Gespräch mit Miklós Németh, dem ungarischen Ministerpräsidenten zur Zeit der Grenzöffnung
„Wir ließen den Eisernen Vorhang kurzerhand wieder aufbauen”Das Interview fand an einem heißen Julitag auf der lauschigen Terrasse des Sommerhauses der Némeths am „Ungarischen Meer”, dem Balaton, statt. Im Hintergrund der türkisblau schimmernde Plattensee und die bukolische Hügellandschaft der Halbinsel Tihany, auf dem Tisch ein frischgebackener Topfenkuchen mit der dazu passenden hausgemachten Pfirsichmarmelade der Frau des Gastgebers, daneben ein Krug Cabernet Sauvignon, der aus dem Weingut Hudák von „nebenan” stammt. Ideale Rahmenbedingungen also für ein anregendes Gespräch.Laut Németh hatte Bundeskanzler Helmut Kohl Tränen in den Augen, als er von der Grenzöffnung erfuhr.
Sprechen wir nun vom Prozess der Grenzöffnung. Ist es wahr, dass der Eiserne Vorhang abgebaut wurde, weil in Ungarn wegen der hohen Verschuldung des Landes die Staatskasse leer war und es schlicht keine Mittel mehr gab, das Signalsystem entlang der Grenze aufrechtzuerhalten?
So war es. Ich möchte aber insgesamt drei Gründe nennen, die zum Abbau des Eisernen Vorhangs führten. Erstens: Das Land stand tatsächlich am Rande der Pleite. Im Mai 1989 musste der damalige Finanzminister László Békesi ein Notbudget einreichen, weil die Lage so prekär war. Zweitens: Ich erachtete es Ende des 20. Jahrhunderts schlichtweg für anachronistisch, den Eisernen Vorhang aufrechtzuerhalten. Es gab ja schon andere, modernere Methoden, um die Grenzen zu sichern. Schließlich gab es die gemeinsame österreichisch-ungarische Bewerbung für die Weltausstellung 1995. Wir dachten uns: Was würden die vielen ausländischen Besucher der Expo wohl denken, wenn sie von Wien nach Budapest reisen und an der Grenze den furchterregenden Stacheldraht sehen. Die Japaner würden vermutlich gleich knipsen und diese Bilder dann mit nach Hause nehmen. Beim Abbau des Eisernen Vorhangs spielten also sowohl wirtschaftliche als auch Image-Erwägungen ein Rolle.
Wer war der erste ausländische Politiker, der von Ihrer Absicht erfuhr, den Eisernen Vorhang abzubauen, wohl Michail Gorbatschow?
Nein, es war der damalige österreichische Bundeskanzler Franz Vranitzky. Nachdem ich Ende November 1988 Ministerpräsident geworden war, trat ich meine erste Dienstreise nicht nach Moskau an, wie es bis dahin üblich gewesen war, sondern nach Österreich. Wir trafen uns mit Vranitzky in Rust und Nagycenk (ungarischer Grenzort; Anm.). Und bei diesem Treffen teilte ich ihm mit, dass wir die Grenzanlagen zu Österreich abbauen werden.
Und Sie reisten tatsächlich erst danach zu Michail Gorbatschow nach Moskau?
Ja, so war es. Ich reiste damals mit einem Fünf-Punkte-Programm nach Moskau (5. März 1989; Anm.), darunter die Forderung eines Abzugs der Sowjettruppen mitsamt dem Abtransport der sowjetischen Waffen aus Ungarn, die Ankündigung des Abbaus des Eisernen Vorhangs, der Einführung eines Mehrparteiensystems und der Aufnahme von diplomatischen Beziehungen zu Israel, Südkorea, Südafrika, Chile und dem Vatikan. Ich versuchte Michail deutlich zu machen (Németh pflegt bis heute Kontakt zu Gorbatschow; Anm.) dass die rund 80.000 sowjetischen Soldaten nicht mehr lange tragbar sein würden, sollte in Ungarn ein Mehrparteiensystem entstehen.
Wie reagierte Gorbatschow darauf?
Er versicherte mir, dass die schändlichen Ereignisse von 1956 sich nicht wiederholen würden. (Damals marschierten sowjetische Truppen in Ungarn ein, um den ungarischen Volksaufstand und die Demokratiebestrebungen des Landes blutig niederzuschlagen; Anm.)
Was sagte er zum beabsichtigten Abbau des Eisernen Vorhangs?
„Das ist Deine Entscheidung und Verantwortung, Miklós. Mir ist es egal.” Wie gesagt, es ging damals darum, die Sicherung der Westgrenze technisch anders zu lösen.
Gorbatschow legte Ihnen demnach keine Steine in den Weg.
http://www.budapester.hu/2014/08/30/wir ... -aufbauen/Ein interessantes Interview mit erstaunlichen Details.
" Der Interessierte "