Phillip Springer:Bahnhof der Tränen-Die Grenzübergangsstelle Berlin-Friedrichstraße
ZITAT:
"An gewöhnlichen Bahnhöfen haben gemeinhin die Eisenbahner das Sagen. Am Bahnhof Friedrichstraße war die Situation
eine andere, denn die Mitarbeiter von Reichsbahn, S- und U-Bahn waren fest in das Grenzregime eingebunden und dem
Kommandanten der Grenzübergangsstelle sowie den Passkontrolleinheiten (PKE) unterworfen. Laut der ´Vereinbahrung
über die Verantwortlichkeit und Aufgaben sowie das Zusammenwirken und die Zusammenarbeit auf dem Bahnhof Friedrichstraße´
vom April 1974 hatte die Deutsche Reichsbahn eine ganze Reihe von Pflichten, die zum Teil weit über die übliche
Regulierung des Bahnbetriebs und und die Instandhaltung der Anlagen und des Bahnhofsgebäudes hinausgingen.
Schon solche Kernaufgaben wie die ´Durchführung von Investitionen zur Gewährleistung von Ordnung und Sicherheit´
mussten in Abstimmung mit dem Kommando der Grenztruppen´ erfolgen. Die Reichsbahn war zwar Rechtsträger des
Bahnhofs und der Kommandant nur Nutzer, mit dem die Reichsbahn einen Nutzungsvertrag abgeschlossen hatte.
Das erklärt auch, warum beispielsweise die Ausreisehalle von der Reichsbahn entworfen und errichtet wurde und nicht etwa
von einer Bauabteilung der NVA. Doch dieses Nutzungsverhältnis hatte kaum praktische Relevanz.
Tatsächlich bestimmten die Grenztruppen und das MfS über die Geschicke des Bahnhofs.
Die Einbindung der Reichsbahn in das Grenzregime zeigte sich auch darin, dass sie laut ´Durchsetzung einer straffen Ordnung
im Umgang mit mit aufgefundenen westlichen Druckerzeugnissen´ und für die ´Voranmeldung´ von Abweichungen
des Fahrplans an den Kommandanten. Letzteres betraf den Kernauftrag des Grenzregimes:
DIE VERHINDERUNG VON FLUCHTVERSUCHEN.
Gleiches galt für die detaillierten Vorschriften für den Eisenbahnverkehr von Ost-Berlin in Richtung Friedrichstraße.
Die Züge mussten - bis auf die Kurswagen - ohne Fahrgäste fahren, sie durften nur im gesondert bewachten
Betriebsbahnhof Rummelsburg abgestellt und nur von Reichsbahnbeschäftigten mit Sonderdienstausweis gefahren werden.
Schließlich waren sogar die Halte und Geschwindigkeiten vorgeschrieben. Zwischen Rummelsburg und Bahnhof
Friedrichstraße war ein Zwischenhalt nur am Ostbahnhof gestattet, und die Züge mussten auf dieser Strecke mit
mindestens 30 km/h fahren, damit kein Flüchtling aufspringen konnte.
In den Bahnhof Friedrichstraße durften die Züge dagegen nicht mit mehr als 10 km/h einfahren -offensichtlich aus
Furcht vor einem ohne Halt gen Westen rasenden Zug.
Ausserdem hatten die Reichsbahner die Aufgabe, die Aufzüge für Rollstuhlfahrer und Schwerbehinderte zu und von den
Bahnsteigen zu bedienen. Richtung Westen fand dies unter Aufsicht der Grenzkontrollkräfte statt, die den Strom
für die Züge erst einschalteten, nachdem sie die Ausweise der Reisenden begutachtet hatten.
Diejenigen, die im Westteil des Bahnhofs arbeiten durften, benötigten spezielle Sonderausweise:
die Betreuungskarten. Sie erhielten sie im Tausch gegen ihren Dienstausweis vor Arbeitsbeginn in der
Dienstauftragsstelle, die sich in der oberen Haupthalle des Bahnhofs befand und wegen der dort verwahrten
Betreuungsdokumente über besondere Alarmanlagen verfügte. Hier lag dem ausgebenden Mitarbeiter der
Einsyatzplan vor, sodass er überprüfen konnte, ob der jeweilige Reichsbahner tatsächlich zum Gang in den Westteil befugt war.
Von der Dienstauftragsstelle der Reichsbahn mussten die Mitarbeiter dann zum Diensteingang, den auch alle anderen
Beschäftigten des Westteils nutzten. An dieser Stelle wurden sie nochmals von Mitarbeitern der PKE (MfS) kontrolliert.
Nach Rückkehr von ihren Einsatzorten mussten die Beschäftigten die Betretungskarte wieder gegen ihren
Dienstausweis zurücktauschen" Ende des Zitats!
Gruß W. T.