"Wandel durch Annäherung"

Themen zu diplomatischen Beziehung zwischen beiden deutschen Staaten

Re: "Wandel durch Annäherung"

Beitragvon Interessierter » 23. April 2014, 07:04

1974 Sturz ohne tiefen Fall

Vor 40 Jahren trat Willy Brandt wegen der Affäre um Günter Guillaume zurück. Was war der wahre Grund: War der Kanzler nur amtsmüde oder wurde er von Wehner abserviert?


Amtsmüdigkeit als eigentlicher Grund

Vielfach werden die damaligen Geschehnisse bis heute so gedeutet, dass die Affäre Guillaume nur der letzte Anlass für den Rücktritt gewesen sei. Brandt habe amtsmüde gewirkt. Wer nach Indizien hierfür suchen will, kann bis zum Abend der Bundestagswahl vom 19. November 1972 zurückgehen. Nach einer glänzenden Kampagne, die ganz auf Brandt abgestellt war, hatte die SPD einen triumphalen Sieg erkämpft. Erstmals stellte sie die größte Fraktion. Doch als Brandt vor die Mikrofone trat, schien er bleiern, fast unfroh. Bald danach wurde er krank und musste seine Stimmbänder schälen lassen, die Verhandlungen über die Regierungsbildung fanden ohne ihn statt. Ein Papier an Wehner mit Richtlinien verschwand irgendwie in dessen Aktentasche. Die FDP – mit Leihstimmen gerade so gerettet – setzte sich bei den Koalitionsgesprächen in Personalfragen weitgehend durch.

Mit Brandts Sturz begann sein neuer Aufstieg. 1976 wurde er Präsident der Sozialistischen Internationale. Er blieb Vorsitzender der SPD und hat sie geführt wie vor ihm nur August Bebel oder Kurt Schumacher und nach ihm keiner mehr. Unbeschädigt von den Zumutungen, die Helmut Schmidt der Partei antat, wurde Willy Brandt nach seinem Verzicht auf das Kanzleramt endgültig zum Idol.

Der ganze Beitrag hier:
http://www.freitag.de/autoren/der-freit ... iefen-fall

Brandt wird für mich persönlich immer ein bedeutender deutscher Politiker und eine große, menschliche Persönlichkeit bleiben, der sich um die Wiedervereinigung unseres Vaterlandes und der Aussöhnung mit unseren östlichen Nachbarn verdient gemacht hat.

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Re: "Wandel durch Annäherung"

Beitragvon Interessierter » 2. Februar 2015, 12:19

Der Mythos vom Verrat. Wehners Ostpolitik und die Irrtümer von Egon Bahr

Egon Bahr wirft in seinem neuen Buch Herbert Wehner "eine Art Hochverrat" in der Deutschlandpolitik vor. Doch Bahr irrt, so Wehners Biograf Christoph Meyer. Weder unterhielt der SPD-Fraktionsvorsitzende Geheimkontakte zu Honecker noch hatte er Brandt hintergangen. Vielmehr war Wehner schon in den 1950er Jahren einer der Vordenker der Ostpolitik.

Angriffsflächen und Anschuldigungen
Herbert Wehner (Dresden 1906 – Bonn 1990) hatte ein aufbrausendes Temperament. Sein Auftreten wirkte radikal – auch wenn der SPD-Politiker in seiner zweiten Lebenshälfte alles andere als ein politischer Radikaler war. Von 1949 bis 1969 war er der deutschlandpolitische Experte der Sozialdemokraten, zunächst als Ausschussvorsitzender im Bundestag, dann, ab 1966 in der Großen Koalition, als Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen.

"Sie werden mir doch dort von allen Seiten manchmal täglich die Haut bei lebendigem Leibe abreißen", prophezeite Wehner, als der SPD-Vorsitzende Kurt Schumacher ihn 1949 drängte, für den Bundestag zu kandidieren.[1] Als führender KPD-Funktionär hatte Wehner im schwedischen Gefängnis mit dem stalinistischen Kommunismus gebrochen. Nach Kriegsende stellte er sich als freiheitlicher Sozialist in den Dienst der Sozialdemokratie. Dieser Wandel bot Angriffsflächen; er diente als Anlass zu Verdächtigungen.

