Schaurig-schön in den Untergang
Der nackte Galerist Lybke, die "Puhdys" beim Abrocken: Die Bilder erlangten Weltruhm - der Fotograf blieb im Schatten. Thomas Steinert hat die Tristesse der sterbenden DDR meisterhaft abgelichtet. Mit der Wende verschwand sein Sujet, jetzt schlägt er sich als Kardinal durch.
Nonchalant räkelt sich das Mädchen mit den langen Zöpfen und dem knappen Jeansröckchen auf der MZ, versonnen bläst es in die Triola. Ein Ständchen für den Teenager in Polohemd und Jeans, der sich vor ihr aufgebaut hat, abwartend, die Hände in die Hüften gestemmt? "Keine Ahnung", sagt Thomas Steinert. Was er da geknipst hat, ist einfach so passiert, vor seinem Fenster. Er brauchte nur die Gardine zu lupfen und auf den Auslöser zu drücken. So wie bei den meisten Aufnahmen.
Komponiert hat der Fotograf seine Bilder nur selten. Er wanderte durch Leipzig, sog in sich auf, was um ihn herum passierte und hielt dann und wann seine alte "Pentacon six" drauf. Kassiererinnen im Reinigungsbad, Bauarbeiter bei der Mittagspause, Senioren beim sonntäglichen Tanztee: Ohne es zu beabsichtigen, hat Thomas Steinert ein Gesellschaftstableau der DDR geschaffen, wie es subtiler, nachdenklicher und unmittelbarer kaum sein könnte.
Niemals hätte es der 58-Jährige für möglich gehalten, dass die Nachwelt seine Fotos als vorweggenommenen Abgesang auf eine zum Scheitern verurteilte Staatsutopie interpretiert. Bis zuletzt habe er an die Reformfähigkeit der DDR geglaubt, sagt er. "Die Fotos habe ich geknipst, damit das Land irgendwann einmal nostalgisch zurückblickt und sagen kann: 'Seht her, das haben wir überwunden'", so Steinert. Dabei war er zu DDR-Zeiten niemals ein aufrechter Sozialist. Ganz anders als seine, wie er sagt, "dunkelroten Urahnen, die seit 1919 in der KPD waren". Im Unterschied zu seinem Vater, kleinbürgerlicher Buchhändler und überzeugtes Parteimitglied, hatte Steinert junior mit der SED nie etwas am Hut - eine Ablehnung, die auf Gegenseitigkeit basierte.
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http://www.spiegel.de/einestages/ddr-fo ... 49115.html