Frage zum deutsch-deutschen Reiseverkehr, 1950-er Jahre

Frage zum deutsch-deutschen Reiseverkehr, 1950-er Jahre

Beitragvon Gerd Böhmer » 30. Mai 2021, 08:14

Morgens Allerseits,

In der Diskussion über den deutsch-deutschen Reiseverkehr in den 1950-er Jahren unter https://www.drehscheibe-online.de/foren/read.php?017,9739513 wurde folgender Beitrag verfasst:

Zur Erinnerung: ab 01.04.1951 war DDR-Bürgern ...
... ohne eine dauerhafte Ausreise aus der DDR die Einreise aus Besuchsgründen in die Bundesrepublik (Westdeutschland) verboten. Im Dezember 1960 wurde im Bundeskabinett unter Konrad Adenauer das sogenannte "Ein- und Ausreisegesetz" verabschiedet. Es sah vor, dass selbst Westberliner wegen der offenen Grenze zum Ostsektor für eine Reise nach Westdeutschland ein Visum benötigen. Die Provokation Adenauers vom Dezember 1960 hat acht Monate später Früchte getragen.
Wer sich einmal intensiver mit der Geschichte der 1950-er Jahre beschäftigt, stellt sehr schnell fest, wer da damals der Spalter war - und da auch nie einen Hehl draus gemacht hat: Konrad Adenauer. Der katholisch dominierte Weststaat, der Rheinland-Staat war sein Lebensziel und sein Lebenswerk. Und da hat er alles erreicht.


Daraus ergibt sich verständlicherweise die Frage, was ist da an historischer Wahrheit enthalten ?
MfG Gerd Böhmer,
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Re: Frage zum deutsch-deutschen Reiseverkehr, 1950-er Jahre

Beitragvon Sperrbrecher » 30. Mai 2021, 09:20

Gerd Böhmer hat geschrieben:Im Dezember 1960 wurde im Bundeskabinett unter Konrad Adenauer das sogenannte "Ein- und Ausreisegesetz" verabschiedet. Es sah vor, dass selbst Westberliner wegen der offenen Grenze zum Ostsektor für eine Reise nach Westdeutschland ein Visum benötigen.

Wo hast Du denn diesen Unsinn her?

Aus eigen Erleben weiß ich, dass weder beim Abflug in Berln-Tempelhof, noch am
Ankunftsflughafen in der Bundesrepublik eine Ausweiskontrolle stattgefunden hat.
Zuletzt geändert von Sperrbrecher am 30. Mai 2021, 09:25, insgesamt 1-mal geändert.
In der DDR wussten 90% der Bevölkerung, dass sie verarscht werden.
In der Bundesrepublik haben es 90% der Wähler immer noch nicht gemerkt.
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Re: Frage zum deutsch-deutschen Reiseverkehr, 1950-er Jahre

Beitragvon Volker Zottmann » 30. Mai 2021, 09:23

Fest steht, dass die DDR in den 1950er Jahren noch die Einheit beider deutschen Teilstaaten zum Ziel hatte. Man kann es auch dem damals noch gültigen Text der DDR-Nationalhymne entnehmen.
Boykottiert hat dies zu vorderst Adenauer und Gefolge.

Selbst als Stalin verschwunden war und in der Sowjetunion eine leichte Abkehr seiner Politik erfolgte, wäre eine Einheit noch möglich gewesen. Verhindert hat die damals der Westen, kein Anderer. Dazu kam dann die westliche wirtschaftliche Überlegenheit. Aus der folgte der massive Exodus mit 3 Millionen geflohener Ostdeutschen.
Die Situation trieb den Ulbricht auch zum Mauerbau und seiner verlogenen Politik.

Gruß Volker
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Re: Frage zum deutsch-deutschen Reiseverkehr, 1950-er Jahre

Beitragvon pentium » 30. Mai 2021, 09:29

Sperrbrecher hat geschrieben:
Gerd Böhmer hat geschrieben:Im Dezember 1960 wurde im Bundeskabinett unter Konrad Adenauer das sogenannte "Ein- und Ausreisegesetz" verabschiedet. Es sah vor, dass selbst Westberliner wegen der offenen Grenze zum Ostsektor für eine Reise nach Westdeutschland ein Visum benötigen.