Mit seiner Vergangenheit und seinem Temperament wirkte Wehner polarisierend. Das galt besonders in Zeiten innenpolitischer Konfrontation, also in den 1950er Jahren, als die SPD in Opposition zu Adenauers Politik der Westbindung stand – und erneut in den 1970er Jahren, als sich die CDU/CSU scharf gegen die Brandt’sche Ostpolitik wendete. Als Fraktionsvorsitzender im Bundestag von 1969 bis 1983 zog Wehner die Pfeile der politischen Gegner auf sich.

So kam es, dass Verleumder schon zu seinen Lebzeiten versucht haben, Herbert Wehners politisches und menschliches Werk herabzuwürdigen. Das Spektrum reicht dabei von ganz links bis ganz rechts. Die Vorwürfe der verschiedenen Lager sind meist austauschbar. Demnach sei Wehner zeitlebens ein Verräter gewesen, wahlweise am Kommunismus oder an der Demokratie, ein Karrierist mit dunklen Zielen, heimlich im Hintergrund die Strippen ziehend.

Nun bezichtigt in seinen "Erinnerungen an Willy Brandt", dessen ehemaliger Berater Egon Bahr Wehner des Hochverrats.[2] Er wiederholt und erweitert damit Vorwürfe, die er schon 1996 in seinen Memoiren "Zu meiner Zeit" erhoben hat. Anhand der damals schon zugänglichen Quellen hat Heinrich Potthoff 1997 nachgewiesen: Bahrs Verratsvorwurf an Wehner ist "ein gravierender Irrtum".[3] Zum gleichen Schluss bin ich in meiner Biografie "Herbert Wehner" gekommen. Dort wird die Geschichte der Deutschlandpolitik Herbert Wehners in ihrem Gesamtkontext erzählt.

Weiter mit dem sehr langen; aber nicht minder interessanten Beitrag hier:
http://www.bpb.de/geschichte/zeitgeschi ... -egon-bahr

Der Bericht wirft natürlich große Zweifel an Bahrs Schilderungen auf.

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Re: "Wandel durch Annäherung"

Beitragvon pentium » 2. Februar 2015, 13:16

Beitrag gelöscht, weil er nichts mit dem Thema zu tun hat!

mfg
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Re: "Wandel durch Annäherung"

Beitragvon tom-jericho » 2. Februar 2015, 13:34

pentium hat geschrieben:Beitrag gelöscht, weil er nichts mit dem Thema zu tun hat!

mfg
pentium


AZ hatte eine Frage gestellt, und ich habe sie an einem Beispiel eindeutig dargelegt.

Was war denn daran nicht zu verstehen?
tom-jericho
 

Re: "Wandel durch Annäherung"

Beitragvon pentium » 2. Februar 2015, 13:38

Auf eine Frage vom 23. Mai 2013
braucht man nicht mehr zu antworten und dein Beispiel hat absolut nichts mit dem Thema zu tun!

pentium
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Re: "Wandel durch Annäherung"

Beitragvon Interessierter » 9. November 2020, 10:34

Wandel durch Anbiederung?

Über die Anpassung des Alleinvertretungsanspruches der Bundesrepublik an die Realpolitik

Am 7. April 1954 bekräftigte Bundeskanzler Adenauer in einer Regierungserklärung den Alleinvertretungsanspruch der Bundesregierung. Damit reagierte er auf die Proklamation der Souveränität der DDR durch die sowjetische Regierung vom 25. März 1954.

Im Kern besagte der Alleinvertretungsanspruch den Adenauer formulierte, dass sich die Bundesregierung berufen und legitimiert fühlte, auch die Interessen der Deutschen in der DDR international zu vertreten, solange ihnen ein wirkliches Selbstbestimmungsrecht vorenthalten wurde.

