Garnisonkirche
Hitler, DDR-Erbe und die Religion spalten Potsdam
Der Streit über den Wiederaufbau der Garnisonkirche, wo die Nazis Preußen vereinnahmten, zeigt die Zerrissenheit der Stadt zwischen SED-Nostalgikern und zugezogenen Westlern. Die Politik kapituliert.Dies ist keine Posse. Auch wenn es nach Posse aussah, was am Mittwoch in der Potsdamer Stadtverordnetenversammlung passierte. Aber der Streit über den Wiederaufbau der Garnisonkirche ist eine Auseinandersetzung über Grundsatzfragen, die sowohl Brandenburg als auch die Gesamtgesellschaft betreffen. Deshalb sei die Stadtverordnetenversammlung der brandenburgischen Landeshauptstadt erst einmal zurückgestellt.
Die erste Grundsatzfrage ist die nach der Sichtbarkeit von Religion. Fast 90 Meter hoch war der Turm der barocken Garnisonkirche, die 1735 auf Befehl des preußischen Soldatenkönigs Friedrich Wilhelm I. errichtet wurde und die Potsdamer Silhouette gut 200 Jahre lang religiös prägte. Bis 1968 die Überreste der im Zweiten Weltkrieg stark zerstörten Kirche vom SED-Regime der DDR gesprengt wurden.
Ganz neu sichtbar gemacht würde das Christentum durch die Wiedererrichtung der Kirche. Dafür setzt sich seit 2008 die kirchliche Stiftung Garnisonkirche Potsdam ein. In ihrem Kuratorium sind unter anderem die Evangelische Landeskirche Berlin-Brandenburg und die EKD vertreten, genauso die Stadt Potsdam und das Land Brandenburg.
Potsdam ist weithin religionslosKuratoriumsvorsitzender ist der ehemalige EKD-Ratsvorsitzende Altbischof Wolfgang Huber, zu den Unterstützern zählen Altbundespräsident Richard von Weizsäcker und der frühere brandenburgische Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD). Neben dem Einsatz für Kunst und Kultur, Toleranz und Völkerverständigung hat sich die Stiftung auch die Förderung von Religion zum Ziel gesetzt.
Doch hiergegen hat sich in Potsdam, einer in DDR-Zeit weithin entkirchlichten Stadt mit einem Protestantenanteil von heute 15 Prozent, eine Initiative "Für ein Potsdam ohne Garnisonkirche" gebildet. Die Initiative sieht an diesem Ort keinen Bedarf für einen Sakralraum. Sie sammelte bei einem Bürgerbegehren in der 160.000-Einwohner-Stadt 14.285 Stimmen, die eine Auflösung jener Stiftung fordern.
Hitler vereinnahmte hier PreußenNoch mehr aber als um die Sichtbarkeit von Religion geht es um den Umgang mit vergifteter deutscher Geschichte. Denn in der Garnisonkirche, die im 19. Jahrhundert zu einem Zentralsymbol des preußischen Staates wurde, vereinnahmten die Nationalsozialisten eben dieses Preußen.
Am "Tag von Potsdam", dem 21. März 1933, reichten Adolf Hitler und Reichspräsident Paul von Hindenburg hier einander feierlich die Hände. Hochsymbolisch wurde damit ein Bündnis geschlossen, mit dem die Nazis die preußische Militärtradition in den Dienst an Vernichtungskriegen zwangen.
Die Stiftung für die Wiedererrichtung will diese Geschichte durch Ausstellungen, Diskussionen und eine Versöhnungskapelle im Turm kritisch aufarbeiten und zum Frieden in Freiheit beitragen. Das aber, so meinen die Gegner, könne durch den Wiederaufbau gerade nicht erreicht werden. Vielmehr solle ein "Symbol von Macht-, Kriegs- und Herrschaftsromantik" entstehen.
Zugezogene gegen AlteingesesseneDer Begriff "Romantik" führt dabei zum nächsten Konflikt, der hinter dem Streit steckt. Der ist ein spezifisch Brandenburgischer und hat viel mit der DDR sowie den Wandlungsprozessen im Berliner Speckgürtel zu tun. Denn die Kritiker des Projekts haben den Verdacht, dass es beim Wiederaufbau um einen schönen Schein gehe, um eine romantisch-historisierende Idyllisierung, die schon beim Wiederaufbau des als Landtag genutzten Stadtschlosses betrieben worden sei und den eingesessenen Bewohnern oktroyiert werde – von Zugezogenen.
Potsdam ist eine gespaltene Stadt. Was daran liegt, dass es von allen Städten Ostdeutschlands am stärksten wächst. Binnen sechs Jahren gewann die Stadt mehr als 10.000 Einwohner hinzu. Hierzu trugen sowohl die vielen Studenten bei – insgesamt rund 24.000 – als auch viele junge Familien mit Bindung ans nahe Berlin. Diese Familien haben sich vor allem im Stadtteil Babelsberg angesiedelt, dem "Prenzlauer Berg von Potsdam".
Altbewohner halten jene Zugezogenen für Latte Macchiato trinkende Grünen-Wähler mit eigenem Haus und amerikanischem Van, die ihren Nachwuchs im kirchlichen Kindergarten anmelden. Nicht von hier ist auch die Spitze der Stadtverwaltung. Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) wuchs in Niedersachsen auf und begann seine Verwaltungskarriere in Spandau, im tiefsten Westen Berlins.
DDR-Nostalgiker gegen neue EliteInnerhalb Potsdams lässt sich von einer informellen Demarkationslinie sprechen. Die vor allem aus Westdeutschland Zugezogenen leben im Norden der Stadt, die Altbewohner meist im Süden. Im Süden ist der Anteil der Senioren hoch, genauso der von Linke-Wählern. Die Linke, die bei der Kommunalwahl mit 25 Prozent stärkste Partei in der Gesamtstadt wurde, holte im südlichen Wahlkreis sechs nicht weniger als 41 Prozent.
So stößt in Potsdam, wo einst unter anderem die Juristische Hochschule der DDR-Staatssicherheit beheimatet war, die alte Nomenklatura der Diktatur auf die neue Elite der Demokratie und der Marktwirtschaft, also auf die gut verdienenden Neubürger aus dem Westen. Die verschiedenen Milieus existieren getrennt voneinander.
In Teilen der Stadt halten alte Stasi-Leute und SED-Genossen einander die Treue, während in Babelsberg, wo nicht wenige katholische Neubürger leben, für die Fronleichnamsprozession die Straße gesperrt wird. Und jetzt wollen, so mutmaßen viele Alteingesessene, auch noch die evangelischen Zugezogenen die Garnisonkirche wiedererrichten.
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