Wo hast Du denn diesen Unsinn her?

Aus eigen Erleben weiß ich, dass weder beim Abflug in Berln-Tempelhof, noch am
Ankunftsflughafen in der Bundesrepublik eine Ausweiskontrolle stattgefunden hat.


Der "Unsinn" steht im o.g. Thread des Drehscheibe Online Forums und wurde vom User @Zauberer verfasst.
*Dos Rauschen in Wald hot mir'sch ageta, deß ich mei Haamit net loßen ka!* *Zieht aah dorch onnern Arzgebirg der Grenzgrobn wie ene Kett, der Grenzgrobn taalt de Länder ei, ober onnere Herzen net!* *Waar sei Volk verläßt, daar is net wert, deß'r rümlaaft of daaner Erd!*
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Re: Frage zum deutsch-deutschen Reiseverkehr, 1950-er Jahre

Beitragvon augenzeuge » 30. Mai 2021, 10:44

pentium hat geschrieben:
Sperrbrecher hat geschrieben:
Gerd Böhmer hat geschrieben:Im Dezember 1960 wurde im Bundeskabinett unter Konrad Adenauer das sogenannte "Ein- und Ausreisegesetz" verabschiedet. Es sah vor, dass selbst Westberliner wegen der offenen Grenze zum Ostsektor für eine Reise nach Westdeutschland ein Visum benötigen.

Wo hast Du denn diesen Unsinn her?

Aus eigen Erleben weiß ich, dass weder beim Abflug in Berln-Tempelhof, noch am
Ankunftsflughafen in der Bundesrepublik eine Ausweiskontrolle stattgefunden hat.


Der "Unsinn" steht im o.g. Thread des Drehscheibe Online Forums und wurde vom User @Zauberer verfasst.

Und da widerspricht ihm keiner? Also was heute so alles für ein Unsinn erzählt wird, der toppt ja sogar die Berichte der DDR Presse vom Herbst 1989. [flash]

Fakt ist, umgekehrt wars. Berlin-West war durch die Verfassung von 1949 als Bundesland in Westdeutschland vertraglich eingebunden. Eine westdeutsche Forderung von Visa für die Transitstrecken gabs nie, konnte es gar nicht geben. Die DDR hat 1960 die Einreisemodalitäten immer wieder verschärft. Bis zuletzt.

Konrad Adenauer. Der katholisch dominierte Weststaat, der Rheinland-Staat war sein Lebensziel und sein Lebenswerk. Und da hat er alles erreicht.
[laugh]

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Re: Frage zum deutsch-deutschen Reiseverkehr, 1950-er Jahre

Beitragvon Gerd Böhmer » 30. Mai 2021, 10:51

augenzeuge hat geschrieben:Und da widerspricht ihm keiner? Also was heute so alles für ein Unsinn erzählt wird, der toppt ja sogar die Berichte der DDR Presse vom Herbst 1989. [flash]

Fakt ist, umgekehrt wars. Berlin-West war durch die Verfassung von 1949 als Bundesland in Westdeutschland vertraglich eingebunden. Eine westdeutsche Forderung von Visa für die Transitstrecken gabs nie, konnte es gar nicht geben. Die DDR hat 1960 die Einreisemodalitäten immer wieder verschärft. Bis zuletzt.

Konrad Adenauer. Der katholisch dominierte Weststaat, der Rheinland-Staat war sein Lebensziel und sein Lebenswerk. Und da hat er alles erreicht.
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Danke für die ersten Reaktionen und Kollege Translog aus Berlin hat schon Einspruch erhoben. Auch ich halte von der vom Kollegen Zauberer bei DSO gemachten Ausführungen auf Grund meiner geschichtlichen Kenntnisse nichts ...
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Re: Frage zum deutsch-deutschen Reiseverkehr, 1950-er Jahre

Beitragvon augenzeuge » 30. Mai 2021, 11:08

Adenauer hatte manchmal seltsame Ideen, muss man zugeben. [grins]

Kanzler Konrad Adenauer schlug während der Berlin-Krise 1961/62 der US-Regierung John F. Kennedys vor, den Sowjets einen geheimen Deal anzubieten: West-Berlin gegen Thüringen sowie Teile Mecklenburgs und Sachsens.