Aufgrund dieses Anspruchs wurden alle offiziellen Kontakte mit dem SED-Regime abgelehnt. Die 1955 formulierte Hallstein-Doktrin war die wichtigste außenpolitische Konsequenz die dem Alleinvertretungsanspruch folgte: Bonn drohte jedem Staat, der die DDR anerkannte, mit dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen. Zu den Assoziationen an den Begriff und den Sachverhalt gehört für Zeitgenossen auch das Gegenstück aus „Pankow“: die „Alleinvertretungsanmaßung“. Seit die DDR im Ostblock als eigenständiger, souveräner Staat galt, musste die SED konsequenterweise den Bonner Anspruch nachdrücklich zurückweisen.
Auch diejenigen, die diese polemischen Vokabeln nie benutzt haben, können heute darüber nachdenken, dass das Ende der DDR das Urteil über diesen Gegenstand erheblich tangiert und zumindest partiell verändert hat. Er muss also historisiert werden!

Mehr dazu erfährt man hier:
https://zeitgeschichte-online.de/node/21074

Damit hatten Brandt und Bahr den Untergang der DDR eingeleitet.
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Re: "Wandel durch Annäherung"

Beitragvon Interessierter » 18. November 2020, 09:33

Das Ende der Ostpolitik - Zur Kritik eines deutschen Sonderweges

Der russische Einmarsch in die Ukraine hat die Ära der Ostpolitik beendet. Ihr Scheitern ist offensichtlich und dramatisch: Von der Besetzung der Krim, über den von Moskau angestifteten wilden Krieg im Donbass, bis zum Einmarsch regulärer russischer Einheiten reicht die Kette strategischer Triumphe Moskaus, die zugleich Niederlagen der Ukraine, aber auch des Westens und insbesondere Berlins sind. Denn keine andere westliche Regierung pflegt so enge Beziehungen mit Moskau. Doch ohne Erfolg: Ihre Ziele – Frieden, Sicherheit, Stabilität und Ausgleich in Europa – hat die deutsche Ostpolitik allesamt verfehlt. Sie steht vor einem Trümmerhaufen.

Die deutsche Ostpolitik ist ein Kind des Kalten Krieges. Die sozial-liberale Koalition unter Willy Brandt versuchte der globalen Konfrontation, die Deutschland teilte, die Schärfe zu nehmen. Bonn war bereit, Regime und Grenzen anzuerkennen, um Entspannung zu stiften. Die Verträge mit Moskau, Warschau und Ost-Berlin schufen das Fundament für bessere Beziehungen. Sie zementierten jedoch die Moskauer Hegemonie östlich der Elbe. In der Bundesrepublik wurden die Ostverträge bald als Geste der Versöhnung positiv bewertet. Mit der Ostpolitik, so schien es, verfügte Bonn über ein Instrument, das den Kalten Krieg beherrschbar machte. Und wer die détente kritisierte, wurde fortan als Scharfmacher gebrandmarkt.

Tatsächlich zeigte sich schon früh, dass die Ostpolitik nur bedingt in der Lage war, Spannungen zu entschärfen. Sie verhinderte weder den sowjetischen Einmarsch in Afghanistan noch die polnische Krise zu Beginn der 1980er Jahre. Der beschworene Wandel durch Annäherung – ein Hauptargument der Architekten der Ostpolitik – blieb aus. Im Gegenteil: Die Menschenrechtslage im Ostblock verschlechterte sich, und die Repressionsapparate wurden ausgebaut. Von der Ostpolitik blieben der kurze Draht Bonns zu Moskau, das einträgliche Sowjetuniongeschäft sowie das Gefühl größerer Erwartungssicherheit für die Westdeutschen.

