die sie für den „Feind“ hielten. Feinde waren all die, die vor dem Palast der Republik - dort, wo heute das Berliner Schloss in die Höhe wächst - „Gorbatschow hilf“ oder „Freiheit“ gerufen hatten, oder, noch schlimmer, „Wir sind das Volk“. Die greise Geburtstagsrunde im Palast aber sah hinter der großen Fensterfront nur das, was sie immer gesehen hatte: fackelschwingende FDJler. Denn die gab es durchaus noch in großer Zahl.Das Werk der staatstreuen Schläger„Feinde“ standen im Dunkeln, mit Kerzen in der Hand, in einem Meer von flackernden Kerzen, vor der Gethsemanekirche, viele fast noch Kinder. Ihr stiller, ziviler Protest galt willkürlich Verhafteten und ihre Hoffnung einer neuen Zeit, nur an Mauerfall dachte wahrscheinlich niemand. Und doch ist er nicht denkbar ohne diese Nächte in Ost-Berlin, als eine entfesselte Prügelpolizei nicht nur über die Mahnwachen-Kinder herfiel, sondern über alle, die sie im „Operationsgebiet“ zwischen Schönhauser Allee, der Kirche und der Danziger Straße, die damals noch Dimitroffstraße hieß, zu greifen bekamen. Den Menschen mit den Kerzen standen anfangs auch noch blindgläubige FDJler gegenüber - ein Zeichen für die tief gespaltene Gesellschaft, deren Kräfteverhältnis nicht nur die SED-Führung falsch einschätzte. Diese Konfrontation staatstreuer Schläger und sanfter Demonstranten war hier, auch dank vieler westlicher Medien, zum ersten Mal öffentlich geworden.
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http://www.faz.net/sonntagszeitung/die- ... ageIndex_2Diese Dinge werden im Laufe der Jahre immer mehr ( bewusst ) unterschlagen. Nicht irgendwelche SED Schergen zeichnen dafür verantwortlich, dass es friedlich blieb, sondern der Mut und die immer größer werdende Macht des Volkes!