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Re: Frage zum deutsch-deutschen Reiseverkehr, 1950-er Jahre

Beitragvon zoll » 30. Mai 2021, 12:21

Mir ist nicht bekannt welcher Schreiber hier im Forum in den 1950er Jahren von Westdeutschland nach Westberlin und umgekehrt gereist ist.
Aus eigener Erfahrung kann ich berichten, dass es in der Zeit genau so mühsam war wie 30 Jahre später.
In Marienborn oder Drewitz waren die ostdeutschen Abfertigungsstellen auf die Schnelle hingebaute Abfertigungsbaracken. Ausweise wurden peinlichst genau geprüft. Immer mit Blickkontakt zum Ausweis und wieder zum Reisenden. Das war, als hätte man Pickel im Gesicht, wusste aber nichts davon.
Die Prozedur dauerte eben so lange bis die Grenzpolizisten der DDR deutlich gemacht hatten, dass nun das Hoheitsgebiet dieses neuen deutschen Staates hier und jetzt beginnt.
Dieser Vorgang bezog sich auf die von mir gemachten Busreisen. Der Vorgang im Zugverkehr war eigentlich angenehmer, weil alles während der Fahrt auf der Interzonenstrecke abgewickelt wurde. Zuerst kamen die Leute von der Pass- und Einreisekontrolle, gleicher peinlichst genauer Vorgang wie im Busverkehr, dann kamen die Damen vom Zoll und Warenverkehr. Die Frage nach den mitgeführten Geldmitteln war bei dieser Prüfung immer die Wichtigste.
Wenn der Zug sich dann der Grenze näherte sammelten sich die Uniformierten an den Türen und verließen beim Halt schnellstens den Zug. Der nahm nämlich sehr schnell wieder Fahrt auf und erreichte bald darauf Westberlin.
Von einem Visum habe ich in dieser Zeit nie etwas gehört. Das gehört wohl ins Reich der Phantasie.
Eine Bemerkung am Rande, dort auf Westberliner Gebiet patrouillierten oft Uniformierte der Alliierten.
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Re: Frage zum deutsch-deutschen Reiseverkehr, 1950-er Jahre

Beitragvon Sperrbrecher » 30. Mai 2021, 13:00

zoll hat geschrieben:Mir ist nicht bekannt welcher Schreiber hier im Forum in den 1950er Jahren von Westdeutschland nach Westberlin und umgekehrt gereist ist.

Ich selbst bin im Spätsommer 1953 und dann nochmals im Herbst 1954 von
Berlin-Tempelhof nach Frankfurt am Main und wieder zurück geflogen.

Meinen DDR-Personalausweis wollte niemand sehen, das Flugticket
reichte völlig aus.
In der DDR wussten 90% der Bevölkerung, dass sie verarscht werden.
In der Bundesrepublik haben es 90% der Wähler immer noch nicht gemerkt.
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Re: Frage zum deutsch-deutschen Reiseverkehr, 1950-er Jahre

Beitragvon Gerd Böhmer » 30. Mai 2021, 14:06

augenzeuge hat geschrieben:Adenauer hatte manchmal seltsame Ideen, muss man zugeben. [grins]

Kanzler Konrad Adenauer schlug während der Berlin-Krise 1961/62 der US-Regierung John F. Kennedys vor, den Sowjets einen geheimen Deal anzubieten: West-Berlin gegen Thüringen sowie Teile Mecklenburgs und Sachsens.


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Hallo,

Richtig, immerhin ist ja die Aussage von Konrad dem Ersten überliefert, das er betreffend Bonn gesagt hat "für ihn habe Berlin als deutsche Hauptstadt ausgespielt und die neue deutsche Hauptstadt sollte nicht mehr inmitten märkischer Kartoffelfelder liegen sollte, sondern im Rheinland, denn nur hier sei echtes deutsches Kulturland". Dann ist ja seine Aussprache "die Soofffets" unvergesslich / grinsend.

Aber sei es wie es sei, an das Format ihrer Ahnen kommen heutige Politiker nicht mehr heran ...
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