Auf dem Weg zur deutschen Einheit hat Bonn sicherlich von seinen guten Beziehungen zu Moskau profitiert. Doch zum Ende des Kalten Krieges hat die Bundesrepublik nicht maßgeblich beigetragen. Es war die Entscheidung des Kremls, eine Auseinandersetzung zu beenden, die er weder gewinnen noch finanzieren konnte.
Dennoch nahmen die Protagonisten der Ostpolitik stets für sich in Anspruch, den Weg zum friedlichen Systemwechsel geebnet zu haben. Nach 1991 hat sich das souveräne Deutschland entschlossen, seine Beziehungen zu Russland noch weiter auszubauen. Und wieder wurde die Idee eines Wandels durch Annäherung bemüht, um eine Verflechtung zu rechtfertigen, die von den Verbündeten oft beargwöhnt wurde. Die Kontinuität deutscher Ostpolitik sollte Europa helfen, den Risikofaktor Russland zu beherrschen. Selbst als sich spätestens Ende der 1990er Jahre abzeichnete, dass der Aufbau eines Rechtsstaates in Moskau nicht weiterverfolgt wurde, hielt Berlin nicht nur an seiner Ostpolitik fest, sondern baute sie sogar noch weiter aus. Die North Stream Pipeline – gegen den Protest Polens verwirklicht – steht symbolisch für eine Außenpolitik, die kaum Rücksicht auf Warschau, Riga oder Tallinn nahm. Mit der überstürzten „Energiewende“ vergrößerte sich die Abhängigkeit von Russland nochmals – und das obwohl der Kreml mehrfach bewiesen hat, dass er Gas als politische Waffe einsetzt. Geo- und energiepolitisch hat North Stream den russischen Einmarsch in die Ukraine erst möglich gemacht – auch dies ist ein Vermächtnis der Ostpolitik.

Um an seiner Ostpolitik festzuhalten, hat Berlin in den letzten zwei Jahrzehnten die Warnsignale von Tschetschenien bis Georgien ebenso ignoriert wie den autoritären Umbau des russischen Staates. Die „Modernisierungspartnerschaft“ sollte um jeden Preis weiterverfolgt werden. Warnungen aus Polen oder dem Baltikum wurden als Unkenrufe abgetan. Durch diese Haltung gerieten Deutschland und Europa in eine Position der Schwäche, in der wir uns gegenwärtig befinden. Und wie zu Beginn der 1980er Jahre zeigt sich im Jahr 2014, dass die deutsche Ostpolitik nicht krisenfest ist. Sie beruht auf einer Prämisse, die keiner Überprüfung standhält: der Reziprozität in den bilateralen Beziehungen. Die Regierung Merkel ging davon aus, dass eine ökonomische Verflechtung Moskau zu moderater Politik verpflichten würde. Dabei wiesen sowohl die autoritäre Entwicklung im Innern als auch die Außenpolitik Moskaus im letzten Jahrzehnt darauf hin, dass eine Konfrontation mit dem Westen bevorsteht. In der Ukrainekrise zeigte sich, wie gering der Einfluss Berlins ist. Die wechselseitigen Verflechtungen haben den Kreml nicht an einer militärischen Expansion gehindert. Berlin hat jedoch selbst dann an seiner Ostpolitik festgehalten, als ihr Scheitern schon manifest war. Dabei haben die privilegierten Beziehungen zwischen Berlin und Moskau die europäische Stabilität nicht erhalten, sondern untergraben. Sie ließen den Westen gespalten und schwach erscheinen.

Selbstverständlich trägt der Kreml die Verantwortung für den Krieg in der Ukraine. Doch Berlin trifft ein gehöriges Maß an Schuld für die schwierige Lage Deutschlands und Europas: Zu lange ist das Auswärtige Amt bequemen Denkmustern gefolgt, zu viel wurde beschwichtigt, zu tief ging die Verflechtung mit einer Macht, auf die wir letztendlich keinen Einfluss haben.

Die Ostpolitik war und ist in Deutschland populär, weil sie der Öffentlichkeit die Illusion von Sicherheit, Frieden und Stabilität bot. Das Label „Friedenspolitik“ überhöhte sie moralisch. Konflikte sollten in Europa der Vergangenheit angehören. Dieses Wunschdenken galt so lange bis der Kreml nicht mehr Worte, sondern Waffen sprechen ließ, und ein Berlin, das keine Alternativen zur moskaufixierten Ostpolitik besaß, staunend zurückließ. Selbst aus einer Folge von Treffen und Telefonaten entstand kein Dialog. Moskau hatte längst andere Prioritäten gesetzt.

