Der Spiegel 1948 zum Thema
Ganz wendisch
Kurz vor DresdenDer sächsische Landtag fand Zeit, seine Aufmerksamkeit den Namen von dreißig Ortschaften im Süden seines Hoheitsgebietes zuzuwenden. Diese Namen waren von den Nationalsozialisten erfunden und dekretiert worden, als sie die Spuren des wendischen Ursprungs der Bevölkerung jener Ortschaften verwischen wollten. In Zukunft werden die Orte wieder ihre slawischen Namen führen, und der Kreis Görlitz wird sich Kreis Mjeski nennen.
Die wendische Wendung des Landtags kam nicht von ungefähr. Schon zum neuen Jahre hatte sich Landrat Zimmermann aus Löbau etwas Symbolisches ausgedacht. In Hochkirch, wo vor 190 Jahren Preußens Friedrich von den Oesterreichern mitten in der Nacht hinterrücks überfallen worden war, übergab er bunte Fahnen jenem Teil seiner Kreisbewohner, der nicht deutschen, sondern sorbischen Ursprungs ist (sorbisch heißt wendisch, aber wendisch ist deutsch und darum bei den Sorben verpönt).
Er übergebe die Fahne als äußeres Zeichen der Gleichberechtigung des sorbischen Volkstums im neuen demokratischen Staat, erläuterte der Landrat. Und der Sorbenchor gab dem Einheitssozialisten ein Bonbon zurück: "Sorben und Deutsche werden im gemeinsamen Wohngebiet der Lausitz für ein einheitliches demokratisches Deutschland wirken."
Als die vier Außenminister in London noch zusammensaßen, hieß es anders. Der "Nationalrat der Lausitzer Sorben" schickte ihnen ein Gesuch und bat um die Errichtung eines autonomen Sorbenstaates. Daß die meisten seiner führenden Männer bei der SED Mitglieder waren, gab keinen Grund, die Wendenautonomie unter den Tisch fallen zu lassen.
Ein eigenes Publikationsorgan haben sie schon. Vor gut einem Jahr hat der große, etwas nervöse Sorbenführer Paul Schneider aus Lömischau neben seinen Pflichten als Bauunternehmer auch noch die des Lizenzträgers der "Domowina"-Zeitung "Nowa doba" übernommen.
Die "Domowina"*), die sich die Betreuung der in der sächsischen Lausitz wohnenden katholischen Wenden angelegen sein läßt, hatte schon einmal ein eigenes Organ; aber 1933 wurde ihr "Serbska Nowiny" verboten. Das war nicht die einzige Unterdrückungsmaßnahme der Hitlerregierung gegen die kleine sorbische Volksgruppe: die "Wendische Volksbank" wurde aufgelöst, Paul Schneider ins KZ Hohenstein gebracht, und in den letzten Kriegstagen steckte die SS sogar die "Domowina"-Häuser in Brand Auch an den wendischen Dom in Bautzen wurde Feuer gelegt.
Gleich nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches begann der 40jährige Paul Schneider, zusammen mit seinen Freunden die "Domowina" wieder aufzubauen. Mit dem Antrag, sie als politische Partei aufziehen zu dürfen, hatte er bei den Russen kein Glück. Aber über die tschechische Grenze kam die nötige Unterstützung, und heute schätzt man die Zahl der Mitglieder auf fast Hunderttausend. Der Sonderzuteilungen wegen haben sich auch viele Deutsche mit einer wendischen Großmutter Paul Schneiders Bewegung angeschlossen.
Abends, wenn Paul Schneider von seinen Baustellen nach Hause gekommen ist, setzt er sich auf sein Motorrad und fährt die Dörfer ab. In geschickt inszenierten Theater- und Kulturabenden wirbt der Mann mit den fanatisch leuchtenden Augen des besessenen Politikers für seine Ideen. Kein Wort deutsch wird gesprochen. Es geht ganz wendisch zu.
Am Landratsamt in Bautzen, in dem Paul Schneiders nicht minder fanatischer Freund Dr. Ziesche residiert, steht neben dem deutschen und russischen Schild auch der wendische Stadtname Buddissin. Wenn es so kommen sollte, wie es Paul Schneider und Dr. Ziesche vorschwebt, wird Bautzen die Hauptstadt einer autonomen Wendenrepublik unter tschechoslowakischem Protektorat. Die Westgrenze soll kurz vor Dresden verlaufen...
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http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-44415488.htmlmfg
pentium