Jetzt gilt es, darüber nachzudenken, wie Berlin, Brüssel und der Westen die Initiative zurück erlangen können, wie sie Moskaus Optionen beschneiden, die Souveränität der Verbündeten schützen, Abhängigkeiten beenden, vor allem aber Frieden und Sicherheit in Europa wiederherstellen können. Die Ostpolitik alter Schule hat ausgedient, doch für die Fehler der Vergangenheit werden wir bezahlen. Berlins Sonderbeziehung zu Moskau war ein historischer Irrweg. Neue Ideen sind nun gefragt: Vor Deutschland und Europa liegen schwere Entscheidungen.

https://zeitgeschichte-online.de/node/24811

Diesem Bericht aus 2014 könnte ich zustimmen, wenn er auch auf die Fehler und Versäumnisse des Westens hingewiesen hätte. Diese rechtfertigen aber auf keinen Fall die Annexion der Krim und weiteres Agieren dort.
Interessierter
 

Re: "Wandel durch Annäherung"

Beitragvon Interessierter » 13. September 2021, 10:43


Vor 45 Jahren: Breschnew und Brandt baden gemeinsam auf der Krim


Am 16. September 1971 empfing Leonid Breschnew Willy Brandt in Simferopol, bewirtete ihn dort mehrere Stunden, um ihn, wie Brandt der festen Überzeugung war, „unter den Tisch zu trinken“,[1] und fuhr dann mit ihm für ein ganzes Wochenende auf seine Regierungsdatscha Oreanda auf die Krim.


Breschnew holte nach, was ihm ein Jahr zuvor bei der Unterschrift der Moskauer Verträge verwehrt geblieben war, weil er „nur“ Generalsekretär der KPdSU, nicht aber Regierungsmitglied war: Brandt persönlich vom Flughafen abzuholen und sein alleiniger Gastgeber zu sein. Was es Breschnew 1971 ermöglichte, die Regierungsmitglieder auszuschließen, war für die westdeutsche Presse Stein des Anstoßes: Es war ein „inoffizieller Besuch“ ohne Protokoll, ein Arbeitstreffen, auf dem Brandt und Breschnew sich zwar in insgesamt 16 Stunden über alle aktuellen Probleme der Weltpolitik austauschten, außer einem gemeinsamen Kommuniqué aber nichts veröffentlichten.

Besonders anstößig fanden die Kritiker der neuen Ost-Politik, dass Brandt sich in legerer Freizeitkleidung zeigte, eine Bootspartie mit Breschnew unternahm und schließlich mit ihm gemeinsam in dessen Meerwasser-Schwimmbad stieg, Brandt also gleichsam vor Breschnew „politisches Striptease“ vollführte. Die Presse erfuhr zum Glück nicht, was Breschnews Fotograf Musaeljan berichtete: Breschnew lieh Brandt eine Badehose aus. Da die Öffentlichkeit ausgeschlossen blieb, sprachen nur die Fotos, die zwei Männer zeigten, die sich angeregt unterhielten und Kette rauchten, zusammen Boot fuhren und badeten und sich offenbar bestens verstanden. Für Breschnew war dies nicht nur ein Badewochenende, sondern eine „historisch wichtige Begegnung“, die in die „europäische Geschichte“ eingehen würde.

Diplomatisch war das Treffen auf der Krim eigentlich eine Kuriosität; der wichtige Vertrag über die Anerkennung der Oder-Neiße-Linie und damit der DDR war ein Jahr zuvor von Brandt und Ministerpräsident Kossygin unterschrieben worden. Aber Breschnew hatte seine eigene Agenda: Er wollte Europa um jeden Preis eine neue Friedensordnung geben. Dafür hatte er mit viel Aufwand den KSZE-Prozess in Gang gesetzt. Nun ging es darum, Vertrauen aufzubauen und sich selbst als „westlichen Staatsmann“ zu präsentieren.
Auf keinen Fall wollte er als Repräsentant des Kommunismus oder der „aggressiven Sowjetunion“ wahrgenommen werden, sondern als ein Mann, fast schon ein „Kerl“, der schnelle Autos und schöne Frauen liebte, der Wert auf gute Kleidung legte und die legere Gesellschaft suchte, die er, wie Brandt, schon mal mit antisowjetischen Witzen unterhielt.

Der interessante Beitrag geht hier weiter:
https://zeitgeschichte-online.de/node/41459
Interessierter
 

Re: "Wandel durch Annäherung"

Beitragvon augenzeuge » 20. September 2021, 09:02

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